Wo Träume wahr werden (können)
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Familie Khan aus dem Stadtteil Jackson Heights im Stadtteil Queens von New York City. Die Mutter – Khala Khan – stammt aus Pakistan. Sie zieht ihre beiden Töchter Sam und Maryam alleine groß, nachdem ihr Mann die Familie verlassen hat. Zu Beginn des Films gesellt sich Ameera dazu, eine pakistanische Cousine der beiden in Amerika geborenen jungen Frauen. Sie kommt buchstäblich frisch aus dem Flugzeug. Ameera hat klare Vorstellungen: In Amerika will sie einen pakistanisch-amerikanischen Arzt finden und heiraten. Ameeras Geschichte macht zwar nur ein Drittel von American*ish aus, aber sie ist auch die Achse, um die sich der Film dreht.
Ihr Traum von einer Ehe mit einem amerikanischen Arzt als Garantie für eine glückliche Zukunft verdeutlicht die Unterschiede zwischen ihr und ihren beiden in den USA geborenen Cousinen. Sam geht ganz in ihrem Beruf auf und will Karriere machen. Heirat ist für sie kein Thema. Ihre jüngere Schwester Maryam konzentriert sich voll auf ihr Medizinstudium. Anders als ihre Schwester Sam ist Maryam eher traditionsbewusst: Sie trägt einen Hidschab und achtet darauf, dass ihre Mahlzeiten halal sind. Beide Khan-Töchter haben eins gemeinsam: Die Ehe hat keine Priorität für sie. Ihre Mutter würde sie zwar gerne mit geeigneten Männern verheiraten – für Sam hat sie einen netten deutsch-pakistanischen Arzt im Blick – aber die Töchter haben erst einmal anderes im Sinn.
Mehr als eine gängige Liebeskomödie
Also konzentriert sich Khala voll und ganz darauf, für Ameera einen Mann zu finden. Dazu durchforstet sie auch den Heiratsmarkt in der Lokalzeitung Urdu Times – was zu einer herben Enttäuschung wird: "All diese 50-jährigen Männer posten Bilder von sich, als sie 18 waren und noch volles Haar hatten“, beklagt Ameera. Gipfel der Geschmacklosigkeit ist allerdings "Halal Speed Dating“. Hier ist der Name gleichsam Programm.
American*ish ist allerdings mehr als eine übliche Liebeskomödie. Sicher bedient der Film viele genretypische Klischees: Die Liebe finden wir an unerwarteten Orten. Wir müssen wählen zwischen dem, was unser Herz will, und dem, was von uns erwartet wird. Und wir müssen uns zwischen Erfolg im Beruf oder Glück in der Ehe entscheiden. Und doch lotet der Film ein tieferes gesellschaftspolitisches Terrain aus als andere Filme ähnlicher Machart.
Keine herkömmliche romantische Komödie: American*ish beleuchtet verschiedene Ebenen weiblichen Lebens, die sich mit kulturellen und gesellschaftlichen Erwartungen überschneiden. Der Film spielt im Stadtteil Jackson Heights von New York City. Die Geschichte ist so glaubhaft wie liebenswert und eröffnet abseits der klassischen Liebeskomödien neue Perspektiven.
Zum einen dreht sich die Handlung um eine muslimische pakistanisch-amerikanische Familie. Haben wir jemals einen amerikanischen Mainstream-Film gesehen, der in dieser Community spielt?
Und welche Filme thematisieren überhaupt die Vielfalt der Meinungen und Haltungen nicht nur in der pakistanisch-amerikanischen Community, sondern unter den amerikanischen Muslimen ganz allgemein?
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass die meisten amerikanischen Fernseh- und Kinofilme eingewanderte Muslime als eine monolithische Gruppe mit einer Art Schwarmdenken darstellen. Bewusst oder unbewusst: Dieses Bild wird uns tagtäglich vermittelt. Es führt zur Verfestigung von Stereotypen und schließlich zu einem systemischen Rassismus.
Was wir auf dem Bildschirm sehen, ist wichtig. Es prägt unsere Wahrnehmung der Lebensweise und der Menschen um uns herum – ob wir wollen oder nicht.
Im Rahmen der Studie "Missing and Maligned“ wurden 200 der beliebtesten Filme untersucht, die zwischen 2017 und 2019 in den USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland veröffentlicht wurden: Das Ergebnis: Muslime sind auf der Leinwand stark unterrepräsentiert und werden in der Regel negativ dargestellt.
Verschärft wird das Problem dadurch, dass die Mehrheit der muslimischen Darsteller "Bösewichte“ spielt und männlich ist. Nahezu 80 Prozent aller Rollen werden von Männern gespielt, die in der Regel eine Waffe tragen und herumbrüllen. Wo bleiben die Frauen?
Darüber hinaus machen rechtspopulistische Politiker und Meinungsmacher weltweit gesellschaftliche Missstände plakativ an Migranten fest. So werden ausgerechnet die Menschen zur Zielscheibe, die erst seit kurzem Teil unserer Gesellschaft sind – insbesondere muslimische Frauen.
Keine stereotypen muslimischen Männer
In diesem Kontext betrachtet, ist American*ish umso bemerkenswerter. Hier stehen vier Frauen im Mittelpunkt, die ihre Entscheidungen ohne die Unterstützung der ihnen nahestehenden Männer treffen. Jede Frau hat andere Werte und Ziele, wobei diese als gleichermaßen legitim dargestellt werden. Sie entscheiden selbst und lassen sich von niemandem etwas aufzwingen.
Selbstverständlich gibt es auch die Männer. Sie unterscheiden sich allerdings von der üblichen Darstellung islamischer Männer. Da gibt es einen Polizisten, einen Medizinstudenten, den pakistanisch-amerikanischen Arzt und den Besitzer eines örtlichen Lebensmittelladens. Keiner von ihnen scheint mit Vorliebe Parolen zu brüllen und Bomben zu werfen. Ihre Schwächen entsprechen eher den üblichen Schwächen aller Männer in romantischen Komödien. Diese charakterlichen Defizite haben nichts damit zu tun, dass die Männer islamisch sind. Wohl aber damit, dass ihnen die typisch männlichen Komplexe anhaften, wenn es um Frauen geht, die ihre eigene Meinung vertreten und wissen, was sie wollen.
Vermutlich können sich alle Migrantinnen mit den Töchtern Sam und Maryam identifizieren, die ein Gleichgewicht suchen zwischen den kulturellen Wertvorstellungen ihrer Familien und der Welt, in der sie aufgewachsen sind. Sogar Ameera, die ihr USA-Bild auf Filme wie Der Prinz aus Zamunda mit Eddie Murphy gründet und die fest daran glaubt, Amerika sei der Ort, an dem Träume wahr werden, beginnt allmählich, die Dinge anders zu sehen. Sie hält zwar weiter an ihren Träumen fest, passt sie aber an die veränderten Realitäten vor Ort an.
Unterhaltsam und lehrreich zugleich
Sicherlich unterscheiden sich die Traditionen und Bräuche der Familie Khan von denen, die normalerweise auf amerikanischen Leinwänden zu sehen sind. Doch die Emotionen und Reaktionen der Charaktere sind universell. Dass es Zuschauer gibt, die nach dem Kinobesuch Dinge sagen wie "Oh, die sind ja wie wir“, sagt viel über den Zustand unserer Welt und verdeutlicht, wie wichtig ein Film wie American*ish ist.
Dazu kommt, dass American*ish richtig gut ist. Das erstklassige Drehbuch aus der Hand des Autorenduos Aizzah Fatima und Iman K. Zawahry, die wunderbaren Darsteller und die gekonnte Regie reißen uns mit und machen einfach Spaß. Man lehnt sich zurück und genießt einen großartigen Film, während man gleichzeitig seinen Horizont erweitert. Das ist eher selten im aktuellen Kino.
Abgesehen von der positiven Darstellung von Diversität und dem Mut, einen Blick auf die Trennlinie zwischen den afroamerikanischen und den südostasiatischen islamischen Communities zu werfen, ist American*ish ein Film mit interessanten Charakteren und einem Plot, der einige überraschende Wendungen zu bieten hat.
Seien wir ehrlich: Es gibt nicht viele Komödien – und vor allem keine romantischen – die nicht in Klischees oder Sentimentalität abgleiten. American*ish ist nicht nur eine Ausnahme von diesen Klischees, der Film macht auch nachdenklich und geht ans Herz.
Derzeit wird American*ish in den USA auf Festivals gezeigt. Sobald unser gesellschaftliches Leben wieder zur Normalität zurückkehrt, sollte der Film auf Streaming-Plattformen und in Kinos rund um den Globus zu sehen sein. Wenn Sie Gelegenheit haben, schauen Sie sich diesen wunderbaren Film an. Sie werden es nicht bereuen.
© Qantara.de 2021
Aus dem Englischen übersetzt von Peter Lammers