Selbstbewusst auf akademischem Neuland
An Selbstbewusstsein mangelt es Serdar Kurnaz nicht. Mit seinem Promotionsvorhaben könne der islamischen Jurisprudenz (fiqh) "ein neuer philologischer, theologischer und rechtsphilosophischer Zugang" eröffnet werden, erklärt der 23-Jährige vom Rednerpult aus.
Auch Nimet Seker legt die Latte für ihre Doktorarbeit über geschlechtergerechte Zugänge zum Koran hoch: Die 31-Jährige will nach eigenen Worten entsprechende Ansätze "fortführen und verfeinern", um letztlich die zeitgenössische Koran-Hermeneutik methodisch weiterzuentwickeln.
So viel Ambition passt zu den hohen Erwartungen, mit denen der erste Jahrgang des Graduiertenkollegs Islamische Theologie jetzt in Berlin an die wissenschaftliche Arbeit geschickt worden ist.
Zu einer "angemessenen Repräsentation muslimischer Stimmen in Wissenschaft, Schule und Öffentlichkeit" solle das Kolleg beitragen, so die Hoffnung der Mercator-Stiftung, die dafür bis 2016 insgesamt 3,6 Millionen Euro zur Verfügung stellt: "Es schafft zudem die Voraussetzungen für die Ausbildung von Religionslehrern für islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen und für die Ausbildung von Imamen an Universitäten in Deutschland."
Bis zu 15 Jungwissenschaftler von sieben Universitäten sollen künftig mit gemeinsamen Seminaren und Konferenzen bei ihren Dissertationen etwa zu Koranwissenschaften, Islamischem Recht, systematischer Theologie (kalam), islamischer Philosophie oder Religionspädagogik gefördert werden; im ersten Jahrgang sind es sieben Kollegiaten.
Den Islam im deutschen Kontext etablieren
Damit werde eine Plattform dafür geboten, "dass etwas Neues entsteht in Deutschland - dass wir hier von unten Forschungen vorantreiben, die eine neue Sicht auf den Islam werfen, die auch neue Erkenntnisse produzieren, damit sich der Islam im deutschen Kontext etabliert", sagt Projektkoordinator Mouhanad Khorchide von der Universität Münster.
Damit befördere das Kolleg dasselbe Ziel, das die Bundesregierung seit dem vergangenen Jahr mit der Schaffung von bundesweit vier Zentren für islamische Theologie verfolgt. Die politische Erwartungshaltung ist dabei klar. Es geht um eine zeitgemäße Integrationspolitik und darum, die Voraussetzungen für "den notwendigen Dialog der Kulturen" zu schaffen, wie das Bundesbildungsministerium bei einschlägigen Anlässen erklärt.
Den Anspruch der beteiligten Universitäten formulierte der Sprecher des Kollegs, Harry Harun Behr, Professor für islamische Religionslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg: "Muslimische Theologinnen und Theologen sind Grenzgänger, um die schwierige Übersetzungsarbeit zwischen unterschiedlichen Systemen des Wissensmanagements leisten zu können." Daneben sollten sie in die muslimische Gemeinschaft hinein wirken: "Die behutsame Provokation gehört zum Geschäft. Muslimische Theologen sind Anstifter zur Veränderung."
Was damit gemeint sein könnte, zeigen die geförderten Forschungsvorhaben. Sie drehen sich etwa um feministische islamische Theologie, die Wiederentdeckung vergessener frühislamischer Theologen, die historisch-kritische Erforschung von Koranhandschriften oder die Rolle von Sprache, Schrift und Vernunft bei der Interpretation von Koran und Prophetensprüchen. Auffällig viele der Themen stellen allzu einfache Vorstellungen vom Verständnis der kanonischen Quellen infrage - und könnten damit bei konservativen Muslimen durchaus Anstoß erregen.
"Neuentdeckung" des Korans
Doch die Kollegiaten - junge Migranten der ersten und zweiten Generation - halten ihre Fragestellungen schlicht für unumgänglich. Der Vorwurf etwa, mit einem historisch-kritischen Ansatz die Autorität des Korans zu relativieren, sei nicht neu, sagt die im Iran geborene Arabistin Tolou Khademalsharieh, die in Münster zur frühen Textgeschichte des Korans forscht: Auch die evangelische Theologie habe sich einst mit ähnlichen Einwänden auseinandersetzen müssen.
"Aber wegen dieser Kritik kann man auf die Methode nicht verzichten", insistiert die 31-Jährige. "Wenn man in Deutschland eine islamische Theologie etablieren möchte, darf man die Ansprüche der akademischen Öffentlichkeit nicht außer Acht lassen."
Ähnlich betont Nimet Seker, sie erfinde das emanzipatorische Potenzial des Korans ja nicht, sondern wolle es lediglich neu entdecken. "Diese Geschlechter- oder Frauenfrage ist weltweit schon ein Diskurs unter jungen Muslimen", sagt die Islamwissenschaftlerin und Qantara-Redakteurin. "Die Leute beschäftigen sich damit, und ich greife das auf."
Ebenso wenig wie zu heiklen Forschungsthemen haben die jungen Wissenschaftler Berührungsängste zu christlichen Traditionen der Theologie und Religionspädagogik. Fahimah Ulfat etwa, gebürtige Afghanin und im Erststudium als Grundschullehrerin ausgebildet, erläutert ihr Interesse an islamischer Religionspädagogik am Beispiel ihres Sohnes.
Der habe irgendwann freiwillig den katholischen Religionsunterricht besucht: "Er hat gesagt, der Unterricht ist einfach schön, da reden sie über Gott und singen Lieder über Gott. Das hat ihn angesprochen." Als Lehrerin, Muslimin und Mutter sehe sie daran, dass Kinder geradezu nach Religionsunterricht dürsteten - um ihren Glauben erklären zu können, aber auch um kritisch reflektierend darüber nachzudenken.
Ulfat selbst nahm während ihres Erweiterungsstudiums in islamischer Religionspädagogik auch an Kursen der christlichen Schwesterdisziplin teil. Dort galt sie anfangs als Exotin, doch sie empfand den Blick über den Tellerrand als Bereicherung.
"Mir ist aufgefallen, dass das Fach sehr stark auf einem wissenschaftlichen Fundament basiert", erinnert sie sich. Ihr Anliegen sei, dass dies in der islamischen Religionspolitik genauso werde, sagt die 37-Jährige, die nun an der Universität Erlangen-Nürnberg Gottesvorstellungen bei muslimischen Kindern im Grundschulalter untersucht.
Große Resonanz
Aus einem so unbefangenen Umgang mit eigenen wie fremden Traditionen spricht schon jetzt ein gewachsenes Selbstbewusstsein als vollwertige akademische Disziplin. "Die Etablierung der islamischen Theologie ist nicht mehr rückgängig zu machen", sagt Ömer Özsoy, Exegese-Professor an der Universität Frankfurt. Schon die Studentenzahlen zeugten von der ungeheuren Resonanz.
Gefahr für das Fach sehen dessen Vertreter und Förderer eher aus einer anderen Richtung. Unterschwellig gebe es durchaus die politische Erwartung, den Islam demokratiefähig zu machen, damit er in Deutschland anschlussfähig werde und die Muslime weniger Probleme bereiteten, sagt Katajun Amirpur, Professorin für islamische Theologie in Hamburg, und betont:
"Es ist an uns zu sagen: Wir machen hier keine Auftragswissenschaft und basteln Euch nicht einen integrierten Islam." Ein Beispiel für diese Haltung lieferte Seker anhand ihres feministischen Forschungsprojekts. "Meine Absicht ist keine explizit frauenfreundliche Lesart des Koran, die Unbequemes auslässt", stellte sie klar, "sondern ein besseres Verständnis."
In diesem Sinne mahnte auch der Kölner Philosophie-Professor Wilfried Hinsch, Mitglied des Wissenschaftsrats: "Der Wert der Wissenschaft ist zunächst einmal, dass sie als Wissenschaft glaubwürdig ist. Da wird sie ihre Glaubwürdigkeit gewinnen und nicht dadurch, dass sie vermeintlich gute Zwecke erfüllt."
Christoph Dreyer
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de