Das "Mipster"-Phänomen
Es ist ein ganz gewöhnlicher Nachmittag im Mission-Distrikt von San Francisco. Im dortigen Stadtpark und in den vielen neu gegründeten Cafés, in denen die jüngst zugewanderten High-Tech-Angestellten bedient werden, versammeln sich die üblichen bärtigen Technikfreaks in ihren engen Hosen.
Beinahe hätte das ungeschulte Auge eine Gruppe von fünf jungen Leuten übersehen, die in einem Café in der Nähe des Dolores-Parks sitzen. Die Bärte der Männer sind penibel gestutzt, ihre Computer liegen auf dem Tisch, und das Gespräch dreht sich gerade um eine Grassroots-Indie-Rockband. Alle fünf sind praktizierende Muslime, eine der Frauen trägt einen Schleier. Sie sind keine normalen Hipster, man könnte sie wohl eher als "Mipster" bezeichnen, als muslimische Hipster.
Ammar, ein 27-jähriger syrisch-amerikanischer Programmierer, schreckt sofort vor dieser Bezeichnung zurück. Dieser neue Begriff für junge muslimisch-amerikanische Berufstätige, der bei anderen ähnliche Assoziationen wie der Begriff "Hipster" weckt, sagt ihm überhaupt nicht zu: "Ich weiß nicht, ob mir diese Bezeichnung gefällt", sagt er. "Dass wir es mögen, irgendwie mit Hipstern in Verbindung gebracht zu werden, erwartet sicher keiner, oder? Aber wenn die Leute uns 'Mipster' nennen, ist das in Ordnung, denn das bedeutet ja immerhin, dass wir Amerikaner sind." Vorbehalte gegen Muslime in den Vereinigten Staaten spüren muslimische Amerikaner seit den Anschlägen vom 11. September 2001, seit nunmehr fast fünfzehn Jahren.
Für diese Gruppe und Tausende weiterer junger Muslime im ganzen Land bedeutet ihre Identität als "Mipster", in der gesellschaftlichen Mitte angekommen zu sein. "Ich denke, man kann sagen, dass wir es geschafft haben", fährt Ammar fort. "Wenigstens lachen sie über uns, weil wir angeblich Hipster sind und nebenbei auch noch Muslime."
Was ist ein "Mipster"?
"Hipster" steht im San Franciscoer Sprachgebrauch für junge, meist technologieaffine oder im technischen Bereich arbeitende Erwachsene mit engen Jeans, getrimmten Bärten und dem, was die Einheimischen abfällig als "Aura der Hochnäsigkeit" bezeichnen.
Auf der Facebook-Gruppe "Mipsterz" wird in einer Art Manifest folgende Definition festgelegt: "Ein Mipster ist sozial eingestellt und sehnt sich nach einer gerechteren und integrativeren Gesellschaftsordnung ohne überkommene Wertvorstellungen. Er weigert sich, blind in einer Welt mitzuschwimmen, die vom Klassendenken dominiert wird und die Folgen dieser Einstellung ignoriert. Der 'Mipster' ist ein mutiger, aber bescheidener Geist, der für unterschiedliche Ansichten offen ist und genug Persönlichkeit besitzt, um zur richtigen Zeit zu handeln, seine Meinung zu sagen oder sich durchzusetzen".
Für die 25-jährige Heba, eine Amerikanerin ägyptischer Herkunft, ist diese Idee nicht notwendigerweise negativ, aber sie hofft, im weiteren Verlauf der Debatte könnten die nichtmuslimischen Amerikaner mehr Verständnis dafür entwickeln, wie Muslime im Land leben und miteinander umgehen.
"Ich habe nichts gegen den 'Mipster'-Begriff, weil er bedeutet, dass wir einen Teil der amerikanischen Identität ausmachen", meint sie. "Ich kann Nicht-Muslime kennenlernen und mich über sie freuen, da wir gemeinsame Interessen haben. Wir mögen die gleichen Bands und gehen zu den gleichen Konzerten. Das macht einfach Sinn."
Sie fährt fort, dass ihr Schleier, der Hidschab, von ihren Freunden als Mode-Accessoire betrachtet wird, und dass die vielen unterschiedlichen Designs, die sie in ihrem Kleiderschrank hat, ausgiebig kommentiert werden. Sie glaubt, durch die Hipster-Kultur werde es für viele Muslimas leichter, sich von althergebrachten Konventionen und Bräuchen zu befreien und mehr Lebenserfahrung zu sammeln, selbst wenn sie einen Schleier tragen.
"Ich glaube, viele von uns jungen muslimischen Frauen wollen immer noch mit der Mode gehen und sich uns von anderen unterscheiden – und an diesem Punkt kommt mein Hidschab ins Spiel, da ich ihn auf viele verschiedene Arten tragen kann. Und die vielen Farben entsprechen dem Wechsel meiner Identität", fährt sie fort. "Seit ich die Dinge praktiziere, die mich wirklich glücklich machen, bin ich ein anderer und viel offenerer Mensch. Und wenn ich deswegen "Hipster" oder "Mipster" genannt werde, bin ich gerne damit einverstanden", fügt sie hinzu.
Ein neuartiges Phänomen
Die Hipster-Kultur ist zu einem Bestandteil der städtischen Kultur Nordamerikas geworden. Und speziell in San Francisco hat sie ihre eigene ausgefeilte und technikaffine Note entwickelt. Aber dass Muslime an dieser Kultur teilhaben, ist ein relativ neues Phänomen. Die "Mipsterz"-Gruppe auf Facebook hat im letzten Jahr ein Video von verschleierten Frauen veröffentlicht, die Skateboard fahren und Selfies machen. Durch dieses Video gelangte die Mipster-Kultur erstmals ans Licht der Öffentlichkeit und wurde zu einem fest stehenden Begriff.
In Kommentaren wurde die Gruppe dafür sehr gelobt. So schrieb etwa Yazmine Hafiz in der Huffington Post: "Ich gratuliere Mipsterz für ihre Eigeninitiative und Kreativität! Die muslimische Gemeinschaft braucht mehr Innovationen. Sie muss mehr Risiken eingehen und ihre Grenzen erweitern. Die Reaktionen auf dieses Video erinnern uns daran, was dem amerikanischen Islam wirklich fehlt – nämlich ein offener Geist".
Auch in den amerikanisch-muslimischen Gemeinschaften, die die kulturelle Identität des "Mipster"-Konzepts eher imaginär sehen, gewinnt diese Idee an Boden. Aber unsere Muslime hier hoffen, diese Identität könne ihnen ermöglichen, ihren Glauben zu zeigen und trotzdem ihre Individualität auszudrücken.
Heba ist einverstanden und nickt. Mariam, die nicht verschleierte Frau in der Gruppe, springt im letzten Moment ein und sagt, sie hoffe, dass die Menschen nicht nur die Religion und die amerikanischen Muslime wahrnehmen, sondern auch ihre Persönlichkeit und Eigenschaften als Menschen.
"Selbst wenn diese ganze 'Mipster'-Idee nur von vorübergehender Natur ist, hoffe ich, dass die muslimischen Amerikaner in Zukunft einfach stärker als Menschen betrachtet werden. Wir wollen nicht anhand unserer Kopftücher oder Bärte beurteilt werden, sondern daran, wer wir als Menschen, als Amerikaner sind."
Joseph Mayton
© Qantara.de 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff