Jagd auf Ghule und Dämonen
Dass man Fan eines bestimmten Genres ist, hält einen nicht davon ab, dessen Schwächen zu bemerken. So auch in meinem Fall: Auch wenn ich Science-Fiction und Fantasy rückhaltlos liebe, komme ich nicht umhin zu sehen, wie "blütenweiß" und eurozentrisch dieses Genre ist – von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen.
Wenn Apologeten in vielen Fällen darauf verweisen, dass dies an der Zeitgebundenheit der Werke liege, die etwa bei Tolkien dazu führte, dass seine Schurken meistens mit den Attributen "swarthy" oder "svart" versehen wurden, die Helden hingegen durchweg eine blasse Hautfarbe aufwiesen, können sich die Autoren, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts schrieben, sich dieses Arguments nicht bedienen.
Tatsächlich hätte man gehofft, dass diejenigen, die sich der literarischen Darstellung der Zukunft verschrieben haben, die Möglichkeit nutzen, eine Welt zu erschaffen, die die gesellschaftlichen Wandlungen jener Zeit widerspiegeln, in der sie leben und arbeiten.
So wäre es doch schon ein Fortschritt gewesen, in ihren Werken wenigstens einige dunkelhäutige Charaktere zu finden, deren Beschreibung ohne die Beifügung "exotisch" auskommt.
Eindimensionale Fantasy-Welt
Vor allem das Fantasy-Genre muss hier genannt werden, bei dem ein Titel nach dem anderen erscheint, deren Geschichten letztendlich europäische Wurzeln haben.
Hält man sich den Reichtum an Material vor Augen, der sich auftut, wenn man sich auch außereuropäischen Traditionen zuwenden würde oder die Tatsache, dass man durch keine größere Stadt der westlichen Welt laufen kann, ohne eine spannende Mischung an Hautfarben, Größen und Formen innerhalb der dort lebenden Bevölkerung zu gewärtigen, ist es schon recht befremdlich, wenn immer neue Bücher auf den Markt kommen, in denen ein dunkler Bösewicht die Tugend einer hellhäutigen Schönheit bedroht.
Zum Teil mag dies erklärlich werden, schaut man sich Fotos von sich versammelnden Fantasy-Autoren an. Dann nämlich sticht der Unterschied zu dem, was sich auf den Straßen zeigt, deutlich ins Auge; diese Aufnahmen erinnern nämlich fatal an alte Bilder aus exklusiven Clubs mit strengen Mitgliedsbeschränkungen: weiße angelsächsische Protestanten, ausschließlich.
Dabei geht es gar nicht um einen bewussten Vorgang – und auch Rassismus muss keine Rolle spielen –, und doch ist es eine Realität und zudem eine, die sich nicht so schnell zu wandeln scheint. Denn trotz der in den genannten Genres verhandelten Themen ist man in Science-Fiction- und Fantasy-Verlagen nicht weniger konservativ als dies für den Mainstream-Buchmarkt gilt. Aus all dem erklärt sich mein Interesse für ein Buch, das 2012 bei Penguin Canada erschienen ist: Throne of the Crescent Moon von Saladin Ahmed.
Die Kombination aus Buchtitel und Autorennamen ließ mich – richtigerweise – annehmen, dass sich das Buch nicht aus dem üblichen kulturellen Vorrat Europas bedient, sondern seine Inspirationsquellen andernorts sucht. Selbst das wenige, was ich über die reiche Tradition von Mythen und Legenden innerhalb der islamischen Welt weiß, genügte, um zu vermuten, dass sie eine ergiebige Fundgrube für Material sein muss, die nur darauf wartet, vom dafür geeigneten Autoren genutzt zu werden.
Renaissance der alten islamischen Stadtstaaten
Ahmed verfügt über eine solide Reputation als Autor von Kurzgeschichten, gewann einige Preis, und doch ist dies sein erster längerer Roman und es fällt nicht immer leicht, von einem Format ins andere zu wechseln. Und auch wenn ich mich freute zu sehen, dass ein Schreiber sich endlich mal von anderen Traditionen als den europäischen inspirieren lässt, blieb immer noch die Frage, wie gut er sich auf das Handwerk des Geschichtenerzählens versteht.
In diesem Fall lautet die Antwort: so gut wie, wenn nicht sogar besser als jeder andere, der sich im heutigen Fantasy-Genre einen Namen zu machen vermochte. Ahmed ist es gelungen, eine lebendige, aufregende und farbenfrohe Welt zu erschaffen, in der seine Charaktere leben und die Abenteuer erleben, die die Grundlage der Geschichte bilden. Wie viele Fantasy-Autoren errichtete er diese Welt auf der Grundlage einer bestimmten Version unserer eigenen Vergangenheit, in seinem Fall sind es die alten Stadtstaaten der islamischen Welt.
Der Großteil der Erzählung spielt innerhalb der Mauern der großen Stadt Dhamsawaat und nur selten verlässt eine der Figuren die Stadt für gelegentliche Streifzüge durch die Umgebung. Fünf Protagonisten gibt es, um die sich die Handlung des Romans entspinnt, doch lässt sich mit Recht behaupten, dass auch die Stadt selbst als eigenständiger Charakter anzusehen ist. Ahmeds Beschreibungen der Stadt sind so lebendig, dass sie geradezu eine eigene Persönlichkeit entwickelt, wie sie den Orten eignet, die uns selbst am vertrautesten sind.
Doktor Adoulla Makhshlood ist sich jedes einzelnen seiner siebzig Lebensjahre bewusst. Den größten Teil seines Lebens widmete er dem Schutz der Bewohner seiner geliebten Heimatstadt Dhamsawaat vor den Monstern, die vom Verräterischen Engel ausgesandt wurden, um die Menschheit heimzusuchen. Auch wenn der Doktor dabei das Werk des Geheiligten Gottes verrichtet, wirkt er dabei doch so weltlich wie ein beliebiger Straßenjunge auf der Suche nach einer Tasche, die er klauen könnte.
Um den Zauber auszuüben, der notwendig ist, um all die Ghuls und Dämonen ins Jenseits zu befördern, denen er bei seiner Arbeit begegnet, musste er Opfer bringen, vor allem das, nicht heiraten und eine Familie gründen zu können. Gleich zu Beginn der Handlung wird er schmerzhaft an diese Zugeständnisse erinnert, als er Berichten von Ghul-Angriffen nachgehen muss, die ausgerechnet jener Frau gelten, die jahrzehntelang die Liebe seines Lebens war.
Nur seine Berufung hatte ihn daran gehindert, sie zu heiraten. War es ihm in der Vergangenheit gelungen, seinen Frieden mit diesem Verzicht zu schließen, beginnt er es in letzter Zeit zu bereuen, dass ihm die Freuden eines normalen Lebens versagt sind.
Auf die harte Probe gestellt
Im Gegensatz zum guten Doktor ist sein junger Assistent, Raseed bas Raseed, ein Krieger des Ordens der heiligen Derwische, so fromm, dass er in seinen Wertungen über sich selbst und andere geradezu völlig unflexibel ist. Er meint, dass man entweder in Übereinstimmung mit den Dogmen der Tradition leben kann oder moralisch fehlgehe.
Aber auch er findet sich bald in einer Situation wieder, die ihn auf eine harte Probe stellt, als er und der Doktor, während sie die für die jüngsten Angriffe verantwortlichen Ghuls verfolgen, einer jungen Stammesangehörigen begegnen, Zamia Badawi.
Der Umstand, dass sie von den Engeln mit der Fähigkeit gesegnet wurde, sich in eine mit silbernen Krallen und Zähnen bewaffnete Löwin verwandeln zu können und auch noch den beiden Helden das Leben rettet, ist nur ein Teil des Problems. Zum ersten Mal in seinem Leben sieht sich Raseed Empfindungen ausgesetzt, die nichts mit seiner geheiligten Berufung zu tun haben, sondern einzig mit Zamia.
Mit Throne of the Crescent Moon ist Ahmed ein wundervolles Buch gelungen, in dem er nicht nur eine faszinierende Geschichte erzählt, die den Leser bis zum Ende fesselt, sondern seinem Publikum auch eine Umgebung nahebringt, die dem größten Teil seiner Leserschaft bisher völlig fremd war.
Während andere Autoren dies getan hätten, indem sie den Plot mit einer Fülle unnötiger Details und Hintergrundinformationen über diese so fremde Kultur überfrachten, gelingt es Ahmed, das Bild vermittels der Taten und Gedanken seiner Charaktere zu zeichnen.
Ob es um etwas ganz Simples geht, etwa wie darum, welche Art Tee der Doktor morgens am liebsten trinkt oder um etwas Anspruchsvolleres, wenn der sich für seine Verfehlungen selbst beschimpfende Raseed heilige Texte zitiert: Gegen Ende des Buches wird man sich in dieser Umgebung genau so zuhause fühlen, wie in einer, in deren Kultur und Gesellschaft man sich besser auskennt.
Richard Marcus
Saladin Ahmed: "Throne of the Crescent Moon", Penguin Canada, Februar 2012, 304 Seiten
© Qantara.de 2013
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de