Europas Eiertanz am Nil

Die EU will beides: moralisch als Wiege der Demokratie die Oberhand behalten und gleichzeitig die Realität anerkennen, dass man es in Ägypten auf absehbare Zeit mit einem autoritären Präsidenten zu tun haben wird. Doch wie lässt sich das miteinander vereinbaren? Karim El-Gawhary kommentiert.

Von Karim El-Gawhary

Soll man Wahlen beobachten, von denen man weiß, dass deren Rahmenbedingungen äußerst fragwürdig sind? Wo doch allein schon die Präsenz von EU-Wahlbeobachtern dem umstrittenen Urnengang ein Stück weit Legitimität verleiht? Ja, so die eindeutige Antwort der EU, die eine Wahlbeobachtermission zu den Präsidentschaftswahlen nach Ägypten entsandte. Selbst als deren Ausrüstung im Vorfeld der Wahlen zunächst vom ägyptischen Zoll nicht freigegeben wurde und die Wahlbeobachter in ihrem Hotel ausharren mussten, wurde die Mission nicht abgeblasen.

Nun hat die EU ihren vorläufigen Bericht zu den Wahlen vorgelegt, der den ganzen Eiertanz der Europäer in Ägypten deutlich macht. Denn wie berichtet man über Wahlen, aus denen der ehemalige Militärchef Abdel Fattah al-Sisi als Sieger mit über 96 Prozent der Stimmen hervorgeht – wo doch der ganzen Welt nicht entgangen sein dürfte, wie politisch polarisiert und zersplittert das Land am Nil wirklich ist?

Wahlen als politische Farce

EU-Chefwahlbeobachter Mario David in Kairo; Foto: AFP/Getty Images
Realitätsferne Expertise: EU-Chefwahlbeobachter Mario David erklärte, dass die Verlängerung der Wahlen deren Glaubwürdigkeit nicht beschädigt hätte, weil dies im gesetzlichen Rahmen stattgefunden habe.

Welche Aussagen lassen sich über Wahlen treffen, wenn nach aktuellen Berichten rund 40.000 Menschen weggesperrt wurden, seitdem im letzten Sommer das Militär den zuvor gewählten Präsidenten aus dem Amt entfernt hat? In einem Land in dem die Muslimbruderschaft, als eine der stärksten politischen Bewegungen des Landes, aus dem politischen Prozess völlig ausgeschlossen wurde? In einem Land, in dem Journalisten eingesperrt und per Schnellverfahren bisher über 700 Menschen zum Tode verurteilt wurden?

Die EU hat offensichtlich beschlossen, so vage wie möglich zu bleiben, um mit niemanden in Ägypten anzuecken und Kritik zu äußern, sie aber zu verstecken. So ist im europäischen "Wahlberichts-Supermarkt" in dem politisch gespaltenen Land für jeden etwa zu finden.

Herauskommen sind dabei einige ziemlich nebulöse europäische Floskeln: Vom "politischen Raum" ist da die Rede, der in Ägypten noch ausgeweitet werden müsse oder die Forderung nach "Einbindung aller politischen Kräfte", womit der Hoffnung Ausdruck verliehen wird, dass sich Ägypten auch weiterhin auf der "Roadmap zur Demokratie" befindet.

Im Gegensatz dazu waren die Wahlbeobachter von "Democracy International" wesentlich deutlicher. "In Ägyptens repressiver Atmosphäre sind wirklich demokratische Wahlen ein Ding der Unmöglichkeit", so ihr Fazit.

Nichtwähler als Geburtshelfer des Terrorismus

Wahlplakat Abdelfattah al-Sisi in der Innenstadt von Kairo; Foto: Arian Fariborz
Brüllender Löwe und Sieger mit fantastischen 96,9 Prozent der Wählerstimmen: Abdelfattah al-Sisi. Seine politischen Gegner, wie die „6. April Bewegung“ der jungen, säkularen Tahrir-Aktivisten, werfen den Europäern vor, die Wahlen mit ihrer Beobachtermission legitimiert zu haben.

Heftig umstritten war vor allem die Wahlbeteiligung, die offiziell mit 48 Prozent angegeben wurde. Eine Zahl, die nicht damit korrespondiert, dass die ägyptischen Medien – angesichts leerer Wahllokale – bereits nach dem ersten Wahltag vollkommen hysterische Appelle an die Bevölkerung richteten, nun doch bitte zu den Urnen zu eilen. Ein Moderator kündigte gar an, seine Pulsadern vor laufender Kamera aufzuschneiden, wenn die Leute nicht wählen gehen; ein anderer wollte allen Wahlwilligen die Füße küssen. Ein absurdes Theater.

Ein militärnaher Sender warnte gar: "Wer nicht wählen geht, ist Geburtshelfer des Terrorismus!"Um die Wahlperformance zu verbessern, erklärte man den zweiten Wahltag kurzerhand zum Feiertag, um dann völlig überraschend noch einen dritten ranzuhängen. Wohlgemerkt nicht, weil der Andrang zu groß, sondern zu klein war.

Und was sagen die EU-Wahlbeobachter dazu? Der dritte Wahltag hätte zu "unnötigen Verunsicherungen" geführt, heißt es in ihrem Bericht. EU-Chefwahlbeobachter Mario David erklärte, dass die Verlängerung der Wahlen deren Glaubwürdigkeit nicht beschädigt hätte, weil dies im gesetzlichen Rahmen stattgefunden habe. Und wieder waren die Wahlbeobachter von "Democracy International" wesentlich deutlicher. Sie beschrieben das Ganze als einen weiteren Schritt, der die Glaubwürdigkeit der Wahlen in Frage stellte.

Der Vorsitzende von "Democracy International", Eric Bjornlund, erklärte, dass seine "86 Beobachter keine hohe Wahlbeteiligung feststellen konnten, man aber darüber keine qualitativen Aussagen treffen könne". Und was schreibt der EU-Bericht zur Wahlbeteiligung?

Ahmed Maher, Gründungsmitglied der ägyptischen Jugendbewegung 6. April in Kairo; Foto: dpa/picture-alliance
Weggesperrte Opposition: Ahmed Maher, Anführer der Bewegung 6. April, die maßgeblich am Sturz des Mubarak-Regimes beteiligt war, wurde im vergangenen Dezember wegen nicht genehmigter Proteste zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

"Die ägyptische Wahlkommission hat uns darüber informiert, dass die Wahlbeteiligung bei der Veröffentlichung dieses Berichtes 47 Prozent betragen hat". In einem Gespräch bezeichnete der EU-Chefwahlbeobachter die Zahl als glaubwürdig. Seine 150 Wahlbeobachter dürften aber Schwierigkeiten gehabt haben, sich in den rund 14.000 Wahllokalen ein genaues Bild zu machen.

Werte oder Interessen?

Mit ihrer Wahlbeobachtermission hat sich die EU in eine Lage manövriert, aus der sie nicht als Gewinnerin hervorgehen kann. Die Gegner Sisis, wie die "6. April Bewegung" der jungen, säkularen Tahrir-Aktivisten, werfen den Europäern vor, die Wahlen mit ihrer Mission legitimiert zu haben. Die wachsweichen Aussagen des Berichtes tun ihr übriges. Die EU muss sich auch die kritische Frage gefallen lassen, welchen Sinn eine Wahlbeobachtung hat, wenn sie entscheidende Sachverhalte wie die Wahlbeteiligung nicht unabhängig evaluieren kann.

Aber auch Militär und regierungsnahe Kreise sind über die Wahlmission ungehalten, weil sich in dem Bericht auch einige kritische Töne über die Rahmenbedingungen der Wahl finden. Das sei Teil einer westlichen Verschwörung die Muslimbruderschaft zu unterstützen und Ägypten zu schwächen, lautet das bizarre Argument von dieser Seite. Auf einer regierungsnahen Veranstaltung, in der der Bericht der Wahlbeobachter diskutiert wurde, wurden EU-Vertreter gar als "Feinde Ägyptens" aus dem Saal geworfen.

Ägypten stellt die Europäer vor ein Dilemma, sich zwischen seinen Werten und seinen Interessen entscheiden zu müssen. Im Einklang mit ihren Werten und Maßstäben hätte die EU den Wahlen nicht einmal den Hauch einer Legitimität verleihen dürfen. Doch stattdessen will man offenbar lieber mit den neuen Machthabern im Gespräch bleiben. Da trifft man zwischen Werten und Interessen lieber keine Entscheidung und versucht alle Türen offen zu halten. Doch mit ihrer Wahlbeobachtungsmission haben es die Europäer geschafft, in Ägypten alle Seiten vor den Kopf zu stoßen.

Karim El-Gawhary

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de