"Opposition gegen das religiös-patriarchale System ist weiblich"
Frau Forouhar, am 8. März, dem internationalen Frauentag, sind weltweit Frauen auf die Straße gegangen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Spielt dieser Tag auch in Iran eine Rolle?
Parastou Forouhar: Ja, auf jeden Fall! Alles, was mit dem Einfordern von Gleichberechtigung zu tun hat, findet an diesem Tag eine symbolische Präsenz. Das nutzen Frauen für sich und organisieren seit Jahren am internationalen Frauentag Versammlungen, obwohl dabei immer wieder Teilnehmerinnen verhaftet wurden. Zudem gibt es am 8. März regelmäßig Aktionen von Frauen. Vor zwei oder drei ren sind sie zum Beispiel in die Metros gegangen, haben gesungen, sich gegenseitig gratuliert und ihre Schleier abgelegt.
Für Ihre Arbeit "Domestic Suicide for all seasons" haben Sie zwölf Kalenderblätter gestaltet. Darauf sind Frauen zu sehen, die sich das Leben nehmen, eingebettet in wunderschöne, farbenfrohe, ornamentale Muster. Wie passt das zusammen?
Forouhar: Jedes dieser Bilder ist voller Muster und Schönheit, so wie in der Miniaturmalerei, der alten Bildsprache aus dem Kulturkreis, aus dem ich komme. Diese Schönheit und Üppigkeit wollte ich übernehmen und darin diese Selbstmordszenen darstellen. Es ist eine widersprüchliche Gleichzeitigkeit: eine Welt voller Schönheit und gleichzeitig eine Frau, die sich umbringt.
Man weiß nicht, ob es wirklich dieses schreckliche Ereignis ist, das in diese ästhetische Welt eingebettet ist, oder ob es darin verschleiert wird. Eine Parallele zwischen Aufzeigen und Vertuschen. Beim Anblick des Bildes ist man irgendwie schockiert, dass man es trotz allem als schön empfindet.
Wie kamen Sie auf die Idee, das Thema des Suizids künstlerisch aufzugreifen?
Forouhar: Die Idee für die Arbeit entstand schon 1997. Ich komme aus einer oppositionellen Familie. Meine Eltern, die ihr Leben lang für Demokratie und Rechtstaatlichkeit gekämpft haben, wurden im Jahr 1998 vom iranischen Geheimdienst ermordet. Vor ihrem Tod waren sie Herausgeber oppositioneller Nachrichtenblätter, die sie mir damals per Fax zuschickten. Ich lebte zu der Zeit schon in Deutschland und stand ganz am Anfang meiner künstlerischen Karriere. Durch diese Nachrichtenblätter informierte ich mich über Ereignisse, die nicht zum offiziellen Bild des Iran gehörten. Immer wieder las ich darin auch von Frauen, die sich das Leben genommen hatten.
Sie leben seit 1991 in Deutschland, Ihre Arbeiten sind international bekannt. Haben Sie "Domestic Suicide for all seasons" auch in Iran gezeigt?
Forouhar: 2016 wollte ich den Kalender als Multiple über eine Galerie in Iran produzieren lassen. Gerade für den Iran finde ich Multiples ein spannendes Format, da man damit Kunst für wenig Geld erwerben kann. Aber bevor die Arbeit komplett gedruckt werden konnte, ist die Polizei in die Druckerei marschiert und hat die Druckbögen beschlagnahmt.
Der Verleger hat mir ein paar wenige Exemplare gegeben, die schon vor der Attacke gedruckt worden waren und die er in einen Nebenraum retten konnte. Im Grunde ist die Aktion aber an der Zensur gescheitert.
Passiert Ihnen das öfter?
Forouhar: Ja, leider wird mir immer wieder verboten auszustellen. 2017 wurde ich sogar wegen einer Arbeit vor Gericht gestellt. Der Vorwurf lautete Blasphemie. Aber eigentlich richtete sich das gegen meinen politischen Aktivismus. Ich wurde zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
Im selben Jahr entstand Ihre Fotoserie "Das Gras ist grün, der Himmel ist blau, und sie ist schwarz". Darin ist eine Person zu sehen, die sich anmutig durch die Gassen eines idyllischen Örtchens, durch die Natur und die Räume eines alten Klosters bewegt. Welche Geschichte steckt hinter dieser Arbeit?
Forouhar: Die Arbeit entstand während eines Stipendiums in Stein am Rhein in der Schweiz. Dieses Stipendium war wirklich ein Erlebnis, da ich mich plötzlich in dieser Idylle wiederfand. Ich lebte in einem kleinen Schlösschen und aus dem Fenster sah ich diese idyllische Landschaft: grün und sehr europäisch.
Gleichzeitig war es eine dieser grausamen Phasen des Syrienkrieges. Es kursierten fürchterliche Bilder von Kindern, die während der Chemiewaffenangriffe auf die Zivilbevölkerung nach Luft schnappten. Dieser Kontrast zwischen der Realität vor meinem Fester und der Realität in der Region, aus der ich komme, war einfach nicht auszuhalten.
Damals trafen sich jeden Mittwoch einige Frauen aus Stein am Rhein mit einer Gruppe von Geflüchteten, vor allem Frauen und Kindern. Es gab Kuchen und die einzige Gemeinsamkeit, die man gefunden hatte, war Stricken und Nähen. Ich ging jeden Mittwoch zu diesen Treffen und hatte jedes Mal das Gefühl, ich kriege keine Luft.
Von allen Seiten gab es Bemühungen und trotzdem hing das Scheitern ständig in der Luft. Es war so, wie wenn man versucht, jemanden zu umarmen und ständig in die Luft greift. Die Leute haben einfach nicht richtig zueinander gefunden. Vielleicht war die Ambivalenz zwischen dieser idyllischen Schweizer Kleinstadt und den Menschen, die aus Syrien dorthin katapultiert wurden, zu groß. Für mich war es sehr schwierig, diese Atmosphäre der Unmöglichkeit auszuhalten.
Warum ist die Person auf den Bildern in einen Tschador gehüllt?
Forouhar: Der florale, seidige Stoff des Tschadors ist total schön und hat eine besondere Schwingung. Er hinterlässt eine schöne Spur im Raum, so wie wenn man ein Aquarell malt. Die Verschleierung ist aber auch ein Element des Sich-Versteckens, Sich-Verweigerns. Die Figur in dieser Arbeit ist eine absolut fremde Figur. Außer den Gesten und der Flüchtigkeit ihrer Präsenz sieht man nichts von ihr. Und trotzdem vereinnahmt sie den Raum für sich. Wenn sie in dem wunderschönen Klosterraum auf- und abspringt oder durch die Gassen huscht wie ein Schatten, ein Geist, mit Füßen, die den Boden nicht berühren, dann ist das eine besondere Art der Präsenz: Einfach im Raum da zu sein und sich nicht übersehen zu lassen – das Einnehmen eines Raumes auch als feministischer Akt.
Raum einnehmen, sich Gehör verschaffen – welche Rolle spielen Proteste von Frauen in Iran zurzeit?
Forouhar: Ich glaube, dass jede progressive Präsenz von Frauen an der Macht dieses Systems rüttelt. Das ist wahnsinnig wichtig und inspirierend – nicht nur für Frauen, sondern für die gesamte Gesellschaft, die sich von der religiösen Bevormundungs- und Unterdrückungsmaschinerie der Islamischen Republik emanzipieren möchte. Die Unterdrückung von Frauen ist zudem eine Säule dieses Systems. Gestern las ich, dass ein wichtiger religiöser Mullah in Isfahan sagte, Gott sei dagegen, dass Frauen Fahrrad fahren.
Allein so einen Satz zu sagen! Wenn man sich das von weitem anschaut, ist es lächerlich. Aber es zeigt, wie wichtig es für das Regime ist, die Frauen unter ihrer Kontrolle zu halten. Deswegen ist es meiner Meinung nach selbstverständlich, dass die Opposition gegen dieses religiös-patriarchale System weiblich ist. Das ist keine soziologische Feststellung, sondern mein Erklärungsansatz, ein schönes Bild und ein schöner Gedanke.
Interview von Siri Gögelmann
Im Herbst 2021 sind Parastou Forouhars Werke Teil der Ausstellung "BLACK / WHITE" im irakischen Sulaimaniyya. Die Ausstellung wird von Gudrun Wallenböck kuratiert und durch die "Ausstellungsförderung", ein Förderprogramm des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), unterstützt. Das ifa ist Deutschlands älteste Mittlerorganisation. Es fördert den Kunst- und Kulturaustausch in Ausstellungs-, Dialog- und Konferenzprogrammen und agiert als Kompetenzzentrum der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.