Begegnungen mit dem Fremden

Ilija Trojanows Roman "Der Weltensammler" handelt von dem britischen Abenteurer Sir Richard Francis Burton, einem polyglotten Kolonialoffizier, der zum Islam konvertierte.

Interview von Ulrike Sárkány

Herr Trojanow, Sie sind in Bulgarien zur Welt gekommen und in Kenia aufgewachsen. Sie haben in den letzten sieben, acht Jahren in Indien und Südafrika gelebt. Warum schreiben Sie auf Deutsch?

Ilija Trojanow: Gedichte schreibe ich immer auf Englisch, schon seit 25 Jahren. Aber als ich den Entschluss fasste, mich an meinen ersten Roman zu wagen, war es eine ganz bewusste Entscheidung, mich ans Deutsche zu halten - aus praktischen Gründen, aber auch weil ich gewissermaßen eine Liebesbeziehung zu der deutschen Sprache pflege. Ich fühle mich dem Deutschen näher als irgendeiner anderen Sprache. Und wenn man die Sprache mit einem Werkzeugkasten vergleicht, dann enthält die deutsche mehr unterschiedliche Werkzeuge als irgendeine andere. Es ist eine ausgesprochen vielfältige und flexible Sprache, und das passt perfekt für Prosa und Romane.

Wenn ich Dichter wäre, hätte ich mich wahrscheinlich für Englisch entschieden, weil ich glaube, dass das Englische in der Lyrik andere Vorteile und Stärken hat. Ich glaube, Sprache hat immer ein hohes Identifikationspotenzial, die Menschen fühlen sich ihrer jeweiligen Sprache nahe.

Wenn Sie mich fragen, was den Leuten neben allem Materiellen wirklich wichtig ist, dann würde ich sagen: Am wichtigsten ist ihnen ihre Sprache. Was Heimat ausmacht, was das Identitätsgefühl bestimmt, hat meines Erachtens viel mehr mit Sprache zu tun als mit einem geographischen Ort oder mit den politischen Verhältnissen, in denen man lebt.

Ihr in Deutschland veröffentlichter Roman "Der Weltensammler" hat dort vor kurzem den renommierten Preis der Leipziger Buchmesse erhalten. Im Mittelpunkt steht eine historische Figur, nämlich der Engländer Sir Richard Francis Burton. Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dieser Figur zu befassen?

Trojanow: Ich glaube, besonders im 19. Jahrhundert gab es in Großbritannien eine ganze Reihe außergewöhnlicher, unabhängig denkender, exzentrischer, aber auch mächtiger und mutiger Leute, die einerseits das Empire sehr weitgehend gestützt haben, andererseits aber ihren eigenen Kopf hatten. Leute, die es verstanden, sich die Welt auf sehr individuelle Weise anzueignen, die wussten, wonach sie suchen mussten, wie sie kulturelle und religiöse Differenzen vermitteln mussten und wie sich über solche Unterschiede schreiben ließ.

Wenn man sich die Weltgeschichte ansieht, weisen nicht viele Epochen eine solche Fülle an außergewöhnlichen Individuen auf, wie man sie im England des 19. Jahrhunderts findet. Und Richard Burton ist zweifellos eine ganz besonders außergewöhnliche Persönlichkeit.

In ganz Europa findet man eigentlich niemanden außer Alexander von Humboldt, den man mit Richard Burton vergleichen könnte. Burton hatte ein enzyklopädisches Interesse an der Welt. Es gibt kaum etwas, was ihn nicht interessiert hätte. Und wenn ihn etwas richtig interessiert hat, war er geradezu pedantisch in seinem Wissensdurst. Er wollte dann jede Kleinigkeit erfahren.

In seinem Buch "The Sword" beispielsweise findet man ausgesprochen detaillierte Informationen über chinesische und japanische Schwerter, über ihre Herstellung, ihren Gebrauch und die verschiedenen Rituale. Ähnlich ist es mit seinem abschließenden Essay zu den Erzählungen aus "1001 Nacht" – er war auch der erste, der diese Sammlung komplett ins Englische übersetzt hat. Und ähnlich gut kennt er sich mit vielen Elementen der arabischen Kultur aus.

Gleichzeitig hat er nie Angst davor gehabt, seine ganze Existenz aufs Spiel zu setzen, wenn es darum ging, dazuzulernen – also nicht nur Informationen zu sammeln, sondern auch sich selbst zu ändern. Das war lebenslang sein Bestreben. Und das finde ich so spannend am viktorianischen Zeitalter: dass die Menschen damals ein Gefühl dafür hatten, dass Veränderungen nicht nur möglich sind, sondern sogar unvermeidlich, und dass man sich trotzdem Gutes davon erhoffte.

Heutzutage haben wir die zerstörerische Seite des Fortschritts kennen gelernt, wir haben Sprachen und Kulturen verschwinden sehen und sind sehr skeptisch geworden. Aber wenn man ins 19. Jahrhundert zurückblickt, dann findet man dort den festen Glauben daran, dass all diese Veränderungen zum Guten sein würden, dass die Zivilisation ihren Höhepunkt erreichen und die Technik alle Probleme lösen würde.

Kurzum, zum einen ist diese Epoche sehr spannend, und zum anderen ist eine Persönlichkeit wie Burton sehr interessant. Aber zum dritten – und das war wahrscheinlich beim Schreiben dieses Romans am allerwichtigsten – beschäftigt uns immer noch die Frage: Was ist das Fremde?

Tag für Tag schlage ich die Zeitung auf und lese Berichte aus dem Irak, dem Iran, aus Indien oder aus China. Und immer gibt es dieses Ringen darum, den Ort zu definieren, wo wir stehen, wenn wir Dingen ausgesetzt sind, die wir nicht verstehen. Wie reagieren wir darauf? Wie kommen wir angesichts einer Fülle von Klischees und Vorurteilen dazu, unseren Standpunkt zu revidieren? Wie verhalten wir uns im Zuge jener sehr schmerzhaften und sehr schwierigen Anstrengung, das Fremde zu verstehen?

In vielerlei Hinsicht sind wir heute kaum weiter, als man es damals zu Burtons Zeiten war. Im Gegenteil, wenn man sich ansieht, wie er versucht, die Klischees seiner eigenen Zeit zu vermeiden, dann ist er damit erfolgreicher als viele unserer zeitgenössischen Autoren.

Ich nehme an, dass es sehr interessant für Sie war, Nachforschungen über Richard Burton anzustellen. Haben Sie alle seine Bücher gelesen?

Trojanow: Richard Burton hat über 50 Bücher veröffentlicht. Von manchen weiß man zwar, aber sie sind sehr schwer aufzutreiben. Zugegebenermaßen funktioniert keine dieser Veröffentlichungen richtig gut als Buch, als strukturierte Lektüre. Und das liegt daran, dass Richard Burton, wie einmal formuliert wurde, eine Art Orchester ohne Dirigent ist. Er hat sich nie um die Ökonomie der Darstellung gekümmert, er war nie besonders diszipliniert bei der Redaktion seiner eigenen Werke.

Für einen Romanautor ist das natürlich ein Segen. Es ist wie eine Einladung dazu, dieses endlose Labyrinth von Wissen und Erfahrung zu durchstreifen und sich einzelne Elemente herauszugreifen, die man dann in einen Roman einarbeiten kann.

Als Sie 2003 von Bombay aus Ihre Pilgerfahrt nach Mekka unternahmen, hatten Sie da Burtons Buch über seine Reise nach Mekka im Gepäck?

​​Trojanow: Ja, hatte ich. Aber ich habe dann nicht darin gelesen, weil die Pilgerfahrt für mich persönlich schon an sich so aufregend und inspirierend war, auch im spirituellen Sinne, dass ich zu gar nichts anderem kam. Im Grunde habe ich fünf bis sechs Wochen wirklich nur als Pilger gelebt. Aber ich hatte das Buch vorher schon gelesen, und hinterher las ich es noch einmal. Und wie bei jedem Buch gab es Momente, da wollte ich seinen Autor küssen, und andere, da wollte ich ihn schlagen. Genau so ein Mensch ist das. Aber gerade darum ist es die Mühe wert, ihn zu lesen.

Interview: Ulrike Sárkány

© Deutsche Welle 2006

Ilija Trojanow wurde 1965 in Sofia geboren, wuchs aber in Nairobi auf. In den 90er Jahren studierte er in München und gründete dort den auf afrikanische Literatur spezialisierten Marino-Verlag. Dann zog er nach Bombay. Die Idee ein Buch über Sir Richard Francis Burton zu schreiben, nahm er damals schon mit auf die Reise. Trojanows Roman "Der Weltensammler" beginnt in Indien, wo Sir Richard Francis Burton als Kolonialoffizier stationiert war. Im Jahr 2003 unternahm Trojanow eine Pilgerreise nach Mekka. Danach zog er ins südafrikanische Kapstadt, wo er heute lebt.

Ilija Trojanow: "Der Weltensammler". München: Carl Hanser Verlag 2006, 480 Seiten

Übersetzung aus dem Englischen von Ilja Braun

Qantara.de

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"Der Weltensammler" auf der Website des Hanser-Verlages