Verpasste Chancen

Hip-Hop könnte ein Raum sein, der jungen Männern in Papua die Chance eröffnet, sexuelle Gewalt zu verurteilen und eine Form von Männlichkeit zu fördern, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. Leider ist heute bei vielen Bruderschaften das Gegenteil der Fall. Von Diana Teresa Pakasi

Von Diana Teresa Pakasi

Junge Männer in Westpapua lieben Hip-Hop. Sie posten ihre selbst komponierten Songs auf YouTube, Instagram und Facebook. Einige Songs kommen auf mehrere Millionen Aufrufe. So wurde "Turun Naik" (Auf und Ab) von Fresh Boy und der Blasta Rap Family über 12 Millionen Mal auf YouTube aufgerufen.

Ein weiterer Song, "Ade Kelas" (junges Mädchen) von Suku Dani, mit Fresh Boy, Zuid Boyz und Lesto Baco, erzielte innerhalb eines Monats nach seiner Veröffentlichung mehr als eine Million Aufrufe. Auch auf Facebook hat Hip-Hop in Westpapua viele Follower. So zählt die Facebook-Gruppe Para-Para hip-hop beispielsweise mehr als 4.000 Mitglieder. Die Gruppe Abe Rap kommt immerhin auf mehr als 200 Mitglieder.

Mittlerweile gründen viele junge Männer aus Westpapua ihre eigenen Hip-Hop-Gruppen, schreiben Songs, drehen Musikvideos und stellen diese dann online. So entstehen immer mehr Hip-Hop-Gruppen in Städten wie Jayapura, Sorong und Manokwari. Jeden Samstagabend spielen sie in Einkaufszentren, auf Parkplätzen, in öffentlichen Parks, auf dem Campus von Universitäten oder bei Gemeindeveranstaltungen.

Das Publikum setzt sich aus jungen Männern und Frauen aus Westpapua und anderen Teilen Indonesiens zusammen.

Über Social-Media- und Musik-Streaming-Plattformen wie Spotify und ReverbNation hören junge Menschen in Westpapua auch ausländischen Hip-Hop. Doch junge Männer in Westpapua sind nicht nur Konsumenten: Sie eignen sich die Hip-Hop-Musik an und rekontextualisieren sie anhand ihrer eigenen Lebenserfahrungen.

Hip-Hop-Bruderschaften

Damit stellt sich die Frage, ob Hip-Hop für westpapuanische Männer, die Hip-Hop komponieren und konsumieren, mehr ist als Musik. Sagt Hip-Hop etwas über Männlichkeit und Sexualität im heutigen Westpapua aus?

Hip-Hop-Gruppen bestehen meist aus fünf bis zehn jungen Männern. Viele Rapper in populären Gruppen besuchen eine High School oder Universität. Typischerweise sind sie zwischen 18 und 24 Jahre alt. Viele von ihnen stammen aus kleinen Gemeinden und ziehen wegen ihres Studiums in die Großstadt, wie beispielsweise nach Jayapura.

Sie leben oft gemeinsam in Pensionen oder Wohngruppen. Hip-Hop und gemeinsames Musizieren bilden einen festen Bestandteil ihres Alltags.

Eine Hip-Hop-Gruppe trifft sich normalerweise in ihrem "Mabes" (Hauptquartier). Falls das Mabes gleichzeitig das gemeinsame Zuhause der Gruppe ist, entsteht eine Art Bruderschaft.  "Wir sind Brüder. Gemeinsam schlafen wir, essen, hängen ab und machen Musik", berichtet ein junger Mann.

So kann die Gruppe außerhalb der Heimat zu einer Art neuer Familie werden. Andererseits lösen sich die Gruppen auch relativ schnell wieder auf, nämlich dann, wenn die Mitglieder ihr Studium beenden oder berufstätig werden. Die Begeisterung für Hip-Hop sorgt allerdings für steten Nachwuchs an neuen Gruppen, die mit der gleichen Hoffnung ihrer Vorgänger antreten: berühmt zu werden.

Männliche Phantasien

Es gibt kaum einen Hip-Hop-Künstler, der erwartet, dass er in Zukunft allein von dem musikalischen Genre leben kann. Doch es gefällt ihnen, vor anderen aufzutreten, eine gewisse Bekanntheit zu erreichen oder vielleicht sogar berühmt zu werden.

Den Hip-Hop-Künstlern in Westpapua haften einige Klischees an. Sie gelten als Unruhestifter, die gerne trinken und ein sexuell ausschweifendes Leben führen. Und tatsächlich mag das auf einige Rapper in Westpapua zutreffen. Andere junge Männer weisen eine derartige Zuschreibung jedoch entschieden zurück.

Die Stereotype mögen daher rühren, dass sich die jungen Männer bei ihren Auftritten an der Mode und am Verhalten der Protagonisten in amerikanischen Rap-Videos orientieren. Die westpapuanischen Rapper ahmen in Kleidung, Tanz und Texten das nach, was als gewaltsame Form von Männlichkeit empfunden wird.

Männliches Publikum auf einem Hip-Hop-Konzert in West-Papua; Foto: Diana Prakasi/Inside Indonesia
Hip-Hop als Männerdomäne und Resonanzboden sexistischer Gewalt? Diana Teresa Pakasi, die am Zentrum für Centre for Gender and Sexuality Studies an der Universitas Indonesia forscht, steht Hip-Hop auch in Papua im Ruf, mit anstößigen Texten sexuelle Gewalt gegen Frauen zu dulden und sogar zu fördern.

Die Texte der Songs sind eine Mischung aus Englisch, Papua und Indonesisch. In einigen Songs finden sich auch Vulgärwörter aus diesen Sprachen. Es gilt immer noch als cool, englische Wörter zu verwenden, wobei es vielen Musikern wichtig ist, das papuanische Erbe dabei nicht zu vergessen. Mit der Hip-Hop-Musik zeichnen die jungen Männer von sich ein Bild als moderne und global vernetzte Papuaner.

Viele Hip-Hop-Songs aus Westpapua handeln von Liebe, Romantik und sexuellem Verlangen. Einige Songs handeln von sexuellen Beziehungen und Praktiken, die bei vielen als tabu gelten, vor allem bei Älteren. Hip-Hop steht im Ruf, mit anstößigen Texten sexuelle Gewalt gegen Frauen zu dulden und sogar zu fördern. Trifft das auch für Hip-Hop in Westpapua zu?

Sexuelle Gewalt

Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist in Westpapua weit verbreitet. Nach einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) sind 38 Prozent der Frauen in Westpapua Opfer physischer bzw. sexueller Gewalt. Diese Quote ist eine der höchsten weltweit.

Laut einem weiteren Bericht des UNDP erklärten über 60 Prozent der Männer, bereits einmal körperliche bzw. sexuelle Gewalt gegen Frauen ausgeübt zu haben. Die Zahl der Gruppenvergewaltigungen ist sehr hoch. Es gibt auch Texte populärer Hip-Hop-Songs, die sexistische Gewalt gegen Frauen verherrlichen.

Mehr noch: Diese Songs werden sogar ohne Indizierung auf Social-Media-Plattformen veröffentlicht und sind damit ein Spiegel der besorgniserregenden Normalisierung von sexueller Gewalt in Westpapua. Papuanische Hip-Hop-Songs, die sexuelle Gewalt gegen Frauen verurteilen, scheinen bislang offenbar nicht zu existieren.

Andere in den sozialen Medien populäre Songs handeln von Untreue, Gelegenheitssex (gegen Geschenke oder Geld) und Sex unter Alkoholeinfluss. Viele Menschen reagieren schockiert auf die Popularität dieser Songs. Doch diese Stimmen finden bislang kaum Gehör.

Hip-Hop könnte ein Raum sein, in dem junge papuanische Männer sexuelle Gewalt verurteilen und eine Form von Männlichkeit unterstützen, die die Gleichstellung der Geschlechter fördert. Leider ist das Gegenteil der Fall: Einige populäre Hip-Hop-Songs tragen sogar zur Enttabuisierung sexueller Gewalt gegen Frauen bei.

Diana Teresa Pakasi

© Inside Indonesia 2020

Aus dem Englischen von Peter Lammers

Diana Teresa Pakasi  forscht am Zentrum für Centre for Gender and Sexuality Studies an der Universitas Indonesia.