Mobilisieren statt Missionieren

Das Internet ist inzwischen zu einem beliebten Betätigungsfeld für dubiose Anbieter und radikale Prediger geworden. Doch neue Online-Plattformen wie MYUMMA.de grenzen sich davon ab – und möchten junge Muslime in Deutschland zu mehr gesellschaftlichem Engagement bewegen. Von Sheryn Rindermann

Das Internet ist inzwischen zu einem beliebten Betätigungsfeld für dubiose Anbieter und radikale Prediger geworden. Doch neue Online-Plattformen wie MYUMMA.de grenzen sich davon ab – und möchten junge Muslime in Deutschland zu mehr gesellschaftlichem Engagement bewegen. Sheryn Rindermann stellt MYUMMA.de vor.

​​Das deutschsprachige Online-Angebot über den Islam ist mittlerweile so umfangreich wie von konservativen, teils sogar extremen Inhalten geprägt. Allgegenwärtig sind die Online-Angebote der Salafiya, einer äußerst rigiden Glaubensströmung innerhalb des Islams.

"Wer auf Youtube Informationen über den Islam, über Ramadan oder über Muhammad sucht, stößt unweigerlich auf Videos aus dem salafitischen Spektrum", meint Götz Nordbruch, Experte für das Medienverhalten von jugendlichen Migranten in Deutschland und Mitbegründer des Berliner Islam-Portals ufuq.de.

Ganz anders dagegen die Online-Plattform MYUMMA.de: Mit Hilfe neuer Medien wollen die Webbetreiber die muslimische Jugend im Umgang mit dem Internet aufklären und für gesellschaftliches Engagement mobilisieren. "Im Vorteil sind die, die sich gut vernetzen. Warum sollten wir Muslime nicht auch davon profitieren? Fakt ist: Gemeinsam sind wir stärker!", so das Credo von MYUMMA.de – nach dem Motto: "Let's work together".

Online-Angebot für medienscheue Muslime

Initiator und Betreiber von MYUMMA.de ist der Dortmunder Diplom-Kaufmann und Online-Marketingmanager Ferit Demir. Er erklärt, dass die muslimische Jugend im Bereich der Internetmedien weder ausreichend vertreten, noch hinreichend über ihre Möglichkeiten informiert sei.

Auch herrsche bei vielen Unsicherheit im Umgang mit digitalen Medien vor: "Wir fühlen uns falsch verstanden und tun nichts dagegen. Dies geht teilweise so weit, dass sich viele gar nicht mehr trauen, sich auf einer muslimischen Webseite anzumelden", meint Demir. Und das hat mehrere Gründe, meint der Online-Marketingmanager:

Blogwettwewerb; GFoto: © www.myumma.de
Um die multimediale Präsenz der Muslime zu fördern, initiierte MYUMMA.de verschiedene Aktionen wie einen Blog-Wettbewerb und eine Twitter-Kampagne.

​​ "Einerseits kennen sich die Leute mit dem Medium Internet und den Konsequenzen ihrer Online-Aktivitäten nicht aus, zum anderen sind berufliche Gründe ausschlaggebend. Die Schlagzeilen über Personalverantwortliche, die sich im Internet über den Bewerbungskandidaten in Suchmaschinen und sozialen Netzwerken schlau machen, bevor sie jemanden einladen oder einstellen, erschwert uns natürlich die Arbeit."

Nicht wenige junge Muslime vermeiden es grundsätzlich, persönliche Daten über das Internet zu verbreiten.

Die ersten erfolgreichen Kampagnen von MYUMMA.de zur Förderung der multimedialen Präsenz der Muslime waren die Initiierung eines Blogwettbewerbs für muslimische Newcomer sowie einer Twitter-Kampagne – Aktionen, die, laut Demir, bereits erste Früchte tragen und zur Entstehung kleiner Blogger- und Twitter-Gemeinden beigetragen haben.

Thematische Vielfalt

Das Spektrum der Themen und Projekte ist vielfältig: So entstehen im Rahmen von MYUMMA.de Initiativen, wie ein islamisches Seelsorge-Telefon, eine Plakat-Aktion im öffentlichen Raum, die der Islamphobie entgegenwirken soll, oder verschiedene Online-Wegweiser zur Lösung von Alltagsproblemen von Muslimen in Deutschland.

Außerdem besteht die Möglichkeit, die Projekte auf der Plattform zu präsentieren und für die Mitgestaltung zu werben, so z.B. ein Online-Portal muslimischer Wissenschaftlerinnen zum Diskurs über den Islam und muslimische Frauen oder verschiedene islamische Hilfsaktionen wie "Kunst für Wasser", "Hand in Hand für ägyptische Waisenkinder".

Seit kurzem gibt es einen Bereich auf MYUMMA.de, in dem bestimmte Jobs und Stellenanzeigen veröffentlicht werden – Anzeigen, die "Islamkonformität" signalisieren oder die Angebote bestimmter islamischen Organisationen vorstellen, wie etwa die Bildungsabteilung der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. in Köln.

Die Mitglieder von MYUMMA.de tauschen sich in den Foren über Einkaufsmöglichkeiten für muslimische Frauenbekleidung oder über das Angebot von Schwimmkursen für muslimische Mädchen und Frauen aus. Häufig werden über MYUMMA.de Übersetzer gesucht oder kleinere Dienstleistungen angeboten: Ein Mitglied wirbt etwa für "eine junge muslimische Schwester aus NRW", die "schöne Torten für jeden Anlass [...] komplett 'halal' und nicht überteuert" backen kann.

Religiös und hipp

Vor dem Hintergrund, in einer nichtislamischen Mehrheitsgesellschaft zu leben, erwächst bei vielen jungen, überzeugten Muslimas ein spezifisches Gemeinschaftsgefühl – eine "Lifestyle-Strömung", die von einigen Experten auch als "Pop-Islam" bezeichnet wird.

​​ Das "hippe" Auftreten von MYUMMA.de und anderen Lifestyle-Angeboten passt in diese Kategorie. MYUMMA.de könnte durchaus eine Vorbildfunktion für die großen islamischen Verbände in Deutschland einnehmen, "und zwar sowohl was die Öffentlichkeitsarbeit in Richtung Nicht-Muslime angeht, aber auch was die eigene Jugendarbeit betrifft", meint Götz Nordbruch.

Der Fokus auf gemeinschaftlichen Projekten unterscheidet MYUMMA.de von den bestehenden Online-Angeboten für deutsche Muslime. "Das Teilen von gemeinsamen Interessen, die Förderung von Ideen und das Vermitteln von Medien-Know-how sind wichtige Punkte auf unserer Agenda"

Kein Ort für Scharia-Debatten

MYUMMA.de "sieht keinen Nutzen in der Diskussion über religiöse oder politische Wertvorstellungen", betont Demir, "Es sind alle willkommen, die gemeinsam mit der Umma (der Gemeinschaft der Gläubigen) Positives bewegen wollen."

Nordbruch verdeutlicht, dass MYUMMA.de nicht zu verwechseln sei mit salafitischen Online-Angeboten, deren Lesarten "letztlich auf eine strikte Abgrenzung von der nicht-islamischen Umwelt hinauslaufen", und auf denen sich auch vereinzelt "Aufrufe zur Gewalt gegen vermeintlich abtrünnige Muslime – gegen die so genannten 'kuffar' (die Ungläubigen) ganz allgemein finden lassen."

Insofern sei es erfreulich, dass Seiten wie MYUMMA.de und Organisationen wie die Muslimische Jugend Deutschland oder der Zentralrat der Muslime mittlerweile offensiv im Internet vertreten sind – und damit auch gezielt Jugendliche ansprechen. "Nur so wird die Vielfalt deutlich, von der der Islam in Deutschland geprägt ist", stellt Nordbruch fest.

Gegen Parallelgesellschaften

"Es geht um den direkten Austausch mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten, die sich für dieselben Themen interessieren", wie Nordbruch erklärt. Hierin unterscheide sich MYUMMA.de nicht wesentlich von StudiVZ und ähnlichen Online-Communities, "allerdings, und darin besteht ein wichtiger Unterschied, gelingt es den Betreibern von MYUMMA.de, die Plattform auch mit Aktivitäten in der Offline Welt zu verbinden", so Nordbruch:

Junge Musliminnen mit Kopftuch; Foto: dpa
MYUMMA.de ist mit knapp 900 Nutzern immer noch relativ klein, genutzt wird das Portal meist von Jugendlichen aus bildungsnahen Milieus.

​​ "Hier entsteht tatsächlich eine kleine 'Umma', die sich nicht nur im Internet austauscht, sondern die sich auch durch gemeinsame Aktivitäten und einen gemeinsamen Lifestyle im Alltag aufeinander bezieh. Und das ist ein Grund für die Attraktivität dieser Angebote."

Darüber hinaus liege in dem sozialen Engagement eine Chance zur Gestaltung und Teilhabe an der Gesellschaft, eine Entwicklung die gegen das Klischee einer Parallelgesellschaft spricht – denn eine Besonderheit des "Pop-Islams" sei das "gleichzeitige Bekenntnis von Islam und deutscher Identität. Man ist deutsch und Muslim – und möchte das auch selbstbewusst nach außen tragen", erklärt Nordbruch.

"MYUMMA.de besetzt keine Nische, sondern versteht sich als Angebot aus der Mitte der Gesellschaft. Man ist sichtbarer Teil der Gesellschaft und ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen."

Glaube und moderner Lifestyle

Allerdings sollte man dieses "Hipp-Sein" nicht mit emanzipatorischen Werten verwechseln, meint Nordbruch. Denn bei aller Modernität gehe es ausdrücklich um religiöse Themen und um teilweise durchaus sehr konservative Werte und Normen.

Darin ähnle diese Strömung christlichen Organisationen wie den Pfadfindern, die an das Lebensgefühl von Jugendlichen anknüpfen, aber dennoch an der Vermittlung religiöser Botschaften festhalten, so Nordbruch:

"Es ist schließlich ein Trugschluss anzunehmen, moderner Lifestyle und Technikbegeisterung wären mit einem Rückgang von Religiosität gleichzusetzen. Das gilt weder für die jugendlichen Besucher des Kirchentags noch für die Vertreter des Pop-Islam. Religiosität und Spiritualität können wahnsinnig hipp sein."

Sheryn Rindermann

© Qantara.de 2009

Qantara.de

Studie zu islamischen Webseiten
Cyber-Islam und Online-Fatwas
Vermehrt nutzen auch islamische Verbände die Möglichkeiten des World Wide Web. Dabei verlieren die Nutzer oft den Überblick: Wer steht hinter den Webseiten und welchen Hintergrund haben sie? In ihrer Studie "Islam goes Internet. Websites islamischer Organisationen im World Wide Web" zeigt Alev Inan die aktuelle Entwicklung auf. Götz Nordbruch hat sich mit ihr unterhalten.

Islam als Lifestyle
Gottgefällige Mode
Ein Modelabel versucht, eine Brücke zwischen modernem Lifestyle und ernsthafter Glaubenspraxis zu schlagen. Die Produkte von Styleislam haben bei jungen Muslimen in Deutschland schon Kultstatus, wie Heiner Kiesel berichtet.

Buchtipp: "Zwischen Pop und Dschihad" von Julia Gerlach
Jung, trendbewusst und tief religiös
Bei den so genannten "Popmuslimen" hat Julia Gerlach eine neue islamische Jugendkultur ausgemacht. In ihrem jetzt vorgelegten Buch "Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland" kommen einige selbst zu Wort. Ingmar Kreisl hat es gelesen.

Islam als Mode
Allah ist groß, Allah ist anders
Der verengte Blick auf den aktuellen Terrorismus übersieht, dass sich der Islam in der arabischen Welt vor allem als jugendkulturelle Mode äußert. Für die Jungen steht er für Sinnsuche und Abgrenzung gegen "den Westen" sowie die offizielle Kultur in den arabischen Staaten. Von Alfred Hackensberger

www

Website MYUMMA.de