Spiegel der Gewalt
Frau Najdi, Sie leben derzeit in Berlin und haben über die Weihnachtsfeiertage ihre Familie und Freunde in Beirut besucht. Wie haben Sie die Stimmung im Libanon empfunden?
Rima Najdi: Sobald ich in Beirut ankam, machte sich schnell ein bedrückendes Gefühl breit. Meine Freunde schienen nicht glücklich zu sein. In diesen Tagen wollen die meisten Libanesen das Land verlassen, was nicht nur mit der zunehmenden Gewalt, sondern auch mit den Lebensbedingungen dort zusammenhängt. Die Menschen leiden unter der ökonomischen Krise, unter hohen Lebenshaltungskosten sowie unter Elektrizitäts- und Wasserengpässen. Die ohnehin schon angespannte Atmosphäre wird zunehmend auch von Anschlägen überschattet. Allein während meines Aufenthalts in Beirut explodierten dort zwei Bomben.
Am 27. Dezember wurde ein Bombenanschlag auf den ehemaligen Finanzminister Mohammed Schatah in der Beiruter Innerstadt verübt und am 2. Januar explodierte eine Autobombe im Viertel Haret Hreik im südlichen Distrikt der libanesischen Hauptstadt. In beiden Anschläge starben zahlreiche Zivilisten. Wie haben Sie auf die Nachrichten reagiert?
Najdi: Ich glaube, dass ich die Detonation in der Innenstadt sogar gehört habe. Aber es war nichts Außergewöhnliches für mich. Es ist nicht das erste Mal, dass in meiner Nähe eine Bombe explodiert. Ich bin sowieso schon traumatisiert – sobald ich ein Feuerwerk höre, nimmt die Anspannung bei mir schlagartig zu.
Sekunden nach einem Bombenanschlag ist man nicht in der Lage, mit jemandem zu kommunizieren. Man kann im Auto oder im Café sitzen – die Welt um einen herum dreht sich weiter, während man selbst wie erstarrt ist. Man wird dann nachdenklich, man überlegt: Ich hätte womöglich auch dort sein können und wäre jetzt tot. Dann versichert man sich, dass es der Familie und den Freunden gut geht. Nach einer Explosion bricht das Telefonnetz im Libanon oft zusammen.
Haben Sie diese Erfahrungen dazu motiviert, aktiv zu werden?
Najdi: Nicht direkt. Ich komme alle sechs Monate in den Libanon. Doch ich spürte, dass ich mich noch nie zuvor in meinem Leben so weit von der libanesischen Gesellschaft entfernt hatte wie dieses Mal. Diese Distanzierung war eine Art Selbstschutz. Aber als die zweite Bombe explodierte, konnte ich nicht länger untätig bleiben.
Also nannten Sie sich "Madame Bomba", schnallten sich eine Sprengstoffgürtel-Attrappe um die Hüften und zogen durch die Straßen Beiruts. Welches Ziel verfolgten Sie mit dieser Aktion?
Najdi: Meine Freunde haben mich zu dieser Aktion ermutigt. Eigentlich wollte ich mich nicht als Selbstmordattentäterin verkleiden, sondern als Bombe. Doch ich entschied mich letztlich für das Kostüm, weil es eine differenzierte Kommunikation und Interaktion mit den Menschen auf den Straßen zuließ. Ich wollte mit dieser Aktion nicht nur das Bewusstsein für die grassierende Gewalt im Land schärfen, sondern auch Reaktionen hervorrufen. Ich glaube, dass man allein durch Diskussionen über Bombenanschläge und Gewalt die Probleme nicht lösen wird. Die Menschen in Beirut sind bereits zu sehr abgestumpft und ich glaube, wenn das so weiter geht, werden wir selber zu Bomben, die irgendwann explodieren. Meine Aktion bewegt sich auf vielen verschiedenen Ebenen.
Wie sahen Ihre öffentlichen Aktionen konkret aus und auf welche Reaktionen stießen Sie damit?
Najdi: Einige meiner Freunde begleiteten mich, damit ich mich nicht alleine fühlen musste. Wir fuhren zunächst mit dem Auto die Innenstadt von Beirut ab. Dann ging ich die "Corniche" von Ain Mreisseh bis zum Leuchtturm entlang. Während es auf diesem Weg zu zahlreichen Reaktionen von Passanten kam, ignorierten mich die meisten Menschen an zentralen Plätzen, an denen wir nur kurz anhielten. Im Viertel Hamra setzte ich mich vor ein Café, damit die Leute mich von der Straße aus sehen konnten.
Es dauerte eine Weile bis die Leute verstanden, was da passierte. Am Anfang starrten sie mich aus sicherer Entfernung an, dann kamen sie näher und machten Fotos. Jemand schickte sogar sein Kind vor, um ein Erinnerungsfoto zu schießen. Dieser kleine Junge fragte mich dann unverblümt: "Das ist nicht echt, oder?“ Und: „Wie viele Kilos trägst du da?" Mein Konzept war es ja, auf Fragen nur mit Gegenfragen zu antworten. Ich wollte die Fragen der Leute spiegeln, damit sie sie selbst beantworten müssen.
Hatten Sie keine Angst davor, Probleme mit der Polizei zu bekommen?
Najdi: Auch Polizisten wollten Fotos von mir machen und sie witzelten über meine öffentliche Aktion. Ich ging an einem Polizisten vorbei, der mir zurief: "Ich kann dich anzünden und dann…Boom!" Private Sicherheitsleute verweigerten mir den Zutritt auf Privatgrundstücke wie den Zaitunay Bey.
Die Beiruter Bloggerin Marina Chamma sieht die Formierung einer effektiven Protestbewegung im Libanon dadurch blockiert, dass die meisten Aktivisten außerhalb des Landes leben – genau wie Sie auch. Halten Sie das für ein Problem?
Najdi: Ich sehe das genauso als Problem an. Meine Performance war in dem Sinne auch nicht unproblematisch: Hier bin ich privilegiert, da ich ja nur auf Besuch im Libanon bin. Ich habe das Land damals verlassen. Und auch einen Tag nach meiner öffentlichen Protestaktion stieg ich wieder in den Flieger nach Berlin.
Dennoch spielt sich ein Großteil des libanesischen Aktivismus heute in sozialen Netzwerken ab und nur wenige zivile Initiativen sind wirklich in der Öffentlichkeit verankert. Der Dialog und die Darstellung im Internet sind zwar sehr gut und wichtig, aber die Frage ist doch, wie man den virtuellen Rahmen verlässt und an die Öffentlichkeit geht. Wer nicht physisch auf der Straße agiert, befasst sich mit anderen Aspekten. Aber ich will nicht darüber urteilen, weil ich nicht im Libanon lebe.
Ich kann die Menschen im Libanon unmöglich vom Ausland aus repräsentieren. Ich bekomme viele Nachrichten, in denen mein Mut gelobt wird, die Beiruter Innenstadt mit einer TNT-Attrappe abzulaufen. Doch die mutigsten Menschen sind immer noch diejenigen, die im Libanon leben.
Juliane Metzker
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de