Gefahr für Aktivisten?
Am Ende setzte sich die Geschäftsführung durch. Zur Jahreshauptversammlung der Google-Muttergesellschaft Alphabet Anfang Juni hatte eine Gruppe von Menschenrechtsaktivisten eine Resolution eingebracht, die die Investoren des Unternehmens aufforderte, von Google eine Stellungnahme zu dessen Aktivitäten in Saudi-Arabien zu verlangen. Unter anderem sollte das Unternehmen einen Bericht in Auftrag geben, "der die Standortwahl von Google-Cloud-Rechenzentren in Ländern mit erheblichen Menschenrechtsproblemen bewertet".
Zwar stimmten gut 57 Prozent der unabhängigen Aktionäre für die Annahme des Beschlusses. Doch dann wurden sie von der Google-Geschäftsführung überstimmt: Die Resolution wurde abgelehnt.
Auf eine Anfrage der Deutschen Welle ging das Unternehmen nicht direkt ein. Es schickte lediglich einen Link zu seinem Blogbeitrag vom Dezember 2021. Darin kündigte es den Bau eines Datenzentrums in der saudischen Hafenstadt Dammam an der Ostküste des Landes an. Das zusammen mit dem Energieunternehmen Saudi Aramco geplante Center würde das erste seiner Art sein, das von einem der großen westlichen Digitalunternehmen betrieben wird. Damit zieht Google gegenüber dem chinesischen Unternehmen Alibaba nach, das bereits zwei Rechenzentren in Saudi-Arabien betreibt.
Ausspionierte Dissidenten
Menschenrechtsgruppen sind angesichts des Projekts alarmiert. "Ein Cloud-Zentrum in Saudi-Arabien wird Menschenleben gefährden", sagte Laura Okkonen von der an der Gegen-Kampagne beteiligten Organisation Access Now gegenüber der Deutschen Welle.
Tatsächlich schreckt Saudi-Arabien - wie eine ganze Reihe von Regierungen in der Region - nicht davor zurück, seine digitalen Möglichkeiten auch gegen die eigenen Bürger einzusetzen - mit bisweilen tödlichen Folgen. Im Jahr 2018 etwa spionierte die Regierung Medienberichten zufolge erst mit Hilfe der Spionagesoftware Pegasus die Familie des saudischen Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi aus, bevor dieser im selben Jahr im saudischen Konsulat in Istanbul mutmaßlich auf Veranlassung der höchsten Staatsspitze ermordet wurde.
Ein Jahr später, 2019, wurden zwei ehemalige saudische Mitarbeiter von Twitter in den USA angeklagt. Die beiden hatten ihre Stellung im Unternehmen dazu missbraucht, der saudischen Regierung die Identität von Kritikern zu enthüllen.
Im vergangenen Jahr wurde ein saudischer Entwicklungshelfer, Abdulrahman al-Sadhan, in seinem Heimatland zu einer 20-jährigen Haftstrafe verurteilt. Sein Vergehen: Er hatte über einen Twitter-Account Witze über die saudische Regierung gemacht. Auch bei seiner Enttarnung soll Spionagesoftware zum Einsatz gekommen sein.
Warnungen von Menschenrechtlern
Nun fürchten Kritiker, die saudische Regierung könnte sich auch die geplante Google-Niederlassung für ihre Zwecke zunutze machen. Zwar rühmt sich das amerikanische Tech-Unternehmen, die Daten seiner Nutzer sorgfältig zu schützen. Allerdings hat es in der Vergangenheit nicht immer die volle Distanz zu autoritären Regimen gewahrt - etwa zur chinesischen Regierung. So erklärte das US-Unternehmen 2019, es habe ein geheimes Projekt mit dem Codenamen Dragonfly beendet. Dabei handelte es sich um eine speziell für China entwickelte Suchmaschine, mit der sich Auskünfte zu heiklen Fragen wie Menschenrechten, Demokratie, Religion und politischem Protest hätten filtern lassen können.
Menschenrechtsgruppen weisen seit geraumer Zeit auf mögliche Risiken hin, die sich aus dem geplanten Datencenter in Dammam ergeben könnten. "Der Schritt könnte die saudische Regierung dabei unterstützen, Menschenrechtsverletzungen zu begehen", hieß es in einem im vergangenen Jahr von 31 internationalen Organisationen unterzeichneten Schreiben - darunter Amnesty International, das Oxford Internet Institute und Human Rights Watch.
Tatsächlich ließen sich in Speicherzentren gesammelte Daten nicht vollkommen schützen, sagt Björn Scheuermann, Forschungsdirektor am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. So könnten Rechenzentren auch schlichtweg von Behörden aufgefordert werden, Daten preiszugeben. "Das geschieht etwa durch einen entsprechenden Gerichtsbeschluss", so Scheuermann. "Und in einem autoritären System stößt die juristische Verteidigung gegen gerichtliche Anordnungen schnell an ihre Grenzen."
"Undurchsichtige Gesetze"
Auf seiner Webseite informiert Google darüber, wie es auf Regierungsanfragen nach Nutzerdaten reagiert. Zudem veröffentlicht das Unternehmen alle sechs Monate Berichte, aus denen hervorgeht, wie viele Anfragen es erhalten und wie viele es positiv beantwortet hat. Für Saudi-Arabien allerdings liegen derzeit keine aktuellen Statistiken vor.
Die saudische Rechtslage könnte Google noch erhebliche Probleme bereiten, meint Marwa Fatafta, bei der Nichtregierungsorganisation Access Now als "Policy Managerin" für den Nahen Osten zuständig: "Die saudi-arabischen Gesetze zur Internetregulierung sind undurchsichtig und können juristisch leicht missbraucht werden."
Zwar untersage es das neue, Anfang nächsten Jahres in Kraft tretende Datenschutzgesetz des Landes, personenbezogene Daten offenzulegen. Doch das saudische Rechtssystem unterstehe dem Königshaus und auch inhaltlich bleibe eine Hintertür offen, so Fatafta: Die Regierung könnte etwa unter Berufung auf vorgebliche Sicherheitsgründe Einsicht in Daten fordern.
Dass sich ein Unternehmen einer solchen Anforderung verweigern könnte, sei zumindest zweifelhaft, meint Fatafta. "In einem solch autoritären System ist schwer vorstellbar, dass Google oder ein anderer Akteur sich auf einen Machtkampf mit der saudischen Regierung einließe."
Auch das saudische Gesetz gegen Internetkriminalität aus dem Jahr 2007 könnte nach ihrer Einschätzung zu Problemen führen - etwa dass Google aufgefordert würde, bestimmte Inhalte zu sperren oder zu entfernen und die saudische Telekommunikationsaufsichtsbehörde entsprechend zu informieren. Inwieweit es dabei wirklich immer um Kriminalität geht, erscheint zumindest fraglich. "Das saudische Gesetz über Cyberkriminalität ist eines der repressivsten in der Region", betont Fatafta.
© Deutsche Welle 2022
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.