Die Universität war hier nie ein Ort der Freiheit
Eine der verheerenden Folgen des syrischen Bürgerkriegs ist die bedenkliche Lage der Hochschulen im Land. Und die war auch schon vor dem Krieg, der etwa fünf Millionen syrische Bürger, darunter zahlreiche Dozenten, Studenten und Studierwillige, ins Exil getrieben hat, keineswegs unproblematisch.
Auch wenn unter den Arabern die Syrer als diejenigen gelten, die über die umfassendste Schul- und Hochschulbildung verfügen, so gab es in Syrien auch noch Jahre nach der Staatsgründung 1946 zunächst nur die Universität Damaskus, die bereits 1923 entstand. Erst 1958 kam diejenige von Aleppo hinzu, zwei weitere Universitäten wurden in den siebziger Jahren im Zuge der Konsolidierung des Baath-Regimes Hafiz al Assads in Latakia und Homs gegründet.
Unter der Regierung seines Sohnes Baschar wurden dann nicht nur weitere drei staatliche, sondern auch zwanzig Privathochschulen eröffnet. Die Neugründungen im privaten Bereich hatten allerdings den Druck auf die staatlichen Bildungsanstalten, der durch die rechtlich verbriefte Garantie auf einen Studienplatz weiter stieg, nur teilweise gemindert. Mit ein Grund dafür war, dass, während für das Studium an einer staatlichen Universität nur symbolische Studiengebühren entrichtet werden müssen, sie bei den privaten Hochschulen Summen erreichen, die sich die meisten Studenten nicht leisten können.
Dieser Umstand führte auch schon vor dem arabischen Frühling zu massiv überfüllten Lesesälen. So war denn auch 2012 der größte Teil der beachtlichen etwa 33 Prozent der jungen Syrer an einer staatlichen Hochschule eingeschrieben.
Als Schwäche des Systems wurden schon damals veraltete Lehrpläne und Unterrichtsmethoden beklagt, die das Auswendiglernen von Textbüchern in den Vordergrund stellten. Rigider Frontalunterricht war die Regel und ein freier und intensiver Austausch mit den Dozenten selten möglich, weil diese aufgrund der schlechten Bezahlung häufig einer weiteren Beschäftigung nachgehen mussten und wenig Zeit für die Betreuung ihrer Studenten hatten.
Einengend auf den Hochschulbetrieb wie auch auf die Forschung wirkten zudem die politischen Rahmenbedingungen. Kritik am Assad-Regime wurde nicht geduldet, und Studenten oder Hochschullehrer, die es ab 2011 wagten, sich für mehr Freiheiten einzusetzen, wurden schnell Opfer brutaler Unterdrückung – wie übrigens auch Schulkinder.
Massive Ausdünnung der syrischen Hochschullandschaft
Im Bürgerkrieg gerieten etliche Hochschulen zwischen die Fronten und bisweilen auch unter Beschuss. Darunter litt neben der Universität im stark umkämpften Aleppo beispielsweise auch die staatliche Al-Furat-Universität im ostsyrischen Deir ez-Zor, als in der Stadt Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der aufständischen Freien Syrischen Armee ausbrachen.
Später wurde von der Terrormiliz „Islamischer Staat“, die in das Gebiet eindrang und Stellungen der Regierungstruppen angriff, immer wieder auch der Campus bombardiert. Der Lehrbetrieb in Deir ez-Zor war in den ersten Kriegsjahren ohnehin durch die Proteste von Studenten und Dozenten stark beeinträchtigt gewesen, gegen die Sicherheitskräfte des Regimes vorgingen. Sie wurden dann in den verschiedenen Universitätsgebäuden wie auch in der Studentensiedlung dauerhaft stationiert.
Solche und ähnliche Zustände herrschten auch an anderen Hochschulen. Schon im Jahr 2013 zog das syrische Netzwerk für Menschenrechte eine erschütternde Bilanz der Repressionen, die Universitätsangehörige in den ersten zwei Jahren des Bürgerkrieges allein durch das Regime erlitten hatten.
Bei Angriffen und Razzien der Regierungstruppen waren in diesem Zeitraum 1629 Studenten getötet worden. 35 000 Studenten wurden interniert, von denen knapp hundert in der Haft durch Folter ums Leben kamen. Abertausende Studenten, die an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen hatten – die Protestierenden wurden von Assads Handlangern häufig geschlagen und misshandelt –, wurden der Universität verwiesen.
Manche Razzia war auch von Strafaktionen wie dem Beschuss und der Zerstörung universitärer Einrichtungen begleitet, und nicht selten wurden sie von der Armee auch als militärische Posten genutzt. Bei der Einrichtung und Befestigung dieser Armeestützpunkte mussten Studenten mit anpacken und wurden gelegentlich sogar für „Unterstützungsmärsche“ für Assad zwangsrekrutiert.
Insgesamt haben die Kriegsjahre zu einer massiven Ausdünnung der syrischen Hochschulen geführt. Einheimischen Presseberichten zufolge ist die Zahl der Studenten deutlich gesunken, ein Fünftel der Dozenten soll das Land verlassen haben.
Ursächlich dafür scheint nicht nur das Kriegsgeschehen zu sein, sondern auch die sukzessive Kürzung der Mittel, die der Staat für die Hochschulbildung zur Verfügung stellt: Waren es 2010 noch 733 055 Dollars, sank die Summe 2017 auf ein Rekordtief von knapp 175.000. Weil an einigen Universitäten in den vom Krieg besonders stark heimgesuchten Provinzen der Lehrbetrieb auch für längere Zeiten eingestellt werden musste, strömten die Studenten in die Hauptstadt, was eine deutliche Überlastung vor allem der staatlichen Universität von Damaskus zur Folge hatte.
Zahl syrischer Studierender in Deutschland hat sich verfünffacht
Viele der Studenten haben außerdem mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und müssen nebenbei immer mehr arbeiten, was sich nicht nur auf ihre Fächerwahl, sondern auch auf ihre Leistungen und die Möglichkeit, zum Unterricht zu erscheinen, negativ auswirkt.
So haben die an sich begehrten technischen und Naturwissenschaften auch deshalb an Attraktivität verloren, weil sie mit einem hohen Arbeitsaufwand und gelegentlich auch einer finanziellen Beteiligung an Laborprojekten verbunden sind. In den seit einigen Jahren stärker bevorzugten Geistes- und Sozialwissenschaften wiederum wird von Dozenten moniert, dass nur ein geringer Teil der Studenten an den Lehrveranstaltungen teilnimmt. Zu den entscheidenden Klausuren erschienen zuweilen sogar zehnmal so viele wie sonst.
Ein einfacher Ausweg aus dieser Krise, die nach Ansicht syrischer und ausländischer Beobachter wohl noch Jahre anhalten wird, erscheint schwierig. Die Not der Studenten wissen schon seit einigen Jahren Betrüger für sich zu nutzen, die gefälschte Abiturnachweise und akademische Zeugnisse feilbieten. Das Phänomen scheint in letzter Zeit stark zugenommen zu haben und sorgt momentan für Aufsehen nicht nur in Syrien, sondern auch in den benachbarten Ländern.
Allerdings ist je nach politischem Standpunkt dazu Unterschiedliches zu lesen. So hat die syrische Regierungspresse unlängst über Fälscherbanden aus der Türkei berichtet, die ihre Ware nicht mehr nur syrischen Migranten anbietet, sondern inzwischen auch Auswanderungswilligen in Syrien. Das Problem wird zwar auch in der arabischen, dem Assad-Regime kritisch gegenüberstehenden Presse thematisiert. Hier ist aber auch über Fälle ranghoher Mitglieder der in Syrien regierenden Baath-Partei zu lesen, die zurücktreten mussten, nachdem bekanntgeworden war, dass sie ihren Doktortitel illegal erworben hatten.
Es drängt sich die Frage auf, inwieweit das Problem auch die in Deutschland studierenden beziehungsweise sich auf ein Studium vorbereitenden Syrer betrifft. Ihre Zahl hat sich in den letzten Jahren verfünffacht, von etwas mehr als zweitausend 2012 auf geschätzte 11 000. Es werden, allem Anschein nach, immer mehr. Von den zuständigen deutschen Behörden wird das Problem gefälschter Zeugnisse bei Syrern als gering eingeschätzt.
Die „Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen“ bei der Kultusministerkonferenz ließ gegenüber dieser Zeitung lediglich wissen, dass ihr die „Problematik der Fälschungen von Bildungsnachweisen, die in allen Staaten der Erde vorkommen kann, selbstverständlich bekannt“ sei. Speziell zu Syrien nahm dieses nationale Kompetenzzentrum der Länder zu Fragen der Anerkennung von ausländischen Bildungsnachweisen keinerlei Stellung.
Problem gefälschter Zeugnisse wird unterschätzt
Der DAAD teilte mit, die Prüfung der Dokumente syrischer Stipendiaten werde von den Hochschulen mit Hilfe eines aufwendigen Beglaubigungsverfahrens vorgenommen, das Betrugsversuche erschwere. Es seien nur einzelne einschlägige Fälle bekannt, die angesichts der großen Anzahl syrischer Studenten fast zu vernachlässigen seien. Der DAAD fügte noch hinzu, dass ihm diesbezüglich auch von Seiten der Arbeits- und Servicestelle für internationale Studienbewerbungen (uni-assist e.V.) keine größeren Probleme bekannt sind.
Christian Hülshörster, DAAD-Bereichsleiter für Stipendienprogramme Süd, meinte im Gespräch mit Qantara.de, das Phänomen gefälschter Zeugnisse werde überschätzt.
An solchen Darstellungen mögen gewisse Zweifel aufkommen, wenn man Berichte arabischsprachiger Medien und auch europäischer Portale wie „Infomigrants“ liest, die sich mit Belangen von Migranten befassen. Hier klagen Syrer, die in ihrer Heimat bereits ein Studium absolviert haben, hierzulande studieren oder sich auf ein Studium vorbereiten, dass ihre Zeugnisse nicht anerkannt würden oder dass die Anerkennung sehr lange dauere.
In diesen Foren kursiert auch die Behauptung, die Bundesregierung habe sich 2016 an das syrische Bildungsministerium gewandt, um das Problem mit den gefälschten Zeugnissen gemeinsam in den Griff zu bekommen. Das Auswärtige Amt teilte aber auf Anfrage mit, ihm sei ein solcher Austausch mit der syrischen Seite wegen gefälschter Bildungsnachweise unbekannt.
Joseph Croitoru
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