Ein Wespennest in Beirut
Herr Moukarzel, Sie sind Chefredakteur einer der ältesten libanesischen Zeitschriften. Können Sie uns die genauen Umstände schildern unter denen "Ad-Dabbour" entstanden ist?
Joseph Moukarzel: Mein Onkel Youssef Moukarzel hat "Ad-Dabbour" im Jahr 1922 gegründet. Er wurde in Ägypten geboren, und beeinflusst hat ihn dort die "Nahda" (die kulturelle Renaissance in der arabischen Welt, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert in Ägypten hatte/Anm. der Redaktion). Er arbeitete dort als Rechtsanwalt, wollte aber immer in den Libanon zurückkehren. Letztendlich tat er das im Jahr 1921 und erfüllte sich seinen Traum, indem er ein Jahr darauf in Beirut "Ad-Dabbour" gründete. Für ihn war dabei die Meinungsfreiheit der erste Schritt zur Demokratie.
Warum hat sich Ihr Onkel dafür entschieden, ein Satiremagazin und nicht eine politische Zeitschrift herauszugeben?
Moukarzel: Er sagte, für ein Land gäbe es kein besseres Bekenntnis zur Demokratie, wenn man ungehindert ein Satiremagazin betreiben könne. Dies sei ein unschlagbares Zeichen für Meinungsfreiheit! Er wollte beweisen, dass die Libanesen sehr wohl in der Lage sind, in einem freien und demokratischen Land zu leben. Aber dies war natürlich eine riesige Herausforderung unter der französischen Herrschaft. Mehrmals saß Youssef Moukarzel im Gefängnis und wurde tätlich angegriffen. Aber er verfolgte sein Ziel bis zu seinem Tod im Jahre 1944.
"Ad-Dabbour" musste 1977 infolge des libanesischen Bürgerkrieges schließen. Im Jahr 2000 verlegten Sie ""Ad-Dabbour" erneut. Wo liegen heute für Sie die Grenzen für Satire und politische Karikaturen?
Moukarzel: Es gibt keine Grenzen! Als wir uns im Jahr 2000 dazu entschieden "Ad-Dabbour" wieder zu verlegen, waren die Syrer noch hier. Zu jener Zeit gab es keine Freiheit. Aber wir haben wir haben sie uns genommen und damit begonnen zu publizieren. Daraufhin haben uns die Leute angerufen und gesagt 'Gott segne euch'. Zusammen mit meinem Freund Gibran Tueni (dem ehemaligen Chefredakteur der Tageszeitung "An-Nahar", der am 12. Dezember 2005 in Beirut ermordet wurde/Anm. der Redaktion) sagten wir immer: "Es gibt Grenzen, aber unsere Aufgabe ist es, sie ständig zu erweitern".
Sie werden zurückschlagen, aber die Grenzen werden durchlässiger. Und genau das haben wir getan: die Grenzen erweitert. Andere folgten uns. Es war eine Art von Widerstand und verbalem Kampf. Wir kämpften gegen die Unterdrückung durch das syrische Regime. Wir erhielten Morddrohungen und hatten Bodyguards. Die Polizei bewachte die Straße vor unserem Büro und unserem Haus. Wir wussten, es wird Mordanschläge geben und Gibran bezahlte seinen Einsatz mit seinem Leben.
Gibt es gewisse rote Linien für Satire und Karikatur in Bezug auf die Religion? Kann man im Libanon über religiöse Persönlichkeiten Witze machen?
Moukarzel: Nein, auch in dieser Hinsicht gibt es keine Beschränkungen. Besonders weil sich im Libanon viele religiöse Führer zu politischen Themen äußern. Wenn Sie das tun, haben wir doch auch das Recht sie zu kritisieren. Und genau das ist es, was wir machen. Allerdings äußern wir unsere Kritik in einer Art, die weder die Person erniedrigt noch ihre Religion beleidigt. Wir greifen ihre politischen Positionen an, nicht die Personen oder ihre Glaubensgemeinschaft. Wir zeichnen zum Beispiel Karikaturen von Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der Hizbollah. Aber wir müssen ihn als charismatischen Führer und Scheich seiner Gemeinschaft respektieren. Wir dürfen nicht niveaulos werden, sondern sollten vielmehr ein hohes intellektuelles Niveau in unseren Zeichnungen wahren.
Gewiss kennen Sie die Mohammed-Karikaturen, die vor einigen Jahren in westlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden und gewaltsame Proteste in der islamischen Welt zur Folge hatten. Was halten Sie als Herausgeber einer Satirezeitschrift aus dem Nahen Osten von dem Karikaturenstreit?
Moukarzel: Meiner Meinung nach wusste die dänische Zeitschrift nicht was sie tat, als sie die Karikaturen des Propheten das erste Mal veröffentlichte. Die Male danach, als die Karikaturen veröffentlich wurden, stellten jedoch eine pure Provokation dar. Die Karikaturen wurden nicht nur von den muslimischen Extremisten abgelehnt, sondern auch von der moderaten Mehrheit der Muslime. Wir müssen das Problem des religiösen Extremismus in der Welt angehen und lösen. Doch das werden wir nicht durch Provokationen erreichen. Ich habe dieses Problem auch mit den Mitarbeitern von "Charlie Hebdo" in Frankreich diskutiert. (Die französische Satirezeitschrift hatte die Karikaturen des Propheten im November 2011 und September 2012 erneut publiziert./Anm. der Redaktion)
Ich habe ihnen gesagt: "Ihr provoziert und seid verantwortlich für jede Person die dadurch zu Tode kommt, egal wo auf der Welt". Die Frage ist doch: Wo liegt der Sinn, den Propheten in dieser Form zu kritisieren? Ich sehe darin keinen Fortschritt für die heutige Gesellschaft. Unser Ziel ist es nicht, die Welt zu zerstören. Kritik ist kein Selbstzweck. Mein Onkel Youssef Moukarzel, der Gründer von "Ad-Dabbour" sagte immer: Wir müssen den Finger in die Wunde legen, um den Dingen auf den Grund zu gehen und das Problem zu lösen. Kritik durch Satire sollte das Ziel verfolgen die Welt zu verbessern.
Glauben Sie, dass es eine spezifisch arabische oder libanesische Form der Karikatur gibt? Oder handelt es sich lediglich um einen bestimmten regionalen Kontext, das grundlegende Konzept der Satire aber ist überall gleich - ob in Paris, Berlin oder Beirut?
Moukarzel: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, Karikatur ist ein Ausdruck, der im Zusammenspiel mit einer bestimmten Gesellschaft und ihrer Art zu denken steht. Die Botschaft des Bildes ist immer die gleiche, überall auf der Welt, aber die Bandbreite der möglichen Wahrnehmungen eines Bildes ist sehr groß. Jeder übersetzt ein Bild in seine oder ihre Art zu denken und mittels seines kulturellen Erbes. Wir konzentrieren uns auf einen klar umrissenen Kontext. Die Texte unserer Zeichnungen sind im libanesischen Dialekt verfasst und nicht auf Hocharabisch. Unser Adressat ist nicht die arabische Welt, sondern der Libanon.
Wie Sie sagten wird "Ad-Dabbour" im Libanon publiziert, einem Land das in der Region bekannt ist für seine Meinungsfreiheit. Glauben Sie ein Projekt wie "Ad-Dabbour" wäre in Bagdad, Kairo, Abu Dhabi oder einer anderen Hauptstadt der arabischen Welt möglich?
Moukarzel: Nein, das glaube ich nicht. "Ad-Dabbour" ist der Beweis dafür, dass Meinungsfreiheit zu hundert Prozent im Libanon existiert. Ich bin in keiner politischen Partei und ich bin gegen grundsätzlich jeden, auch gegen den Staat und die Armee. Wenn jemand was falsch macht, kritisiere ich ihn direkt dafür. Und dafür bekomme ich weder große Probleme noch werde ich ernsthaft unter Druck gesetzt. Aber wir sind auch kein panarabisches Magazin und das wollen wir auch nicht sein. Du kannst durch Meinungsfreiheit nichts verändern in der arabischen Welt, weil sie schlichtweg nicht existiert. Es gibt keinen demokratischen Staat.
Vor zehn Jahren wurde in Syrien ein eigenes "Ad-Dabbour"-Magazin unter dem gleichen Namen gegründet. Aber diese Version der Zeitschrift kritisierte nur die USA. Das ist Unsinn! Wie einfach wäre es für mich ein Magazin zu betreiben, das Israel kritisiert? Ganz einfach! Aber faktisch würde ich doch nichts kritisieren, denn Israel zu attackieren würde wohl jedem in der arabischen Welt gefallen. Das ist kein Beweis für Meinungsfreiheit. Natürlich kritisiert "Ad-Dabbour" auch Israel, aber genauso den Libanon und Syrien, Saudi-Arabien und Qatar. Wir kritisieren jeden, der mit dem Libanon zu tun hat. Deshalb werden wir in anderen arabischen Ländern nicht akzeptiert und deshalb hat "Ad-Dabbour" auch keine Verkaufslizenz in einem anderen arabischen Land erhalten.
Im Zuge des Arabischen Frühlings haben viele westliche Kommentatoren über die einzigartige Kraft des Internets und der sozialen Medien im Nahen Osten geschrieben. Welche Rolle spielen soziale Medien für "ein Satiremagazin wie "Ad-Dabbour" ?
Moukarzel: Soziale Medien sind ein Muss heutzutage. Aber es ist nicht unser Ziel, so viele Likes wie möglich zu bekommen. Zuallererst müssen wir wirtschaftlich überleben und das können wir nicht, wenn wir "Ad-Dabbour" komplett digitalisieren. Deshalb bleibt "Ad-Dabbour" ein gedrucktes Magazin. Doch das Internet verbindet uns mit Millionen Libanesen, die im Ausland leben. Diese Leute brauchen uns und deshalb planen wir hierfür auch eine spezielle interaktive Webseite.
Das Gespräch führte Björn Zimprich.
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de