Politik der kleinen Schritte
"Das Problem der Integrationsgipfel ist das Fördern und Fordern", sagt Professor Dr. Werner Schiffauer, Professor für Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, "nur kommt das Prinzip 'Zuckerbrot und Peitsche' bei den Migranten nicht gut an."
Seiner Meinung nach greifen die Integrationsgipfel der Bundesregierung zu kurz. Alle guten Beschlüsse werden halbherzig umgesetzt. Als positiv erachtet er die Bereitstellung von Geldern für Sprachkurse. "Doch konkrete Erfolgsmeldungen in diesem Zusammenhang haben wir noch nicht", sagt Schiffauer.
Obwohl die Bundesregierung nun vermehrt Mittel für die Sprachkurse von Migranten zur Verfügung stellt, ist eines der Ziele der vergangenen Migrationsgipfel, mehr Migranten in den Kursen zu unterrichten, bisher nicht erreicht worden.
Die Kurse seien finanziell nicht richtig ausgestattet, sagt Schiffauer. Die Lehrer, meist Lehrer für Deutsch als Fremdsprache, würden nicht entsprechend ihrer Aufgaben bezahlt. Das führe zu einer ständigen Überlastung. Die Klientel in den Sprachkursen für Migranten sei sehr heterogen, so dass die Lehrer sich auch vor Klassen mit unterschiedlichen Sprachniveaus sehen. Es fehle zusätzlich an spezifisch zugeschnittenen Sprachkursen.
Sprachkurse als Pflichtprogramm
Außerdem würden die Migranten zwangsverpflichtet, an den Sprachkursen teilzunehmen. Es würde ihnen angedroht, dass ihnen bei Nichtbesuch der Sprachkurse die staatlichen Leistungen gekürzt werden. "Das wirkt nicht gerade motivierend auf die Migranten", so Schiffauer, der vom Prinzip "Fördern und Fordern" spricht. "Aber damit wird man langfristig nur erreichen, dass sich die Migranten vor den Kursen drücken."
"Die Migrationsprobleme sind sehr viel komplexer, als die meisten Politiker annehmen", sagt Schiffauer und nennt das Beispiel Parallelgesellschaften. Hier läge das Problem nicht bei den Migranten, die vermehrt in bestimmte Viertel ziehen, sondern bei den Deutschen, die aus diesen Vierteln gezielt wegziehen. Auch auf dem Arbeitsmarkt würden ausländische Arbeitnehmer immer noch diskriminiert und nicht gleichwertig mit deutschen Arbeitnehmern behandelt.
Migranten als Buhmänner
"Die Botschaft 'Fordern und Fördern'" durchzieht den Integrationsgipfel der Bundesregierung", so der Professor für Kulturanthropologie, "hierbei werden Migranten zum Buhmann gemacht, der so nie existiert hat", sagt Schiffauer.
Auch Mehmet Tanriverdi, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrationsverbände, ist von der konkreten Umsetzung der Ziele der Integrationsgipfel noch nicht sehr begeistert. "Man kann den Gipfeln zu Gute halten, dass sich die Sprache verändert hat", so Tanriverdi. "Es ist eine Politik der kleinen Schritte. Immerhin verhandeln wir jetzt auf Augenhöhe mit der Bundesregierung und die Wortwahl in Bezug auf die Migranten hat sich verändert."
Tanriverdi ist zwar optimistisch, man sei auf dem richtigen Weg, "die Integration kommt voran." Allerdings wirft er der staatlichen Seite vor, ihre Hausaufgaben gerade auf dem wichtigen Feld der Bildung nicht gemacht zu haben. Was die Schulabbrecherquote betrifft, die für die Migrantenkinder auf das Niveau der Nichtmigrantenkinder abgesenkt werden sollte, habe sich nichts getan.
Zu wenig Anstrengung für eine gelungene Integration
"Das muss sich unbedingt ändern", fordert Tanriverdi, "nötig sind Zeitvorgaben und ein durchsichtiges Überprüfungssystem." Gerade, was die Bildung betrifft, dürfe nicht gespart werden. "Nur Ganztagsschulen als Antwort auf die Bildungsmisere der Migrantenkinder, das ist eindeutig zu wenig an Anstrengung für eine gelungene Integration", so der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrationsverbände.
Im Aktionsplan, der im Kanzleramt diskutiert wird, und den die Bundesregierung gemeinsam mit den Immigrationsverbänden entworfen hat, finden sich einige Forderungen, auf deren Umsetzung aber lange gewartet werden muss. Die Arbeit der Immigrationsverbände, bei der sich bisher fast nur ehrenamtliche Migranten engagieren, soll von der Bundesregierung finanziell unterstützt werden.
"Doch konkrete Zusagen haben wir noch nicht", sagt Tanriverdi. Auch bei der Forderung der interkulturellen Öffnung – ebenfalls eines der Ziele der vergangenen Gipfel – gäbe es noch keine konkreten Hinweise auf Erfolge. In den Kommunen war bisher kaum jemand bereit, Migranten vermehrt einzustellen.
Migranten sollten laut Aktionsplan auch vermehrt Mitglied in Sportvereinen werden und dort auch als Trainer ausgebildet werden. "Hier müsste nun an vorderster Stelle das Ziel stehen, das Vertrauen der Migranten zu gewinnen", sagt Tanriverdi, "doch da muss noch viel mehr passieren."
Bettina Louise Haase
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de