Das Krankenhaus für alle Kriege
Die Haut auf ihren Händen und in ihrem Gesicht hat die Textur von geschmolzenem und wieder erstarrtem Wachs. Keine Poren oder Haare sind mehr auszumachen, zwischen den ungleichmäßigen Falten, die die 11-jährige wie eine Greisin aussehen lassen, ist die Haut glatt wie Plastik.
Am 28. Dezember 2008 hat sich das Leben für Redha und ihre Familie für immer verändert. Der Vater Hasan, seine vier Kinder und seine Ehefrau waren damals gerade zu Hause in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, als es auf den Straßen in ihrem Viertel zu Schießereien und Kämpfen kam.
Eine Kugel traf den gerade für die kalten Wintermonate prall gefüllten Gastank der Wohnung, eine große Explosion ließ die ganze Wohnung in Flammen aufgehen. Und die Haut Redhas und ihrer Geschwister. Die zwei jüngsten Brüder Redhas und die Mutter blieben nahezu unversehrt, der ältere Bruder und sie trafen die Flammen am heftigsten.
"Es war nur verbrannte Haut"
Heute sitzt der Vater Hasan mit seiner 11-jährigen Tochter Redha und dem 12-jährigen Sohn Wessam neben dem Spielplatz des "Al-Mowasah"-Krankenhauses in der jordanischen Hauptstadt Amman. Dass sie heute hier in Sicherheit sitzen können, ist vor allem der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" zu verdanken, die dieses Krankenhaus seit mittlerweile elf Jahren betreibt.
Das führende Krankenhaus für rekonstruktive plastische Chirurgie im Nahen Osten begann als Projekt irakischer Ärzte, die nach dem Beginn des Irakkrieges in das Nachbarland Jordanien kamen und ihr Wissen und zum Teil auch die Patienten mitbrachten. "So richtig Fahrt nahm der Betrieb dann auf, als der Aufstand islamistischer Gruppen in Irak ab 2007 seinen Höhepunkt erreichte und einige Jahre später in Ländern wie Libyen, Syrien und Jemen die Revolutionen in Bürgerkriege umschlug", sagt Maria al-Fadel, die Pressesprecherin des Krankenhauses. Heute kommen fast 40 Prozent der Patienten des Krankenhauses aus Irak, dicht gefolgt von syrischen und jemenitischen Patienten.
Allen Patienten, wie auch Hasan und seinen Kindern, geht ein Auswahlverfahren im Heimatland voraus, anschließend organisiert "Ärzte ohne Grenzen" in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium in Jordanien das benötigte Visum zur Anreise. Die meisten Patienten verbleiben im Schnitt vier bis sechs Monate am Stück in dem Krankenhaus, und da die verbrannten Leiber, nach Explosionen durch schlechte Behandlung falsch zusammengewachsenen Knochen oder amputierten Gliedmaßen eine jahrelange Therapiephase notwendig machen, kehren die meisten hierher zur Nachbehandlung zurück – im Schnitt drei Mal. Bezahlt wird alles – Reisen, Behandlungen, Medikamente und Klinikpersonal – ausschließlich durch Spenden.
"Meine beiden Kinder haben bisher 18 Operationen hinter sich – jeweils. Wir sind zum zweiten Mal hier, und sind sehr froh, dass wir hier in Sicherheit leben dürfen. Und natürlich, dass die Ärzte uns wieder ein normales Leben ermöglicht haben", sagt der 41-jährige Vater. "Nach der Explosion in unserem Zuhause haben uns teilweise unsere eigenen Nachbarn nicht einmal mehr die Hand geschüttelt. Alle dachten, wir hätten eine ansteckende Krankheit, aber es war nur verbrannte Haut."
Ruhe von der Apokalypse
Dr. Mukhallid ist einer der behandelnden Ärzte der "Al-Mowasah"-Klinik. An diesem Sonntagmorgen wird er den 14-jährigen Bassam aus Jemen operieren, auch er wurde an den Armen bei einer Explosion verbrannt. Nach der fast zweistündigen Operation sitzt der 42-jährige Iraker vor dem nächsten Termin einige Minuten in einem Nebenzimmer, bevor es an den nächsten Eingriff geht, bis zu fünf davon hat er an einem Tag.
"Die meisten meiner Patienten, die plastische Rekonstruktion benötigen, brauchen zwischen zehn und 15 Operationen. Da sich nach einer Verbrennung die Haut vor allem zusammenzieht, haben viele eine eingeschränkte Mobilität. Diese versuchen wir wiederherzustellen."
Konkret heißt das etwa, dass Gesichtsverbrennungen oft dazu führen, dass Betroffene ihre Augen oder den Mund nicht mehr schließen können. "Bassam, den ich gerade operiert habe, konnte seine Hände und Arme nicht mehr richtig strecken, weil die Haut zu straff war. Also schneiden wir sie auf und transplantieren Spenderhaut, meistens von den Oberschenkeln."
Wie viele seiner Kollegen hat auch Dr. Mukhallid vorher schon in anderen Krankenhäusern, die auf plastische Rekonstruktion spezialisiert waren, gearbeitet. Unter anderem in Diyala, Sulaimaniyah und in Bagdad hat er gewirkt, bevor er 2013 nach Jordanien kam. "Ich mag es hier zu arbeiten, weil ich hier vom Krankenhaus für meine Arbeit bezahlt werde. Es erfüllt mich mehr, wenn ich meinen Patienten kein Geld abnehmen muss, wie das im Irak der Fall ist. Für mich ist das eine persönliche Angelegenheit, weil ich hier vom Krankenhaus bezahlt werde, dieses meine Patienten aber gratis aufnimmt."
Gleichbehandlung für alle
So individuell wie die Verletzungen der Patienten im "Al-Mowasah"-Krankenhaus sind auch deren Geschichten: Mohammad aus Bagdad ist seit drei Monaten hier, es ist bereits sein drittes Mal. 2006 haben Unbekannte in Bagdad auf das Haus der Familie gefeuert, sein Vater und zwei seiner Onkel sind dabei ums Leben gekommen. Er wurde schwer am Bauch und am linken Bein verletzt.
Der mehrfache Bruch seines Beins war so kompliziert, dass umfangreiche Physiotherapie notwendig wurde und er so nach Amman kam. "Am liebsten würde ich hier bleiben. Wir leben immer noch in demselben Haus, die Einschusslöcher sind noch zu sehen, 2016 wurden wir sogar erneut bedroht. Ich konnte wegen des Vorfalls nie die Schule beenden, ich habe kein Geld, keine Arbeit und auch keine Aussicht, wenn ich wieder zu Hause bin. Nur Gott weiß, was passieren wird."
Einer der Therapeuten im Krankenhaus ist Zaid, ein junger Jordanier aus Madaba. Zaid fühlt sich seinen internationalen Patienten und dem Credo seines Arbeitgebers gegenüber verpflichtet: "Ich behandle hier alle gleich, unabhängig von Religion oder Nationalität. Vielen meiner Patienten bin ich sehr nahe, ich verbringe hier mehr Zeit mit ihnen als zu Hause mit meiner eigenen Familie."
Am heutigen Sonntag arbeitet er gerade mit Hamid, einem 65 Jahre alten pensionierten Armeeangehörigen aus Ta'iz in Jemen. Seit Ende Juli ist er in Jordanien, einer seiner Söhne durfte mitreisen, da er auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Mit Beginn des Bürgerkrieges 2015 und dem Einmarsch Saudi-Arabiens wurde er in seiner Heimatstadt durch eine Explosion verletzt und musste alleine in Jemen sechs Mal operiert werden.
Vertrauen in die Ärzte
Seit Ende Juli geht er nun hier in der Klinik seine Runden auf Krücken durch den Saal, belastet sein mehrfach gebrochenes Bein jedes Mal ein bisschen mehr, bis er irgendwann wieder ohne fremde Hilfe gehen kann. "Ich habe sehr viel Vertrauen in die Ärzte und mich selber, man muss immer optimistisch bleiben. Nur meine Familie, die vermisse ich sehr. Ich freue mich bereits, sie bald wiederzusehen und darauf, beim Wiederaufbau helfen zu können. Am meisten freuen würde es mich, wieder Strom und Wasser in unsere Stadt bringen zu können."
So detailliert die Krankenakten der Patienten auch sein mögen, es gibt Details, die werden darin niemals zu finden sein. So fragen die Ärzte und Pfleger etwa nie nach den politischen Umständen, unter denen die Gewalt an den Opfern verübt wurde.
Wer die Kugeln abgefeuert oder die Bomben abgeworfen hat, und warum, das ist für die "Ärzte ohne Grenzen" irrelevant. Die Sprecherin Maria al-Fadel führt das aus: "Natürlich können wir damit auch nicht ausschließen, dass wir auch Kriegsverbrecher behandeln, aber das ist hier nicht wichtig, da wir uns dem Wohl der Menschen verschrieben haben, und da haben politische und religiöse Labels nichts verloren. Wir wollen einfach helfen."
Philipp Breu
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