Das biodeutsche Bundeskabinett
Müller, Braun, Schulze oder Scheuer: Diese Namen klingen irgendwie ziemlich Deutsch. Kaum verwunderlich, dass sie sich in der Liste von 15 Namen wiederfinden, die zusammen das neue Bundeskabinett bilden. Nachnamen wie Boateng, Mustafi, Özil oder Khedira, wie sie in der deutschen Fußballnationalmannschaft längst zum Alltag gehören, sucht man in der neuen Ministerriege von Angela Merkel allerdings vergebens.
Das kreiert Frust und Ernüchterung bei all jenen, die Deutschlands Geschichte als Einwanderungsland gerne auch in Top-Positionen repräsentiert wissen wollen. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, ließ die Postenverteilung in Merkels vierter Bundesregierung nicht unkommentiert: Alle seien vertreten, twitterte er, nur Deutsche mit Migrationshintergrund nicht.
Mazyek sagte nach der Amtsübernahme durch die Minister: "Ich habe das nicht verbissen kritisiert, sondern lakonisch kommentiert, dass die neue Bundesregierung mit augenscheinlich ganz wenig oder kaum Migrationshintergrund daherkommt." Dabei steht das im krassen Gegensatz zur gesellschaftlichen Realität: Denn je nachdem, welche Statistik man zu Rate zieht, besitzt schon heute jeder vierte beziehungsweise jeder fünfte Bundesbürger einen Migrationshintergrund.
Integrationspolitischer Rückschritt?
Katarina Barley, die neue Bundesjustizministerin aus den Reihen der SPD, dürfte diese Vielfalt mit ihrem deutsch-britischen Pass nur schemenhaft widerspiegeln. Für Aydan Özoguz, SPD-Bundestagsabgeordnete und vormalige Staatsministerin für Integration, ist das Kabinett Merkel deshalb integrationspolitisch ein Rückschritt. "Es wurde auf wahnsinnig viele Dinge geachtet, auf die regionale Verteilung, auf die Balance zwischen Frauen und Männern, nur leider überhaupt nicht auf die Repräsentation des Einwanderungslands Deutschland."
Für Zufall hält sie das Fehlen von Diversität im Kabinett jedoch nicht, wie Özoguz verriet. "Ich glaube nicht, dass das böse Absichten sind, sondern ich glaube, es ist Ausdruck der Verunsicherung der Politik." Das Fehlen von Köpfen mit Migrationsgeschichte sei ein Spiegelbild einer veränderten gesellschaftlichen Realität, in der "Integrationsthemen auf dem Rückzug" seien.
Wer sich für Integration einsetzte, der könne gegenwärtig nicht mit viel Applaus rechnen, sondern werde im Zweifel dafür verprügelt. "Stimmung wird längst nicht mehr nur gegen Geflüchtete gemacht, sondern gegen alle Menschen, die irgendeine familiäre Einwanderungsgeschichte haben, selbst wenn sie schon eingebürgert sind oder sogar in Deutschland geboren wurden."
Tabubrüche
Özoguz, die in den 1960er Jahren als Tochter türkischer Kaufleute in Hamburg aufwuchs, hat dieses Klima von Hass und Ablehnung am eigenen Leib erfahren. Ein führender Vertreter aus den Reihen der Alternative für Deutschland hatte der Deutschen mit türkischen Wurzeln ihr Deutschsein abgesprochen und angeregt, sie "in Anatolien entsorgen" zu wollen.
Eine rassistische Entgleisung, die nach Meinung von Özoğuz von einer überwiegenden Mehrheit der Deutschen klar zurückgewiesen wird. Dennoch haben derlei Tabubrüche das Miteinander negativ verändert, ergänzt sie nachdenklich. "Möglicherweise ist bei der Politik jetzt das Gefühl da, man kann mit dem Thema Vielfalt zurzeit nicht punkten."
Liege sie mit dieser Einschätzung richtig, sagt die frühere Integrationsbeauftragte, wäre das tragisch. "Eigentlich muss man gerade jetzt Flagge zeigen und beweisen, wir sind ein Land, was zusammenhält und wir lassen uns nicht auseinandertreiben." Auch aus diesem Grund hält sie ein Kabinett ohne Einwanderungserfahrung strategisch für einen "Riesenfehler".
Vielfalt ist auch im Bundestag Mangelware
Es ist allerdings nicht die einzige politische Bühne, die das gesellschaftliche Leben nur unzureichend wiederspiegelt. Auch im Deutschen Bundestag ist der Anteil der Abgeordneten mit Migrationsgeschichte - im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil dieser Gruppe - deutlich zu klein. Von den 709 Abgeordneten haben laut Mediendienst Integration gerade einmal 57 Parlamentarier eigene Integrationserfahrung. 14 davon haben türkische Wurzeln. Das entspricht insgesamt einem Anteil von acht Prozent der Parlamentssitze.
Würden die 18,6 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte proportional im Bundestag vertreten, müsste fast jedes fünfte Mandat entsprechend besetzt sein. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Bundesverwaltung. Auch hier sei in Sachen Vielfalt noch "viel Luft nach oben", ergänzt Özoguz.
"Jetzt muss man es eben wollen und endlich mal eine ordentliche Kampagne starten, um zu zeigen, dass wir diese Menschen bei uns einstellen wollen." Dass eine solche Diversity-Kampagne derzeit auf ein fruchtbares, gesellschaftliches Klima treffen würde, glaubt die SPD-Bundestagsgeordnete allerdings nicht. "Das Gefühl, nicht gewollt zu sein, wird bei vielen Menschen mit Einwanderungsgeschichte eher zunehmen", schätzt sie. Schon jetzt sei die Bundesrepublik in Sachen Integration gefühlt um "viele Jahre zurückgeworfen" worden.
Dabei lohne ein Blick auf international agierende Unternehmen, um zu wissen, wie es weitergehen sollte. "Richtig erfolgreiche Unternehmen, die sind selbstverständlich multikulturell aufgestellt, denn sie nutzen die Ressourcen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die verschiedene Sprachen sprechen und die verschiedene Kulturen kennen." Ein Seitenhieb, vielleicht auch mit Blick auf das gegenwärtige Bundeskabinett.
Richard A. Fuchs
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