Unser Geist in der Brandung
Wie die meisten der frühen Kel-Tamaschek-Bands wurde Tartit Mitte der 1990er Jahre im Exil gegründet, fernab von ihrer Heimat im nördlichen Mali. Dies war die Zeit der letzten Tuareg-Aufstände, die seit den 1960ern immer wieder aufgeflammt waren. Die Menschen kämpften darum, ihre traditionellen Gebiete und ihren Lebensstil zu erhalten. Wegen des Kriegs flohen dann viele Angehörige der Tamaschek in Flüchtlingslager, um Gegenschlägen der malischen Regierung und der Streitkräfte zu entkommen.
Im Gegensatz zu anderen Gruppen wie Tinariwen, die von ehemaligen Rebellen gegründet wurden, kommen die Mitglieder Tartits aus vielen unterschiedlichen Lebensbereichen – wie der Name der Band (übersetzt "Union") bereits andeutet. Aber was die Band wirklich von ihren Kollegen unterscheidet, ist die Tatsache, dass die vier Hauptsängerinnen Frauen sind. Zwar gibt es auch in anderen Gruppen singende Frauen, aber Tartit wird von Frauen geleitet – und ist eine der wenigen Bands der Region, die damit international erfolgreich sind.
Da Frauen unter den Tamaschek als "Quelle von Kultur und Tradition" gelten, darf die Rolle, die Tartit dabei spielt, die Geschichte dieses Volkes am Leben zu erhalten, nicht unterschätzt werden. Vier Frauen dabei zu sehen, wie sie singen, trommeln, Schlagzeug spielen und dabei von verschleierten Männern an der Gitarre, der Flöte und dem Saiteninstrument Ngoni umgeben sind, ist ein höchst symbolisches Bild. Die Frauen sind das Herz und die Seele des Volkes, während die Männer die Aufgabe haben, sie zu beschützen.
Mächtige Frauen
Dieses ungewöhnliche Verhältnis der Geschlechter und die Gleichberechtigung, die die Frauen der Tamaschek genießen, spiegeln sich auch in den Texten der Songs wider. In "Tamat" ("Die Frau"), dem neunten Titel des Albums, wird die Bedeutung der Frauen folgendermaßen beschrieben: "Die Frau ist die zentrale Stütze des Zeltes, und wenn diese Stütze nachgibt, fällt das ganze Zelt in sich zusammen."
Durch diese Band, in der die Frauen im Vordergrund stehen, bekommen wir einen völlig anderen Eindruck vom Leben in der Sahara als durch männlich dominierte Volksgruppen: Während die Männer oft euphorisch über die Wüste und das Nomadenleben philosophieren, berichten die Frauen in der Regel davon, wie hart das Leben in der unwirtlichen Region doch tatsächlich ist.
Aber trotzdem handeln Stücke wie "Tiliaden N'Asahara" ("Die Mädchen der Sahara"), die die Schwierigkeiten des Alltags in der Wüste zum Inhalt haben, auch von der Liebe zur Heimat und dem Wunsch, sie zu beschützen.
Will man das Verlorene wiederfinden, muss man sich auch daran erinnern, wie es einmal war. Dies mag zwar manchmal als fruchtlose Nostalgie oder Festhalten an der Vergangenheit missverstanden werden, aber ebenso kann man es als Versuch betrachten, zu verhindern, dass etwas Wertvolles für immer verschwindet.
Während sich manche Menschen an die "gute alte Zeit" erinnern, weil sie Veränderungen und Statusverlust fürchten, suchen die Musikerinnen von Tartit in der Vergangenheit nach Inspiration – und nach Beispielen für das friedliche Zusammenleben in ihrem Umfeld.
Gemeinsam, solidarisch und nach vorn gerichtet
Und obwohl Lieder wie "Asaharaden" an die Zeit erinnern, in der die Wüste noch nicht durch Krieg und Hass gespalten war, lassen sie trotzdem auf eine bessere Zukunft hoffen. Das Stück "Afous Dafous" („Hand in Hand“) ist nach einem Kinderspiel benannt, das Gemeinsamkeit und Solidarität betont. Wenn Menschen zusammenarbeiten, können sie auch auf eine bessere Zukunft hoffen.
In diesem Sinne fordert der Titel "Tanminak" die Kel Tamaschek dazu auf, ihren Streit, der durch den jüngsten Aufstand im Jahr 2012 entstanden ist, nunmehr beizulegen. Der Hintergrund dieses Konflikts ist, dass damals ein Teil der Tamaschek einem Führer folgte, der sich religiösen Fundamentalisten anschloss, die wiederum davon träumten, das nördliche Mali zu regieren. Und in jener kurzen Phase, in der die Fundamentalisten die Region zu kontrollieren begannen, griffen sie immer mehr Musiker an, schlossen Kinos und untersagten, dass junge Frauen eine berufliche Ausbildung machen konnten.
Und bis heute wird Mali von Terroristen und religiösen Eiferern bedroht. So findet beispielsweise das berühmte "Festival au Desert" seit 2012 nicht mehr statt. Aber Musiker wie Tartit machen weiter, obwohl sie dabei ihr Leben riskieren. Nicht nur sind sie inzwischen aus dem Exil zurückgekehrt, sondern haben auch großen Mut bewiesen, das Album "Amankor/The Exile" in der krisengeschüttelten malischen Hauptstadt Bamako aufzunehmen.
Ein Sound wie eine Flutwelle
Musikalisch gesehen ist das Album eine Mischung aus dem, was wir von zeitgenössischen Tamaschek-Blues-Bands mit ihren traditionellen Klängen erwarten würden. Die hypnotischen, in Trance versetzenden Rhythmen der Gitarren und Handtrommeln sind auf dieser CD zwar erneut allgegenwärtig, allerdings sind die Stimmen der Frauen, die von Fadimata Walet Oumar (auch als "Disco" bekannt) geleitet werden, gänzlich neu.
Obwohl bei Tuareg-Bands wie Tartit Hintergrundgesänge zum festen Bestandteil der Musik zählen, und von daher keine Besonderheit darstellen, hören wir dennoch jedes Mal die ursprünglichen Klänge heraus, die jenen Rhythmen zugrunde liegen. Denn wenn die vier Frauen von Tartit singen, wirft ihr Gesang ein Schlaglicht jene Klänge, die wir mit den Tamaschek verbinden. Im Zusammenspiel mit den Handtrommeln weben sie rhythmische Muster, die uns in die Musik hineinziehen. Und immer wieder wird der Gesang unvermittelt durch eine einzige hohe Stimme durchbrochen, was einen jedes Mal aufhorchen lässt.
Natürlich bildet jeder Song des Albums eine in sich stimmige musikalische Einheit, allerdings erschließt sich einem die wahre Qualität dieser Aufnahme erst dann, wenn wir sie in ihrer Gesamtheit hören. Wie eine Flutwelle, die sich langsam vorwärts schiebt und irgendwann unsere Füße umspült, brandet diese Musik gegen unseren Geist an, bis wir uns letztlich von ihr hinreißen lassen.
"Amankor/The Exile" von Tartit ist wohl das perfekte Beispiel dafür, wie sich Tradition und Moderne miteinander vereinbaren lassen, um eine ausdrucksstarke, einmalige Musik zu kreieren. Anstatt in Wehmut und Nostalgie zu versinken, zeigt uns die Tuareg-Formation auf eindrucksvolle Weise, wie die Menschen die Macht der Tradition dazu nutzen können, eine neue Zukunft aufzubauen.
Richard Marcus
© Qantara.de 2019
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff