Rabbiner und Imame gemeinsam
Der Tagungsort ist entlegen. Aber er hat Symbolkraft. In Matera in Süditalien, einer der Kulturhauptstädte Europas 2019, treffen sich von Sonntagabend an jüdische und muslimische Geistliche aus rund 15 Ländern. Sie wollen sich künftig verstärkt gemeinsam zu Wort melden.
"Das ist, glaube ich, in dieser Konstellation ziemlich einzigartig in der Welt. Und es ist eine kleine Blume, die gepflegt und weiter gefördert gehört", sagt Tarafa Baghajati. Der Bauingenieur aus Wien ist einer der prominenteren Imame in Österreich. Mit einigen anderen gründete der heute 58-Jährige 1999 die "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen" (IMÖ), 2006 folgte die "Plattform Christen und Muslime". Und nun reist er nach Matera.
Es ist ein nicht nur für Europa einzigartiger Schritt. In aller Regel kommen Juden und Muslime nur bei öffentlichen Terminen von politischer Seite, bei Trialog-Veranstaltungen von Christen, Juden und Muslimen oder bei interreligiösen Fachtagungen zusammen. Doch vor drei Jahren gründete sich am König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog (KAICIID) in Wien ein "Muslim Jewish Leadership Council" (MJLC). Zunächst war es ein kleiner Kreis, zu dem von Beginn an der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER), Rabbiner Pinchas Goldschmidt, zählte. Bei einer Reihe von Treffen wuchs Vertrauen, begann ein Austausch.
Hürden in Wien
Derzeit ist das mit saudischem Geld finanzierte und in Fachkreisen trotzdem geschätzte KAICIID in Wien gefährdet. Denn Mitte Juni votierte der österreichische Nationalrat für den Rückzug des Landes aus der internationalen Einrichtung und für die Auflösung des Abkommens, das Wien als Sitz festlegt. Österreich hatte das Zentrum 2012 mit Saudi-Arabien und Spanien gegründet. Nun ist die KAICIID-Zukunft ungewiss.
Und doch steht das Treffen von Geistlichen beider Religionen für eine neue Dimension des jüdisch-muslimischen Dialogs, der in aller Regel vom Nahostkonflikt überschattet ist. Nach Matera kommen Imame und Rabbiner aus ganz Europa: von Irland bis Griechenland und Rumänien, von Litauen bis Portugal.
Die Wahl des Tagungsorts, sagt CER-Generalsekretär Gady Gronich, solle zum einen verdeutlichen, "dass wir zur europäischen Kultur gehören". Zudem habe es vor einigen Monaten auch in Italien, wie in anderen rechtspopulistisch regierten Ländern Europas, eine Initiative gegeben, die Einschränkungen religiöser Praxis bei Schlachtungen und bei der Beschneidung von Jungen angestrebt habe. Diese Pläne seien aber nun vom Tisch.
Sorge vor Rechtspopulisten
Nach Aussage von Gronich belasten solche politischen Bestrebungen, die religiöse Praxis von Juden und Muslimen bei diesen beiden Themen zu beschränken, "die jüdische Gemeinschaft in Europa und gleichzeitig die muslimische Gemeinschaft im Moment sehr". Beide Seiten wollten in Matera ein Komitee mit je zwei Muslimen und Juden einsetzen, das sich bei Kontroversen öffentlich äußern und in Brüssel oder in den Hauptstädten von EU-Mitgliedsstaaten Gespräche führen könne.
Auch Imam Baghajati spricht diese konkreten Versuche an, religiöse Praxis einzuschränken. Aber dann verweist er auch auf "den Aufstieg von Rechtsextremismus" in europäischen Ländern, auf die AfD in Deutschland, sehr rechte Parteien in Österreich, auf Matteo Salvini in Italien und Geert Wilders in den Niederlanden. Sie betrieben "Islamfeindlichkeit, insbesondere gegen Flüchtlinge, aber auch gegen Muslime insgesamt, als politisches Programm in populistischer Richtung" und seien, anders als vor zehn oder zwanzig Jahren, zum Teil auch an der Macht.
"Deswegen sagen wir: 'Wehret den Anfängen'. Und wer sollte einen Weckruf betreiben, wenn nicht Muslime und Juden." Baghajati weiter: "Wir wollen gemeinsam zeigen, dass ein Europa der Liberalität, der Menschenrechte, der Offenheit der richtige Weg ist."
Antisemitismus
Dabei wird es beim MJLC und wohl auch in Matera - wie bei manchem Vorbereitungstreffen - auch um Judenhass unter Flüchtlingen und Migranten gehen. "Die Fälle von Antisemitismus durch die Migranten belasten uns. Wir erfahren das leider immer öfter und jede Woche", sagt Gronich. "Aber wir haben trotzdem als jüdische Gemeinschaft auf der muslimischen Seite in Europa auch Freunde und Partner, die mit uns dagegenstehen."
Der CER-Generalsekretär spricht bereits von weiteren "formellen und informellen" Dialogen. Man werde "nicht vergessen: Es gibt auf muslimischer Seite auch viele Gruppen, die mit uns nicht sprechen wollen. Da ist nicht alles rosa, und nicht alle sind bereit zum Dialog. Aber mit denen, die bereit sind zum Dialog, wollen wir uns austauschen, um einfach eine neue gemeinsame Zukunft aufzubauen."
Beispielgebend
Manches passiert sicher unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. So besuchten zum Beispiel im vorigen Jahr rund 30 Rabbiner gemeinsam Tunesien. In Berlin gibt es seit Jahren demonstrativ gemeinsame Engagements von Rabbinern und Imamen. Und mehrfach in jüngerer Zeit besuchten junge Juden und Muslime mit Geistlichen die KZ-Gedenkstätte Auschwitz im heutigen Polen.
Baghajati berichtet seinerseits beispielhaft über "sehr positive Kontakte" beider Seiten in Österreich. Imame und Rabbiner gingen gemeinsam mit Angehörigen ihrer jeweiligen Gemeinden auf Reisen; es gebe gemeinsame Veranstaltungen und gegenseitige Solidarität bei einem antisemitischen oder islamfeindlichen Vorfall. Für ihn könne das "beispielgebend für Europa" sein.
Bemerkenswert sei, sagt Baghajati, "dass Imame und Rabbis direkt zueinander finden, ohne Vermittlung Dritter. Und zwar in Europa, jenseits des Nahostkonflikts. Und dass sie sagen: Wir wollen uns nicht diktieren lassen, wie der Kontakt zwischen Muslimen und Juden sein sollte. Wer sollte das machen, wenn es nicht Intellektuelle auf beiden Seiten machen oder wenn es nicht religiöse Würdenträger, Imame und Rabbiner, angehen?"
Christoph Strack
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