Eine ungewöhnliche Partnerschaft

Seit der Zusammenarbeit zwischen Imamen und der Polizei ist die Jugendkriminalität im multikulturellen Essener Stadtteil Katernberg deutlich gesunken.

Von Alexandra Jarecki

Arbeitslosigkeit, Armut und Jugendkriminalität - der aus Armenien stammende Polizeibeamte Herbert Czarnyan kennt sich mit den lokalen Problemen im multikulturellen Stadteil Essen-Katernberg sehr gut aus. Vor allem was die Jugendkriminalität anbelangt.

Fünfzig Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind noch keine einundzwanzig Jahr alt. Viele von ihnen haben zudem noch einen ungeklärten Aufenthaltstatus. Da sind Konflikte vorprogrammiert.

Weil die Zahl der in Katernberg lebenden Muslime sehr hoch ist, gibt es eine Moschee für die dort lebenden Libanesen und zwei türkische Moscheen. Herbert Czarnyan wollte die natürliche Autorität der muslimischen Vorbeter nutzen, um die Jugendkriminalität im Viertel zu senken. Er erinnert sich noch gut daran, als er hier das erste Mal Hilfe suchte.

"Das war 1997. Es gab Probleme mit den libanesischen Jugendlichen an der Grenze der Stadtteile Katernberg-Schönebeck, wo sehr viele Geschäftsleute geschädigt worden waren", erzählt Herbert Czarnyan.

"Damals haben wir den Geschäftsleuten eine Einladung in das libanesische Cafe überreicht. Sie sollten den libanesischen Familien mitteilen, wie ihre Kinder sich in der Freizeit im Umfeld der Kriminalität bewegen. Der libanesische Imam der Gemeinde war ebenfalls anwesend. Er hielt eine Ansprache an die Eltern und sagte ihnen, dass das Verhalten der Kinder eine Schande für die Gemeinde sei und er eine Reaktion der Väter verlange."

Weniger Kriminalität

Der Auftritt des libanesischen Vorbeters der Moschee "Salahadin" zeigte Wirkung. Weitere Aktionen fanden statt. Neben den Gesprächen mit den gefährdeten Jugendlichen und deren Eltern wurden auch in der Moschee Gespräche über berufliche Perspektiven für die Jugendlichen und Freizeitaktivitäten angeboten. Nach Angaben der Polizei sank seitdem die Kriminalitätsrate bei der libanesischen Jugend deutlich.

Ein paar Jahre später kam dann die große Unterstützung durch Halit Pismek, den Imam der türkischen Ayasofya-Moschee, hinzu. Auch er arbeitet heute immer noch mit der Katernberger Polizei zusammen. Pflichtbewusst besucht er seitdem auch regelmäßig türkische Familien und kümmert sich um Jugendliche, die straffällig geworden sind:

"Warum sollen wir nicht mit der Polizei arbeiten?", fragt Pismek. "Wir sind sehr zufrieden. Die häusliche Gewalt und Kriminalität war unser Hauptproblem und die Mitglieder der Gemeinde wollten das irgendwie lösen. Eigentlich war für uns das Angebot der Polizei perfekt. Ich habe mit unserem Vorstand gesprochen und sie haben es sofort akzeptiert. Auch achtzig bis neunzig Prozent der Jugendlichen sind mit dieser Zusammenarbeit einverstanden. Und ich sage immer: 'Was im deutschen Strafrecht verboten ist, ist auch vom Koran untersagt.'"

Ein Imam ist für viele junge Muslime eine Respektperson, unabhängig davon, ob sie regelmäßig in die Moschee gehen oder nicht. Ein Beispiel dafür ist der 24-jährige Kadin Dogan. Vor zwei Jahren hat er noch viel Zeit auf der Straße mit Gleichgesinnten verbracht. Heute macht er eine kaufmännische Ausbildung und findet in der Moschee und bei den Gesprächen mit Immam Halit Pismk einen moralischen Halt.

"Wenn man hier ist, denkt man nicht an etwas Böses. Man ist unter Kollegen, man ist unter den vertrauten Personen. Wenn man Probleme hat, kann man mit dem Imam sprechen, von daher fühle ich mich hier geborgen. Das einzige Problem ist, dass alle gleichgesetzt werden, wenn irgendwelche Gruppen von Ausländern etwas falsch machen. Wir sind nun mal nicht alle so", sagt Kadin Dogan.

Zusammenarbeit mit Vorbildcharakter

Mittlerweile begreifen die Jugendlichen in Essen-Katernberg, dass es keinen rechtsfreien Raum mehr gibt. Wenn es nötig ist, kann man sie durch die Kooperation mit den Geistlichen und der Kripo rasch ermahnen. Für Hauptkommissar Frank Matuszek zählt vor allem noch eins: dass man durch die Zusammenarbeit mit dem Moscheeverein gelernt hat, miteinander umzugehen:

"Wir haben uns in diesem Projekt kennen gelernt und haben auch dadurch Berührungsängste abbauen können. Das heißt, der Moscheeverein konnte einsehen, dass Polizeibeamte nur Bürger in Uniform und ebenfalls Familienväter mit gleichen Sorgen wie wir sind."

Man habe akzeptiert, dass die Polizisten bestimmte Aufgaben hätten und so sei man sich einander näher gekommen. "Und so gehe ich nicht in die Moschee, sondern ich besuche Herrn Pismek."

Das Essener Projekt als Beispiel einer Zusammenarbeit mit den Vorbetern hat in der Bundesrepublik Vorbildcharakter und wird landesweit kopiert und weiterentwickelt.

Der Polizeibeamte Herbert Czarnyan hält zudem oft Vorträge über seine Arbeit in großen deutschen Städten. Imam Halit Pismek hingegen hat schon öfters den Berliner Brennpunkt-Stadtteil Neukölln besucht, um seine gesammelten Erfahrungen auch an seine dortigen geistlichen Kollegen weiterzugeben.

Alexandra Jarecka

© Deutsche Welle 2007

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