Auf eine Tasse Tee mit dem Schwarzen Mann
Die in Beirut geborene Mona Hatoum stammt aus einer palästinensischen Familie, die während der Nakba aus Haifa floh – der Vertreibung arabischer Palästinenser aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina. 1975 reiste sie im Alter von 23 Jahren nach London, als im Libanon der Bürgerkrieg ausbrach. Eine Rückreise war unmöglich. So wurde London ihr zweites Exil. Ihre frühen Werke schuf sie im Großbritannien der Thatcher-Zeit. Ihre Arbeiten tragen seither die Narben von Kriegen und Ausgrenzungen, die zwischen sie und ihrem früheren Leben getreten sind.
Einigen westlichen Kritikern fällt es offensichtlich schwer, diesen Hintergrund einzuordnen. Sie stellen sich die Frage, ob die Kunst von Hatoum tatsächlich so universell ist, dass sie es in zeitlose Orte wie das Centre Pompidou oder die Tate Modern schafft, während die Künstlerin sich gleichzeitig mit einem Land identifiziert, das auf keiner Karte mehr verzeichnet ist.
Die Lösung dieses Dilemmas verläuft üblicherweise entlang der Linien ihrer Kunst, die für den Westen so relevant ist, dass deren palästinensische Wurzeln dahinter zurücktreten. Der einführende Katalogtext zu ihrer Retrospektive im Centre Pompidou lautet zum Beispiel: "Mona Hatoum errichtet nicht das Werk einer palästinensischen Exilantin in London (....) sie ist eine Künstlerin der Gegenwart in Übereinstimmung mit unserer Moderne und deren Themen [kursive Auszeichnung hinzugefügt]."
Als ob exilierte Palästinenserinnen per definitionem außerhalb der Gegenwart ständen und eine vormoderne apokryphe Version der Geschichte verkörperten, die unsere Lesart von Hatoums Kunst bei allzu starker Beeinflussung beschädigen könnte. Genau das will aber dieser Artikel. Aus Freude an der Provokation, aber auch an der Ablehnung eines Diskurses, der die Kunst von Hatoum als exotisch gewürztes, aber letztlich harmloses westliches Produkt abzuschreiben droht.
Damit sollen jedoch keinesfalls die Verdienste infrage gestellt werden, die westliche Kunsthistoriker Hatoum zuschreiben. Verdienste im Zusammenhang mit "[deren] Modernität und deren Themen", wie die meisterhafte Bewältigung des Wandels vom Minimalismus zum Post-Minimalismus, die Versöhnung des Erbes der Abstraktion des 20. Jahrhunderts mit neuen Formen des politischen Engagements und andere Verdienste, die für den arabischen Betrachter, der auf Anhieb von den Werken Hatoums verzaubert sein wird, wenig relevant sind. Er benötigt keine Einführungen zu ihren Werken, da diese zu ihm in einer Sprache sprechen werden, die auch er allzu gut kennt.
Zwischen Fremdheit und zarter Präsenz der Heimat
Andererseits ist die Repatriierung von Mona Hatoums Kunst nicht unproblematisch. Die schiere Weite und Vielfalt ihrer Arbeit überschreiten regionale Grenzen. Ihr Charme entstammt einem Gefühl der Fremdheit und einer zarten Präsenz der Heimat, die Gefahr läuft, durch übereifrige Definitionsversuche erdrückt zu werden.
In Keffieh (Kufiya) zum Beispiel sind Haarlocken von Hatoum in das emblematische "Palästinensertuch" eingewoben und kräuseln sich wie giftiges Unkraut. Das Ergebnis ist verstörend und lässt viele Deutungen zu: Vielleicht symbolisiert es die gefährliche Weiblichkeit, die eine nationale Ikone überwuchert. Und haben Frauen die Kufiya nicht schon immer zulasten ihres eigenen Leibs und Lebens für Männer gemacht?
Ist es nicht auch das Symbol eines von Männern geschriebenen Widerstandes, während eine genauere Betrachtung die Spuren einer Weiblichkeit aufdeckt, die zur Erschaffung der männlichen Ikone beschnitten wurde? Wofür steht das weibliche Haar? Ist es auch dann noch ein 'awrah – ein zu bedeckender intimer Teil des Körpers – wenn es in das Werkzeug eingewoben ist, das dessen Bedeckung dient?
Hatoums Kufiya stellt allerdings keine dieser Fragen. Es ist ein stilles Objekt. Es existiert und provoziert einfach. Die Fragen erwachsen vielmehr aus unserem plötzlichen Unbehagen gegenüber einem Objekt, das uns als ebenso bekannt wie harmlos galt. Doch die Kraft von Hatoums Werk liegt gerade in seinem Vermögen, sich jeder Erklärung zu widersetzen und stattdessen seine Bedeutung instinktiv, telepathisch und doch kristallklar zu kommunizieren.
Mona Hatoum lehrt uns wieder, wie wir Dinge betrachten sollten: Es gibt keine unschuldigen Objekte. In allen kann sich eine Machtdynamik und sinistere Gewalt verbergen, die sich unvermittelt entlädt. Hatoum ist eine Meisterin darin, den latent schlummernden Schwarzen Mann in den Dingen zu wecken und ihn ohne Vorwarnung auf uns loszulassen, sodass wir erschrecken wie Kinder, denen eine Lektion erteilt wird.
Exil und Gewalt
Was wäre, wenn zwei Teetassen wie siamesische Zwillinge miteinander verschmölzen? Alles, was man dazu braucht, ist ein Blick auf T42 (1999). Anfangs meint man fast, Teetassen seien schon immer so gewesen. Dabei sind Hatoums Teetassen ebenso beklemmend wie zerbrechlich. Sie atmen etwas vom emotionalen Druck auf Familientreffen oder von schmerzhaften einseitigen Gesprächen.
Es ist unmöglich, zu zweit gleichzeitig daraus zu trinken. Stets nimmt einer alles. Es sei denn, der andere beschließt, auf die Gewalt des Objekts seinerseits mit Gewalt zu reagieren, indem er eine Tasse auf die Gefahr hin herausbricht, die andere zu verlieren oder irreparabel zu beschädigen oder gar beide zu zerstören.
Albtraumhafte Züge entwickelt das Werk, wenn wir erfahren, dass sein Titel T42 nicht nur ein Wortspiel und eine Referenz auf den Schlager Tea for Two ist, sondern auch der Name eines Kampfpanzers.
In einem Artikel über Hatoum sieht der Exil-Palästinenser Edward Said in diesen Objekten eine Bindung an eine nicht länger existierende Heimat. Das Exil übt Gewalt auf das Gedächtnis aus, sodass Alltagsgegenständen die Narben und Ängste ihrer Benutzerin aufgezwungen werden, die sie nach ihren eigenen Vorstellungen nachbildet: launisch, verletzt und zwischen fernen Welten gefangen:
"Häuslichkeit transformiert sich so zu einer Reihe von bedrohlichen und gänzlich unwirtlichen Objekten, deren neuer und offenbar nicht häuslicher Gebrauch darauf harrt, definiert zu werden. Es sind unerlöste Dinge, deren Verzerrungen nicht zur Reparatur oder Überarbeitung zurückgeschickt werden können, da die alte Adresse zwar unerreichbar vorhanden ist, aber dennoch annulliert wurde (....). Das Gedächtnis beharrt immer wieder darauf, dass diese Objekte uns bekannt waren, aber irgendwie nicht mehr sind, obwohl die Erinnerungen unermüdlich an ihnen festhalten."
Fenster zur Welt
2012 arbeitete Hatoum mit geflüchteten Frauen gemeinsam an der Herstellung traditioneller palästinensischer Stickereien, deren unterschiedliche Muster auf die jeweiligen Regionen Palästinas verwiesen. Die fertigen Stickereien hängte sie wie Wäsche in der Galerie auf. Was zunächst fast banal wirkt, entfaltet nach Lesen des Titels seine Magie: Twelve Windows. Plötzlich wird jedes der quadratischen Tücher zu einem Fenster mit Blick auf eine verlorene palästinensische Stadt.
Der Titel rekurriert auf den großen italienischen Humanisten und Theoretiker Leon Battista Alberti, der das perfekte Bild als "Fenster" zur Welt beschrieb. Diese Metapher bestimmte bis ins 19. Jahrhundert die räumliche Gestaltung und Perspektive der westlichen Malerei. In Twelve Windows beschwört Hatoum Albertis Metapher ironisierend.
Ihre zwölf aussichtslosen Fenster blicken auf eine abstrakte Heimat aus Farben, bei der alle Perspektiven blockiert sind. Jedes Fenster verweist mit seinem Muster auf die Vorstellung einer palästinensischen Stadt, ohne diese zu zeigen. Vielleicht weil sie nicht mehr existiert oder weil wir uns nicht vor Augen zu führen vermögen, was aus ihr geworden ist. Die verbliebenen Trümmer werden mit einem folkloristischen Symbol abgeschirmt, das Wärme und Geborgenheit evoziert, während es uns insgeheim erstickt. Letztlich können alle Fenster Hatoums zusammen keinen einzigen Lufthauch hereinlassen. Der Galerieraum bleibt fensterlos.
Die feministische Dimension ist auch hier wesentlich. Die Stickerei galt schon immer als untergeordnetes Handwerk, dem das Attribut "Kunst" vorenthalten wurde. Ganz im Gegensatz zur Malerei, Bildhauerei oder Architektur. Doch zu diesen Kunstformen blieb Frauen der Zutritt historisch verwehrt.
In diesem Kontext baut Hatoum auf den Ideen der politischen Aktivistin und Schriftstellerin Alice Walker auf, die unter anderem eine Neubewertung solcher Dekorationsgegenstände als einziges Zeugnis eines unterdrückten Talents forderte, das sich mit einfachsten Mitteln ausdrücken musste.
Im arabischen Kontext, in dem Frauen vor dem 20. Jahrhundert in der künstlerischen oder historiographischen Praxis nur eine Nebenrolle spielten, ist die Stickerei eine alternative Methode zur Darstellung der Geschichte – nicht als Abfolge von männergemachten politischen Ereignissen, sondern durch körperliche Verbundenheit mit Farben und Mustern, die Familien mit ihrem Land verknüpfen.
Die Hängung der Tücher erinnert an das Bild einer Mutter oder Frau, die die Tücher an der Zeltwand eines Flüchtlingslagers zum Trocknen aufhängt. Ihr einziges verbliebenes Fenster zu einer verlorenen Heimat ist die "Sicherheit" ihrer häuslichen Umgebung. Doch wie die Wäschestücke verbleibt diese buchstäblich in einem endlosen Schwebezustand.
Seife als Sinnbild eines Landes
Neben den Alltagsgegenständen ist Hatoums Werk von einer weiteren typisch arabischen Obsession geprägt: den Landkarten. In Werken wie Hot Spot oder 3D Cities erinnert Hatoums Verhältnis zu Karten an den Geographielehrer in dem Theaterstück Abendgala für den 5. Juni des syrischen Dramatikers Saadallah Wannous aus dem Jahr 1967, der heimlich Ausschnitte, die der Karte der arabischen Welt entrissen wurden, in seiner Schublade aufbewahrt, in der Hoffnung, ihnen ein neues Leben zu verleihen oder zumindest zu verstehen, warum und wie wir diese verloren haben.
In Present Tense (1996) reproduzierte Mona Hatoum die mit dem Oslo-Abkommen neu entworfene Karte, indem sie Perlen in mehr als zweitausend Stücke handgemachter Nabulsi-Seife presste. Die Wirkmacht des Werkes liegt in dem prägnanten Duft der Seife, der das Gedächtnis der arabischen Besucher auffrischt und gleichzeitig verstört. Ihre Frische dringt in die leblosen sterilisierten Poren des weißen Galerieraums ein, übertritt dessen vermeintliche Neutralität, genau wie sie gegen die Bedeutung der ihr auferlegten Karte verstößt, die sich ohnehin auflösen wird, sobald sich die Seife auflöst.
Wenn der Seife als Sinnbild des Landes Grenzen gewaltsam auferlegt werden, versperrt sich dieses Land der Logik seines Besetzers und reagiert anders als vorgesehen: Der intuitive Geruchssinn überwindet den eher rationalen Sehsinn, befreit die Idee der Heimat von Karten und Ländern und wird zu etwas, das wir in der Luft wahrnehmen, das uns umgibt und in unsere Körper strömt.
Hatoums Arbeiten liegt oft eine Spannung zugrunde: Auf der einen Seite die rationalen Komponenten in Form versperrter Fenster, Karten oder des Galerieraums, die den Abdruck des Establishments tragen (Patriarchat, Kolonisierung oder Bürokratie). Auf der anderen Seite die viszeralen Komponenten, die den Besucher mit emotionalen Symbolen locken und die zu wirkmächtig sind, um rational erfasst zu werden – wie die Stickereien, die Nabulsi-Seife oder die Kufiya. Wie bei galvanischen Zellen treten beide Pole gegeneinander an und elektrisieren den Besucher.
Wenn man sieht, wie Hatoum Ikonen aus einem visuellen und psychologischen arabischen Reservoir entnimmt, sie verändert und damit Werke schafft, die sich einer Versöhnung mit sich selbst und ihrer Umgebung verweigern, wird deutlich, dass Hatoums Erfahrung als arabisch-palästinensische Frau eine bestimmende Rolle in ihrer Kunst spielt.
Der vereinnahmte arabische Schwarze Mann
Was die westliche Historiographie angeht, die den arabischen Schwarzen Mann in ihrem Werk neutralisieren möchte, um es leichter vereinnahmen zu können, so ist dies völlig normal. Westliches Kunstverständnis (wie jedes andere) suchte schon immer anderswo nach Lösungen für seine Probleme.
So erfand es eine längst untergegangene griechische Kultur in der Renaissance neu oder drückte seine Modernität mit formalen Verfahren als Ableitung aus afrikanischen und asiatischen Künsten aus, wobei das nur zwei Beispiele für dieses Phänomen sind. Diesmal ist Mona Hatoum die perfekte Kandidatin für diese Begegnung mit der Gewähr auf minimale Gegenseitigkeit.
Faszinierende Leichtigkeit
Hatoums Stellung als Exil-Palästinenserin hat zu ihrem Bekanntheitsgrad beigetragen, nicht obwohl, sondern weil man sogar behaupten kann, dass es diese Stellung war, die es ihr ermöglichte, die zeitgenössische Kunst aus gewissen Sackgassen herauszuholen, als sie sich in einer Szene wiederfand, deren Haltung gegenüber der arabisch-palästinensischen Lage einer Mischung aus Irrtum und Gleichgültigkeit entstammte. Sie war eine der wenigen Künstlerinnen, die neue Werkzeuge zu entwickeln vermochte, mit denen sie Anliegen ausdrücken konnte, die nur sie als dringlich erkannte.
Das bekannte Gefühl der Entfremdung in Hatoums Kunst ist fest in dem kollektiven Zustand nach Ausbruch des Sechstagekrieges (Naksa) verwurzelt und kann nicht als rein biographisch, individuell oder generisch postmodern abgetan werden. Und doch erscheint "militant" als ein zu plumpes Wort für Werke, die so subtil sind wie die von Mona Hatoum.
Im Unterschied zur "militanten" Kunst zeichnet sich ihre Kunst durch eine faszinierende Leichtigkeit aus, mit der sie sich selbst und ihre Ursachen hinterfragt. In Hatoums Händen verweisen selbst die intimsten palästinensischen Symbole auf universelle Anliegen und bewahren gleichzeitig ihre Singularität.
Letztlich scheint Hatoum nicht auf die Dissoziation einer arabischen Erfahrung von einer westlichen abzuzielen, sondern das zu suchen, was beiden gemein ist. Auf dass in der menschlichen Erfahrung als Ganzes das Gute vom Schlechten getrennt werde. Vielleicht aber möchte sie uns nur daran erinnern, dass solche Dissoziationen nicht so einfach sind, wie wir möglicherweise denken.
Yazan Loujami
Aus dem Englischen von Peter Lammers