Leben auf Inseln

Kamilya Joubran wurde mit ihrer Folkgruppe "Sabreen" international bekannt. Mit der Filmemacherin Anne-Marie Haller hat sie nun einen Film über ihre in Israel lebende Familie gedreht.

Von Martina Sabra

Unabhängigkeitstag in Israel, Bilder aus dem israelischen Fernsehen: Sechsjährige dürfen mit echten Maschinengewehren spielen und sich unter fachlicher Anleitung von Offizieren an Funkgeräten versuchen. Begeisterte Opas setzen ihre Enkel fürs Familienfoto auf den Merkava-Panzer.

Derselbe Tag, an einem anderen Ort in Israel: Ein palästinensischer Rentner pflügt hingebungsvoll den Boden rund um einen der Olivenbäume in seinem Garten. Für ihn ist der Unabhängigkeitstag kein Feiertag. Im Gegenteil. Es ist der Jahrestag der Nakba – der Vertreibung eines Großteils der Palästinenser aus ihrer Heimat.

Dieser hochsymbolische Schnitt aus dem Film "Telling Strings" mag etwas plakativ wirken – doch der Film, den Anne-Marie Haller gemeinsam mit der palästinensischen Musikerin Kamiliya Joubran über deren Familie in Israel gemacht hat, ist alles andere als flach.

Trotz mancher kleiner Schwächen ist "Telling Strings" (Erzählende Saiten) eine der schönsten und aussagekräftigsten Dokumentationen, die in den vergangenen Jahren über die Palästinenser in Israel gedreht wurden.

Die positiven Seiten der palästinensischen Gesellschaft

Friedfertigkeit, Bodenständigkeit, Humor, Pragmatismus: Der Film dokumentiert die positiven Eigenschaften der palästinensischen Gesellschaft, die in den Medien - angesichts der Gewaltexzesse von Minderheiten – oftmals untergehen. Die palästinensische Kultur erweist sich als eine vielfältige und humane Kultur, die tragischerweise akut vom Untergang bedroht ist.

Gleichzeitig warten die Protagonisten des Films mit politischen Analysen auf, die an Klarsicht und Eindringlichkeit kaum zu übertreffen sind. Wer meint, der Nahostkonflikt sei zu kompliziert, um ihn verstehen zu können, der wird in "Telling Strings" nachhaltig eines Besseren belehrt.

Die Rahmenhandlung des Films ist einfach: Die Sängerin Kamilya Joubran, einst Frontfrau der palästinensischen Folkgruppe "Sabreen", mittlerweile Solokünstlerin mit Wohnsitz in der Schweiz, reist über Ostern 2006 nach Israel. Sie wird dabei von der Regisseurin Anne-Marie Haller und einem Kamerateam begleitet.

Joubran wird in ihrem Heimatort Rameh einige Tage dem 75-jährigen Vater zuschauen, wie er eine Laute für sie baut. Ausserdem wird sie Musikerfreunde interviewen, und Dialoge mit den Eltern und Brüdern führen.

Im falschen Land geboren

Die Gespräche drehen sich hauptsächlich um das Leben als Palästinenser in Israel. Dabei faszinieren die Illusionslosigkeit und die intellektuelle Klarheit der Gesprächspartner: Obwohl die Interviews spontan ablaufen, ist kein Wort überflüssig, jeder Satz wohl durchdacht.

​​Bestechend wirkt die Illusionslosigkeit der Interviewten: "Die Zionisten hatten die Gründung des Staates lange vorher geplant", meint der Vater Elias Joubran in einem der Gespräche. "Die Araber waren damals völlig unfähig zu planen, und sie sind es heute noch. Sie improvisieren nur, und betrügen sich gegenseitig." Sein nüchternes Fazit: "Auch wenn wir hier in Israel Bürger zweiter Klasse sind: Ich lebe immer noch in meinem Haus. Alles ist besser, als ein Flüchtling zu sein."

In einem anderen aufschlussreichen Gespräch, an der Werkbank, sagt Elias Joubran sarkastisch: "Ich bin in die falsche Familie, ins falsche Viertel, ins falsche Land geboren worden. Aber das macht nichts. Meine Welt ist seit über 50 Jahren diese Werkstatt."

Was ihn am Laufen halte, sei der Rhythmus des Instrumentebauens. "Ich suche das Holz aus, und dann gerate ich in eine Spannung, die mich so lange trägt, bis die Laute oder die Bouzouki fertig ist. Danach kommt die nächste. Und so geht es weiter."

Musik als Gegenwelt

Musik als Gegenwelt und als Therapie, um mit der unnormalen Situation fertigzuwerden. Während der Gespräche fängt die Kamera in langsamen, ruhigen Einstellungen jene Dinge ein, die das Lebensgefühl der Palästinenser ausmachen: atemberaubend schöne Landschaften, die Liebe zu Feldern und Gärten, die Freude an den kleinen Dingen des Alltags – Kaffee, Zigarette, ein Schwätzchen auf dem Sofa.

Zuschauer, die mit der palästinensischen Kultur nicht sehr vertraut sind, dürften jedoch gelegentlich etwas ratlos dasitzen: Etwa, wenn die Kamera sich ohne Erklärungen auf Kaktusfeigen, Pizzen und Kekse konzentriert. Man hätte zum Beispiel die Mutter beschreiben lassen können, welch hohen symbolischen Wert die Kaktusfeige (subbara) Thymian-Pizza (Mana'isch) oder gefülltes Gebäck (Maamul) für die enteigneten, vertriebenen Palästinenser überall auf der Welt besitzen.

Die Sprache, die Musik und das Essen sind für viele Palästinenser in der Diaspora das einzige, was sie heute mit der verlorenen Heimat verbindet. Der Film bildet das eindrucksvoll ab, aber Nichteingeweihten erschließt sich die Botschaft nicht.

Enorme Distanz

Beunruhigend wirkt die enorme Distanz zwischen den jüdischen und nichtjüdischen Israelis – trotz der räumlichen Nähe. Als sie zu Beginn des Films mit dem Auto von Tel Aviv Richtung Norden fährt, läßt Kamilya eine Reihe blauweißer Fahnen an der Küstenstraße buchstäblich links liegen. Es sind nicht ihre Fahnen.

Jüdische Israelis tauchen in der Dokumentation hauptsächlich als Militärs auf. In unmittelbarer Nähe von Joubrans Heimatort Rame liegen zwar mehrere jüdisch dominierte Ortschaften – doch im Alltag der Familie spielen jüdische Israelis kaum eine Rolle. Die Palästinenser in Israel scheinen wie auf Inseln zu leben. Eine Tendenz, die durch die Mauer noch verstärkt wird. Dennoch steht es für die Protagonisten außer Frage, dass sie in Israel zuhause sind.

Der Film endet mit Kamilya Joubrans Rückflug nach Europa. Die Laute, die ihr Vater gebaut hat, trägt sie in einem Metallkoffer auf dem Rücken – ein kostbares Stück Palästina, das sie begleiten wird, wo immer sie auch hingeht. Man hätte gern noch mehr über Kamilya Joubran selbst erfahren. Vielleicht im nächsten Film.

Martina Sabra

© Qantara.de 2008

Qantara.de

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