''Atomstreit als Vehikel''
Herr Lüders, seit Jahren versucht der Westen, den Iran mit Sanktionen unter Druck zu setzen und ihn im Atomstreit zu Kompromissen zu zwingen – mit eher mäßigem Erfolg. Ist die westliche Sanktionspolitik gescheitert?
Michael Lüders: Ich glaube, aus Sicht der Architekten dieser Sanktionspolitik sind die Sanktionen nicht gescheitert, weil sie den Iran wirtschaftlich massiv unter Druck setzen. Und die Hoffnung dieser Sanktionspolitik ist, dass der wirtschaftliche Druck auf das Regime in Teheran und auf die iranische Gesellschaft die Menschen auf die Straße treiben wird in ihrer Unzufriedenheit über die immer schwieriger werdenden Wirtschaftsbedingungen.
Das ist die Hoffnung: dass man über die Wirtschaftssanktionen indirekt einen Regimewechsel herbeiführen oder zumindest das Regime soweit destabilisieren kann, dass es sich bereit erklärt, gegenüber den Vorstellungen des Westens in der Atomfrage Entgegenkommen und Kompromissbereitschaft zu zeigen.
Aber letztendlich hat sich in den vergangenen zehn Jahren wenig getan in der Atomfrage. Verfehlen die Sanktionen also nicht eigentlich ihr Ziel?
Lüders: Wenn man die Sanktionspolitik als einen Versuch versteht, die Iraner in der Atomfrage an den Verhandlungstisch zu zwingen, dann haben sie ihren Zweck ganz sicher verfehlt. Aber letztendlich geht es darum auch nicht: Diese Sanktionspolitik ist offiziell bemüht, eine Verhandlungslösung mit dem Iran herbeizuführen. In Wirklichkeit aber geht es darum, das Regime insgesamt zu destabilisieren. Das ist der entscheidende Punkt.
Dazu gehört ja auch, dass es immer wieder Kriegsrhetorik gibt, etwa auch in Israel oder den USA, die immer wieder mit einem Präventivschlag gegen Irans atomare Anlagen drohen. Wie realistisch ist ein solches Szenario und was würde es für die Region bedeuten?
Lüders: Realistisch ist ein solches Szenario ganz sicher. Es gibt sowohl in Israel als auch in den USA einflussreiche Kräfte, Hardliner, die eine militärische Option gegen den Iran ins Auge fassen. Gleichzeitig aber gibt es natürlich auch mäßigende Stimmen in den USA, in Israel und anderswo, die vor den Folgen eines Krieges gegen den Iran warnen.
Man muss wirklich kein Prophet sein, um zu erkennen, dass ein Angriff auf den Iran die ganze Region in Brand setzen könnte. Die Folgen und die Kosten eines Angriffs auf den Iran wären so hoch und so verheerend, dass der "Nutzen" in keinem Verhältnis stünde zu dem Schaden, den man anrichtet.
Welche dieser beiden Richtungen sich in der westlichen Politik durchsetzt, bleibt abzuwarten. Aber der Iran ist das letzte übrig gebliebene Land zwischen Marokko und Indonesien, das eine nicht pro-westlich orientierte Politik betreibt, und deswegen ist der Iran im Visier. Das hat weniger mit den Menschenrechtsverletzungen im Iran oder mit der Atomproblematik zu tun, sondern es geht darum, die Regionalmacht Iran auszuschalten, das Land nicht anzuerkennen als einen geopolitischen Machtfaktor im Nahen und Mittleren Osten.
Der Streit dreht sich also um weit mehr als nur um die unklare Atompolitik des Iran?
Lüders: Ja. Wäre die iranische Regierung eine pro-westliche, würde sich niemand an der Atompolitik stören. So aber ist die Atompolitik des Iran ein Vehikel, um den Iran unter Druck zu setzen. Mein Eindruck ist: Es ist völlig egal, welche Zugeständnisse die Iraner machen oder nicht, der Druck auf den Iran verschärft sich trotzdem, weil wie gesagt diese Sanktionen auf einen Regimewechsel abzielen und nicht auf ein Einlenken des Iran in der Atomfrage. Wenn es nur um eine Lösung im Atomstreit ginge, hätte man diese längst finden können. Aber man will diese Lösung gar nicht herbeiführen. Sowohl die Iraner als auch die Westler reden gerne aneinander vorbei.
Schon die Verhandlungsführung ist ja absurd: Diese so genannten 5+1-Verhandlungen, also die fünf UN-Sicherheitsmächte plus Deutschland, verhandeln mit dem Iran. Eigentlich sind die USA der entscheidende Player in der Verhandlungsrunde, aber die halten sich zurück. Es ist die EU, die diese Verhandlungen zumindest nominell federführend betreibt. Das ist ja schon von der Konstruktion her ein bisschen absurd. Eigentlich bräuchte es offizielle bilaterale Kontakte zwischen den USA und Iran, aber diese Vorstellung geht den Hardlinern in den USA und im Iran offenkundig zu weit.
Jetzt stehen im Iran im Juni die Präsidentschaftswahlen an. Glauben Sie, dass sich durch die Abwahl Ahmadinedschads und die Wahl eines neuen Präsidenten neue Gesprächskanäle öffnen könnten?
Lüders: Ehrlich gesagt glaube ich, dass es völlig egal ist, wer die Wahlen im Iran gewinnt - mit Blick auf die Überlegung, dass man einen Regimewechsel, eine Beendigung des islamischen Systems herbeiführen will. Dieser Wunsch bleibt vor allem in den Vorstellungen einflussreicher Kreise in den USA und in Israel bestehen. Die Gefahr einer weiteren Konfrontation bleibt, auch wenn sich vielleicht der Tonfall ändern mag.
Der Vorgänger von Präsident Ahmadinedschad, Mohammad Khatami, hat ja 2003 sehr klare Angebote der Versöhnung und des Ausgleichs gemacht, und man hat das damals nicht wahrnehmen wollen. Man war der Meinung, die Iraner handelten aus einer Position der Schwäche heraus und ging deshalb darauf nicht ein. Das ist eine historisch verpasste Chance.
Interview: Thomas Latschan
© Deutsche Welle 2013
Michael Lüders ist freiberuflicher Publizist, Politik- und Islamwissenschaftler und lebt in Berlin.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de