Abdel Fattah al-Sisis Suche nach einem Feigenblatt
Präsident Abdel Fattah al-Sisi, der sich selbst als Oberbefehlshaber der ägyptischen Streitkräfte an die Macht putschte, sieht in der Handball-WM eine gute Gelegenheit, sich in ein vorteilhaftes Licht zu setzen – dies allerdings zu einer Zeit, in der Ägypten bei seinen engsten regionalen und globalen Partnern auf heftigen Gegenwind stößt.
Eine erfolgreiche Ausrichtung der 27. Handball-Weltmeisterschaft der Männer 2021 in Kairo und Alexandria, an der erstmals 32 statt 24 Mannschaften teilnehmen, wäre auch ein gutes Argument, um der Kritik am Umgang der Regierung mit der Corona-Pandemie etwas entgegensetzen zu können. Erst unlängst räumte die ägyptische Gesundheitsministerin Hala Zayed ein, dass weit mehr Ägypterinnen und Ägypter an dem Virus erkrankt seien, als die Regierung bisher gemeldet hat. Eine erfolgreiche Austragung würde zudem Hassan Moustafa, dem aus Ägypten stammenden Präsidenten der Internationalen Handballföderation (IHF), ein Denkmal setzen.
Wegen der Pandemie hat Ägypten strikte Vorkehrungen für das Turnier getroffen. Diese gelten für Mannschaften, Funktionäre und Journalisten ab deren Ankunft am internationalen Flughafen Kairo. Die Maßnahmen greifen auch bei Training, Unterkunft, Medienkontakten und dem Pendelverkehr zwischen den Hotels und den vier vorgesehenen Spielstätten. Ägypten setzt offenbar alles daran, dass die WM nicht zur Verbreitung von COVID-19 beiträgt.
Entsprechende Sorgen veranlassten die IHF und die ägyptischen Behörden in letzter Minute dazu, ihre ursprüngliche Planung zu ändern und die vier Spielorte für Zuschauer zu sperren: den Cairo Stadium Indoor Halls Complex – die Handballhalle in der neu erbauten Hauptstadt Ägyptens östlich von Kairo –, die Dr. Hassan Moustafa Sports Hall in der Nähe von Giza und die Borg Al Arab Sports Hall in der Nähe von Alexandria.
Medizinisches Personal ohne Corona-Schutz
Die IHF erklärte, man habe die Entscheidung wegen „der aktuellen COVID-19-Lage und der Bedenken, die unter anderem von den Spielern selbst geäußert wurden,“ getroffen.
Kritiker werfen Ägypten vor, das Turnier auszurichten, obwohl das Land offenbar noch nicht einmal in der Lage sei, sein medizinisches Personal grundlegend vor Corona zu schützen, das an vorderster Front gegen die Pandemie kämpfe.
Ärzte und Pflegepersonal protestierten gegen die hohe Zahl von Infektionen in ihren Reihen, weil es ihnen an ausreichender Schutzausrüstung fehlt und ihnen Haftstrafen drohen, falls sie trotz der Gefahr für ihr Leben vom Dienst fernbleiben.
Wegen dieser Proteste wurden mehrere Ärzte unter Terrorismusverdacht verhaftet. Dies ist bezeichnend für Sisis brutales Vorgehen gegen jede Art von Kritik.
Davon abgesehen, dass eine Handball-WM im Vergleich zu einem Mega-Event wie einer Fußballweltmeisterschaft oder den Olympischen Spiele weit weniger Prestige abwirft, ist es unwahrscheinlich, dass dieses Turnier Sisis knallhartes Vorgehen gegen jeden, der seine frei Meinung äußert (außer seinen unterwürfigen Anhängern), verdecken kann.
Das gilt insbesondere für die künftige Regierung des neu gewählten US-Präsidenten Joe Biden. Erklärtermaßen will sie die Menschenrechte in der Außenpolitik stärker betonen. Das wird sie auch tun müssen, um das lädierte Image der USA aufzupolieren und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, die in den vier Regierungsjahren von Donald Trump schweren Schaden nahm – einem autoritär auftretenden Präsidenten, der an den Grundfesten der Demokratie rüttelte.
Die WM und der Fall Giulio Regeni
Die Handball-WM wird nichts daran ändern, wie Italien und weite Teile Europas über Ägypten unter al-Sisi denken, wo man Geheimdienst und Strafverfolgungsbehörden des Militärherrschers für Entführung, Folter und Ermordung von Giulio Regeni verantwortlich macht.
Der 28-jährige Doktorand der Universität Cambridge recherchierte über die unabhängigen Gewerkschaften Ägyptens, bevor er dort Ende Januar 2016 verschwand. Seine übel zugerichtete Leiche wurde in einem Straßengraben gefunden. Seine Mutter berichtete, sie habe ihren Sohn nur an der Nasenspitze identifizieren können. Als man Giulio Regeni untersuchte, fehlten ihm die Finger- und die Fußnägel. Sein Körper war mit Brandwunden und Schnitten übersät. Oberarmknochen und Schulterblätter waren gebrochen.
Die Beziehungen zwischen Ägypten und Italien verschlechterten sich letzten Monat weiter, als die ägyptische Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen zum Mord an Regeni einstellte und gleichzeitig die Erkenntnisse der italienischen Staatsanwaltschaft zurückwies, die vier ägyptische Sicherheitsbeamte für den Mord verantwortlich machte.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien werden sich kaum an der miserablen Menschenrechtsbilanz von Abdel Fattah al-Sisi stören. Doch das Turnier wird auch wenig dazu beitragen, die Risse in den Beziehungen zu den beiden wichtigsten Geldgebern Ägyptens zu kitten.
In den Hauptstädten der Golfstaaten wird man aufmerksam beobachtet haben, wo Ägypten einen wichtigen logistischen Knotenpunkt des Turniers angesiedelt hat, der auch das Medienzentrum der WM umfasst: im neu eröffneten St. Regis Hotel am Ufer des Nils in Kairo. Eigentümer des Hotels ist ein staatliches katarisches Immobilienunternehmen.
Der katarische Finanzminister Ali Sharif al-Emadi kam letzte Woche zur Einweihung des Hotels nach Kairo. Wenige Stunden zuvor hatte der Golf-Kooperationsrat (GCC) auf seinem Gipfeltreffen unter Beisein von Ägypten und Bahrain den dreieinhalb Jahre andauernden wirtschaftlichen und diplomatischen Boykott Katars aufgehoben. Er war 2017 auf Betreiben der Saudis und der Vereinigten Arabischen Emirate verhängt worden. Al-Emadi war das erste Regierungsmitglied aus Katar, das Ägypten seit Verhängung des Boykotts besuchte.
Egypt reopens its airspace to Qatari aircraft, and will allow the resumption of direct flights between the countries, which have been suspended since 2017: https://t.co/NoasIyibxv
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Etwas widersinnig sollte die Eröffnung des Hotels gegenüber Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten die Besorgnis Ägyptens darüber signalisieren, dass die Versöhnung mit Katar zu viele Zugeständnisse verlange. So hatte man beispielswiese auf die Forderung nach Schließung des staatlich finanzierten, weitgehend ungezügelt agierenden katarischen Fernsehsenders Al Jazeera ebenso verzichtet wie auf die Forderung nach Einstellung der Unterstützung politischer Gruppen wie der Muslimbruderschaft.
Ägypten erklärte sich scheinbar widerwillig mit der Aufhebung des Boykotts einverstanden, obwohl das Land in den letzten dreieinhalb Jahren von fortgesetzten Investitionen und Gaslieferungen aus Katar profitiert hat.
Bleibt Ägypten eine wichtige Säule der US-Nahostpolitik?
Ägypten fühlte sich auch dadurch ins Abseits gedrängt, dass die VAE und Bahrain diplomatische Beziehungen mit Israel aufgenommen hatten. Mit diesem Schritt verlor Ägypten seine Rolle als Israels vorrangiger offizieller diplomatischer Verbindung zur arabischen Welt. Dies zu einem Zeitpunkt, zu dem das Sisi-Regime in Erwartung des Amtsantritts von Joe Biden versucht, sich von seiner besten Seite zu zeigen.
Darüber hinaus dürfte Sisi weitere Entwicklungen mit Sorge betrachten: die Unterstützung der VAE für Äthiopien, das mit dem Bau eines Nil-Staudamms die Wasserversorgung Ägyptens bedroht; den wachsenden Einfluss der VAE im benachbarten Sudan; den Plan, die VAE und Israel mit einer Pipeline zu verbinden, die mit den ägyptischen Gaslieferungen nach Europa konkurrieren würde; und das Interesse der VAE am Hafen von Haifa, der als Alternative zum Suezkanal dienen könnte.
Diese Entwicklungen könnten die Stellung Ägyptens als wichtiger Säule der US-Nahostpolitik schwächen und die USA dazu veranlassen, ihre Nahost- und Nordafrika-Politik insgesamt stärker auf den Golf auszurichten.
Der ägyptische Präsident versucht derzeit, sich gegenüber der kommenden Regierung Biden in ein besseres Licht zu rücken: Er ließ Gefangene frei, betonte seine guten Beziehungen zu den ägyptischen Christen und hat US-Lobbyfirmen damit beauftragt, ägyptische Interessen sowohl gegenüber dem Biden-Lager als auch gegenüber dem Kongress vorzubringen.
Angesichts des Berges, den Sisi zu versetzen versucht, dürfte die Ausrichtung einer Handball-Weltmeisterschaft nur ein kleines Manöver sein. Vor allem eines, dem heute der Makel aus der Zeit von Donald Trump anhängt, der den ägyptischen Präsidenten einst "meinen Lieblingsdiktator" nannte. Diese Zuschreibung dürfte ein Handballturnier kaum vergessen machen.
James M. Dorsey
© Qantara.de 2021
Aus dem Englischen von Peter Lammers
James M. Dorsey ist ein preisgekrönter Journalist, Senior Fellow an der S. Rajaratnam School of International Studies der Nanyang Technological University in Singapur und am Middle East Institute der National University of Singapore. Er ist Autor des Blogs The Turbulent World of Middle East Soccer.