Schiller statt Goethe
"Was könnte ein typisches Bild für Freizeitgestaltung in Deutschland sein? – ein Sonntagsspaziergang – Mutter, Vater, Kind, alle passend zur Jahreszeit gekleidet. Und wie könnte das jemenitische Pendant aussehen? Qat kauen im Auto bei heruntergelassenen Scheiben, auf einer Anhöhe mit Panoramablick, ohne Kinder, ohne Frauen."
Guido Zebisch erzählt, wie es möglich ist, in einer Zeit, in der das Schlagwort vom "Kampf der Kulturen" erneut durch die Medien spukt, in einer Zeit von Karikaturenstreit, brennenden Botschaften und Entführungen von Ausländern im Jemen, einen Dialog der Kulturen zu führen.
Zum Beispiel zwischen Deutschen und Jemeniten, die zu bestimmten Abstrakta des täglichen Lebens – Freizeit, Gemütlichkeit, öffentlicher Raum – ihre verschiedenen kulturellen Blickwinkel darlegen, die dann unter Leitung der deutschen Fotografin Andrea Huber in Szene gesetzt werden.
Ein Gesicht für die Kultur
Das Projekt ist nur eines von vielen, in denen Teilnehmer aus dem deutschen und dem jemenitischen Kulturkreis miteinander arbeiten und kulturelle Grenzen zu überwinden versuchen. Möglich macht dies das Deutsche Haus in Sanaa, gegründet vor fünf Jahren von einigen an Deutschland interessierten Jemeniten sowie in Sanaa lebenden Deutschen mit dem Ziel der Förderung der deutschen Sprache und Kultur.
"Die Gründungsidee war es", so Guido Zebisch, seit Anfang 2003 Vorstandsmitglied des Vereins, "den ausgedehnten Projekten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit auch im Kulturbereich ein Gesicht zu verleihen."
Der Jemen ist eines von rund 40 so genannten Schwerpunktpartnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Insbesondere die Wasser- und Abwasserwirtschaft, die Grundbildung sowie die Wirtschaftsreform sollen gefördert werden – dringend erforderliche Maßnahmen in einem Land, das zu den weltweit am wenigsten entwickelten Ländern gerechnet wird: Etwa 42 Prozent der knapp 20 Millionen Menschen leben in Armut, 33 Prozent der Bevölkerung sind sogar unterernährt.
In den Fokus der deutschen Feuilletons rückte der Jemen, als der Literaturnobelpreisträger Günter Grass das Land bereiste und sich gleich in Land und Leute "verguckte". Ein weiteres Highlight in den deutsch-jemenitischen Kulturbeziehungen war ein Konzert der Europa-Philharmonie Magdeburg.
Etwa 3000 Jemeniten lauschten im Februar 2004 in der von der UNESCO als Weltkulturerbe geschützten Altstadt von Sanaa den Klängen von Beethoven, Brahms und Mozart.
Kulturarbeit hinter den Kulissen
Doch im Gegensatz zu solch medienwirksamen Projekten richtet sich die Kulturarbeit im Deutschen Haus an diejenigen, die ein wirklich langfristiges Interesse an deutscher und europäischer Kultur haben.
Da üben sich etwa deutsche und französische Straßenkünstler zusammen mit Jemeniten im Jonglieren oder Stelzenlaufen, jemenitische Laiendarsteller adaptieren unter der Leitung des Berliner Schauspielers und Theaterdozenten Matthias Friedrich "Die Räuber" von Friedrich Schiller, der deutsche Free-Jazzer Peter Brötzmann jazzt mit jemenitischen Musikerkollegen – insgesamt 42 Veranstaltungen mit ca. 950 Besuchern konnte das Deutsche Haus im Jahr 2004 verbuchen, die vielen Filmvorführungen nicht einmal mitgerechnet.
Sogar eine Anthologie jemenitischer Autoren mit dem Titel "Jemen fassen" gab das Deutsche Haus im letzten Jahr mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes heraus. Die meisten der in dem Band versammelten Autoren hatten ihre Werke bereits bei Literaturabenden im Deutschen Haus vorgestellt, die Anthologie vereint nun die arabischen Originaltexte mit einer von Jens Winter vorgenommenen deutschen Übersetzung.
Wie lässt sich Kulturarbeit im Schatten sich verstärkender islamistischer Tendenzen in der arabischen Welt gestalten, noch dazu als jemenitische Nichtregierungsorganisation? Gibt es Bedenken, Drohungen? Immerhin hatten mutmaßliche Mitglieder von al-Qaida bereits das französische Kulturinstitut ins Visier genommen. Und auf dem Höhepunkt des Karikaturenstreits brannten insbesondere im Jemen unzählige dänische Fahnen.
"Ja", gesteht Guido Zebisch ein, "da schaut man sein Programm noch einmal kritischer an." Es ist eine Gratwanderung zwischen Selbstzensur und dem Versuch, den von unterschiedlichen Öffentlichkeiten gesteckten Rahmen so produktiv und phantasievoll zu nutzen wie möglich.
Eigentlich ist Guido Zebisch Angestellter der Deutschen Botschaft im Bereich Sprache und Kultur und verantwortlich für den Bereich Deutsch als Fremdsprache im Jemen im nichtakademischen Bereich. Ab 17 Uhr aber schlüpft er in die Rolle des Leiters des Deutschen Hauses in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa – ehrenamtlich und mit viel Engagement.
Die Zusammenarbeit zwischen Botschaft und Kulturinstitut erstreckt sich über diese Personalunion hinaus aber auch auf das Sprachkursprogramm der Deutschen Botschaft, dem das Deutsche Haus seine Räumlichkeiten zur Verfügung stellt.
Das Interesse an der deutschen Sprache wächst stetig bei den Jemeniten. Während im Jahr 2003 insgesamt 180 Sprachkursteilnehmer registriert waren, stieg die Zahl im Jahr 2004 bereits auf 400. Auch 2005 konnte diese Marge wieder erreicht werden.
Nach Deutschland zu Studium
Wer lernt Deutsch, in einem Land, das eine Arbeitslosenquoten von etwa 40 Prozent, eine Analphabetenquote von sogar etwa 52 Prozent aufzuweisen hat? "Deutschland ist sehr populär, es gibt ein breites Spektrum an Berührungspunkten. Das liegt auch an der Wende, in englischsprachige Länder zum Studium zu gehen. Zum anderen daran, dass in Deutschland die Studiengebühren als niedriger gelten", berichtet Zebisch.
Das bestätigt auch Samira Mazouz-Eikenberg, Dozentin für Deutsch als Fremdsprache und selbst dreisprachig aufgewachsen: von sechs jungen Männern in einer Klasse wollen fünf in Deutschland Medizin studieren, da das Medizinstudium noch immer einen sehr guten Ruf im Jemen genießt: "Wer zurückkommt, bekommt einen Job", so Eikenberg.
Um auch Frauen gezielt zu fördern und ihnen die Möglichkeit zu geben, im "männerfreien" Raum zu lernen, werden neben den gemischten Kursen gezielt Kurse nur für Frauen angeboten. Diese kommen jedoch meist aufgrund der wenigen Anmeldungen nicht zustande. "Da braucht man einen langen Atem", sagt Eikenberg, die den Frauenanteil auf insgesamt 20 Prozent der Sprachkursteilnehmer schätzt.
Weitere Jobmöglichkeiten tun sich im Tourismusbereich auf, ergänzt Mohammad al-Nasr, gleichfalls Dozent. Schließlich bildet sogar die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) mittlerweile Touristenführer aus.
Al-Nasr selbst hat vier Jahre Germanistik in Sanaa studiert, um dann für drei Jahre zum Aufbaustudium nach Kassel zu gehen. Heute unterrichtet er nicht nur im Deutschen Haus, sondern auch an der Universität in Sanaa Germanistik. Er hofft, bald in Deutschland promovieren zu können.
Neben den Dozenten arbeiten noch zwei jemenitische Angestellte im Deutschen Haus. Hinzu kommt meist ein Praktikant, ohne den die vielen Aufgaben nicht mehr bewältigt werden könnten. Zurzeit absolviert der Arabistikstudent Kai Plankermann aus Leipzig ein insgesamt fünfmonatiges Praktikum in Sanaa.
Warum hat er sich ausgerechnet den Jemen als Praktikumsland ausgesucht? "Weil ich von der arabischen Halbinsel schon einige Länder gesehen habe und meine Erfahrungen mit Arabischlernen nicht so gut waren, weil die meisten Englisch oder Französisch können. Hier spricht man mehr oder weniger das schönste Arabisch, es ist der beste Platz, um Arabisch zu lernen, und es ist von der Kultur her am traditionellsten."
Auch wenn das Goethe-Institut bisher nicht den Schritt unternommen hat, im Jemen ein Institut zu eröffnen, so wurde 2004 immerhin in Zusammenarbeit zwischen Goethe-Institut und Deutschem Haus ein so genannter Dialogpunkt eingerichtet - eine Kleinbibliothek mit Büchern und Zeitschriften, Videos, DVD, Internetarbeitsplätzen sowie Materialien zum Deutschlernen.
Diese Dialogpunkte, die im Rahmen des Goethe-Sonderprogramms "Dialog mit den islamisch geprägten Ländern in Region Nordafrika / Nahost" errichtet werden, sollen insbesondere junge Menschen in der Region "dazu einladen, Deutschland näher kennen zu lernen". Das erste Goethe-Institut auf der Arabischen Halbinsel wird stattdessen im April in den Vereinigten Arabischen Emiraten eröffnet.
Larissa Bender
© Qantara.de 2006
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