''Ich glaube an das syrische Volk''
Frau Alabed, Sie sind in Damaskus aufgewachsen und leben jetzt in Beirut. Sind Sie dahin gezogen wegen Ihrer Arbeit als Filmemacherin?
Lina Alabed: Nein, ich musste einfach raus aus Damaskus. Es wurde mir zu eng, ich konnte nicht mehr richtig atmen. Und warum nicht Beirut, auf den ersten Blick ist die Stadt ja sehr charmant. Nur das wirkliche Leben ist es so gar nicht. Ich hatte zwar Anfang 2011 die Möglichkeit, wieder zu gehen. Doch dann begann die Revolution und ich konnte nicht mehr zurück nach Damaskus. Ich hatte auch Angst. Sogar meine Familie und Freunde rieten mir davon ab, weil es dort keine Sicherheit mehr gäbe.
Weshalb haben Sie sich zunächst für eine journalistische Ausbildung entschieden?
Alabed: Ich habe die Journalistenschule in Damaskus nur deshalb besucht, weil es dort keine Filmhochschulen gibt. Als Abschlussarbeit drehte ich einen Dokumentarfilm über einen syrischen Dichter. Danach drehte ich "Nour Alhuda" und gewann auf dem Doxbox-Dokumentarfilmfestival in Damaskus in der Kategorie bester syrischer Film. Darüber war ich sehr glücklich. Natürlich könnte ich viele Dinge realisieren, aber Filmemachen ist meine Passion. Mir war klar, dass man als fest angestellter Redakteur keine Zeit mehr hat, nebenher noch Drehbücher zu schreiben.
Worum geht es in Ihrem Film "Damaskus. Mein erster Kuss"?
Alabed: "Damaskus. Mein erster Kuss" ist mein dritter Film. Es geht darin um das sexuelle Bewusstsein der Frauen in Damaskus. Dieser Film entstand bereits vor der Revolution. Darstellerinnen sind Asma Kashtaro, die Enkelin des ehemaligen Muftis von Syrien, sowie Lina Shashazi, die aus einer berühmten christlichen Familie in Damaskus stammt.
Es sollte thematisch jedoch nicht um das christlich-muslimische Verhältnis, sondern um die Gesellschaft an sich gehen – um Tradition, nicht um Religion. Denn beide Frauen hatten mit denselben Problemen zu kämpfen, als sie jung waren: Sie durften nicht über ihre eigene Zukunft bestimmen. Aus dieser Erfahrung heraus wollten sie ihren eigenen Töchtern mehr Freiräume für eine bessere Zukunft eröffnen. Ich denke, das war der Anfang ihrer persönlichen Revolution – noch vor Ausbruch der wirklichen Revolution in Syrien.
Hat sich denn seither überhaupt etwas geändert?
Alabed: Natürlich sind alle tief betroffen von dem, was derzeit in Syrien passiert. Es fließt eine Menge Blut. Aber zumindest eins ist positiv hervorzuheben: Die Menschen haben keine Angst mehr, auch die Frauen nicht. Ich werde manchmal gefragt, wie ich diese Revolution unterstützen kann, angesichts der Gefahr, dass die Muslimbruderschaft womöglich die Kontrolle übernehmen könnte, wenn das Regime stürzt. Besorgt bin ich aber nicht wirklich – es sei denn, sie zwingen mich dazu, ein Kopftuch zu tragen.
Viele behaupten, dass der politische Islam die Lösung sei. Doch wenn die Islamisten erst einmal an die Macht gekommen sind, werden die Leute schnell einsehen, dass genau ihr Weg nicht die Lösung sein kann. Deshalb denke ich, dass diese Revolution das Regime stürzen wird - und dann kommt die nächste Revolution, um alles wieder zurückzudrehen. Es ist wirklich nicht einfach. Alles braucht seine Zeit.
Haben Sie dennoch Hoffnung?
Alabed: Ich bleibe optimistisch, weil ich an das syrische Volk glaube.
Interview: Irmgard Berner
© Qantara.de 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de