"Wallah, ich kenn' den!"
In der Fernsehserie "Lindenstraße" stellen Sie den Türken Orkan Kurtoğlu und in "Arabboy" den deutsch-libanesischen Kurden Rashid A. dar. Spielen Sie dabei auch sich selbst?
Hüseyin Ekici: Ich kann keinen Martin oder Kevin spielen. Ich sehe aus wie ein Schwarzkopf und bin ein Schwarzkopf. Rashid A. ist aber nicht nur Araber, sondern vor allem ein Jugendlicher. Jeder von uns war jung. Ich würde mich freuen, wenn ich mal einen Deutschen spielen dürfte, aber dann würde die Authentizität fehlen. Und natürlich gibt es so einige Szenen, die eng mit meinem eigenen Leben verknüpft sind. Insbesondere das Rappen ist ein Teil von mir. Ich spiele wahrscheinlich zu 40 Prozent mich selbst.
...aber in klischeehafter, überzeichneter Form, oder?
Ekici: Man darf nicht vergessen, dass man diese klischeehaften Figuren, die ich spiele, tatsächlich auf der Straße in den Brennpunkten sieht. Ich werde jetzt 25 Jahre alt, aber mit 16 war ich wie diese Figuren. Als Schauspieler darf man das, was man selbst erlebt oder gemacht hat, in seine Rollen hineinfließen lassen. Ich finde es immer schön, wenn die Leute zu mir sagen: "Sie sind ja genau so, wie die Jugendlichen da draußen!"
Rashid A., die Hauptfigur im Stück "Arabboy", ist gewalttätig, nimmt Drogen und wird schließlich in die Türkei abgeschoben. Sind das nicht ein bisschen viele Klischees?
Ekici: Nein. Das Ding ist, dass wahrscheinlich kein 30-jähriger Deutscher mit irgendwelchen Jugendlichen zusammen rumhängt, außer er ist Sozialarbeiter. Dann würde er verstehen, dass es in der Realität wie im Stück ist. Was ist denn krass daran, wenn Jugendliche unter sich vulgär reden? Das ist einfach so.
Aber Rashid A. redet nicht nur vulgär, seine Lebensgeschichte enthält ungefähr alle Probleme, die Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland haben können.
Ekici: Das ist das, was viele nicht gecheckt haben. Das Theaterstück erzählt drei Geschichten anhand einer Figur. Und trotzdem gibt es durchaus Jugendliche wie Rashid. Ich komme selbst aus Neukölln und kenne Leute, die dort mit Koks gedealt oder Anabolika gespritzt haben. Es gibt diese Dinge also in der Realität.
Haben Sie eine Verantwortung gegenüber Jugendlichen, die ähnliche Probleme wie Rashid A. haben?
Ekici: Natürlich. Viele von ihnen kommen in das Stück und ich höre sie manchmal flüstern: "Der redet ja genauso wie wir! Wallah, ich kenn' den sogar vom sehen!" Ich werde von ihnen als großer Bruder gesehen und das freut mich. Es gibt genug negative Vorbilder. Da ist es gut, eine Ausnahme und ein Vorbild zu sein.
In "Arabboy" ist vor allem der große Bruder Rashids das negative Vorbild und zieht ihn in die Kriminalität. Wie reagieren die großen Brüder der türkischen und arabischen Jugendlichen darauf?
Ekici: Ich garantiere, bis heute ist noch keiner zu mir gekommen und hat gesagt: "Ey, was machst du da, du machst uns schlecht." Noch nie. Wenn jemand ein Problem haben sollte, bin ich immer gern für alle erreichbar.
Sie sind im ehemaligen Problembezirk Neukölln aufgewachsen und leben immer noch dort. Was hat sich verändert?
Ekici: Es sind jetzt sehr viele Touristen hier. Damals, als ich 14 Jahre alt war, gab es fast ausschließlich Araber, Türken und Kurden. Aber jetzt sieht man hier sogar Spanier und Amerikaner. Was auch gut ist. Früher haben sich ganz wenige hierher getraut. Jetzt werden die Mieten immer teurer, weil alle hierher kommen.
Aber begegnen sich Neuankömmlinge und Alteingesessenen tatsächlich oder entstehen doch nur Parallelwelten?
Ekici: Man darf es nicht so sehen, dass die arabischen Geschäfte die schlechten sind. Es gibt sogar Shisha-Cafés, die von Hipstern überfüllt werden. Ich meine, es gibt auch Shisha-rauchende Hipster. Ich bin jemand, der immer dafür ist, wenn sich etwas gut entwickelt.
"Arabboy" basiert auf dem gleichnamigen Roman von Güner Yasemin Balci, die lange Jahre als Sozialarbeiterin in Neukölln arbeitete. 2012 wurde "Arabboy" auch vom Münchner Volkstheater adaptiert. Funktioniert das Stück auch in München?
Ekici: Klar. Das Stück macht überall Sinn. In München gibt es durchaus auch Bezirke wie Neukölln. Ich bin leidenschaftlicher Hiphop-Fan und lese in Interviews mit Rappern über deren Städte. Es gibt überall Ecken, in denen es ans Eingemachte geht.
Erreichen Sie die Leute, die in diesen Ecken wohnen?
Ekici: Wir haben bisher sehr viele Menschen erreichen können. Wir sind auch immer wieder mit dem Stück auf Tour. Es gibt viele, die eine andere Sicht auf das Stück haben. Die diskutieren dann gern, aber am Ende haben wir immer alle darauf angestoßen.
Erreichen Sie auch Menschen, die sich als Dschihadisten bezeichnen und in den sogenannten Islamischen Staat, also nach Syrien oder in den Irak, gehen?
Ekici: Ich kenne Leute, die Dschihadisten geworden sind, aber ich hab‘ mit denen nichts zu tun. Ich habe ungefähr zehn enge Freunde und der Rest soll machen was er will. Die Dschihadisten, Salafisten oder wie die alle heißen.
Kann das Stück an der Einstellung dieser Leute etwas ändern?
Ekici: Ich sage immer, wenn die das für richtig halten, sollen die das machen. Was nützt es, wenn ich ihnen sage, dass es falsch ist? Man kann mit denen tagelang reden. Die werden nicht darauf hören.
Das Interview führte Laura Pannasch.
© Qantara.de 2015