Wie klingt der Arabische Frühling?
"Ich google jetzt mal "Arabischer Frühling", sagt Schauspieler Laurenz Leky, der an diesem Abend die Rolle eines interessierten Künstlers einnimmt. Am 17. Dezember 2010 habe die Revolte in Tunesien begonnen, teilt er dem Publikum mit. Ein Gemüsehändler hatte sich aus Protest gegen die Polizeiwillkür angezündet und die ersten Massenproteste ausgelöst. Entsprechende Bilder sind auf einer Videoleinwand zu sehen.
Hoffnung für den Arabischen Frühling
"Was bedeutet eigentlich "Arabischer Frühling" und wie finden wir uns in der Informationsflut zurecht, um etwas darüber zu erfahren?" Für die türkische Pianistin Seda Röder ist das eine der Kernfragen bei ihrem multimedial gestalteten Klavierabend "Songs of Spring" im Rahmen des Beethovenfests in Bonn. Das Festival steht in diesem Jahr unter dem Motto "Revolutionen". "Ich wollte aber nicht nach hinten blicken in die Geschichte, sondern in die Zukunft", sagt Röder. Deshalb hat sie sechs Musiker aus fünf arabischen Ländern gesucht, die in eigens komponierten Stücken ausdrücken, was die arabischen Revolutionen, die sogenannte "Arabellion", für sie bedeutet.
Die Werke der beiden tunesischen Komponisten Nidhal Jebali und Souhaly Guesmi - beide erst Anfang zwanzig - haben etwas Leichtes. "Sie sind jung und haben noch Hoffnung", sagt Seda Röder. Sie trügen nicht die Verbitterung der Vergangenheit mit sich. Schließlich ist Tunesien das einzige Land, in dem der Umbruch zu einer neuen demokratischen Verfassung geführt hat.
Doch sind Tunesier überhaupt Araber? Schauspieler Laurenz Leky googelt erneut. Als er die ersten beiden Wörter "Sind Tunesier …" eingibt, gibt Google gleich eine Suchempfehlung. Ganz weit oben im Ranking: "Sind Tunesier gut im Bett".
Keine ungefilterten Informationen
Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass es Seda Röder, die diesen multimedialen Abend auch dramaturgisch gestaltet hat, nicht nur darum geht, die verschiedenen Facetten der Arabellion zu zeigen. Sie stellt auch die kritische Frage, wie wir im multimedialen Zeitalter an unsere Information gelangen. "Informationen, die über Treffer von Suchmaschinen oder über Soziale Netzwerke zu uns gelangen, sind an unser Verhalten angepasste Informationen. Es erreicht uns kaum eine Info, die nicht durch Maschinen gefiltert wird", sagt sie.
Amr Okba aus Ägypten spielt in seinem Klavierstück "F.B.I (Facebook Information)" genau darauf an. Immer wieder gerät die Melodie ins Stocken und immer stärker setzen sich Fetzen aus der amerikanischen Nationalhymne durch. Für ihn ist der Keim der Hoffnung nicht aufgegangen, hat er Seda Röder erzählt. Die Rolle der Amerikaner in den arabischen Konflikten sieht Okba ebenso kritisch wie die Informationen, die über Facebook verbreitet werden.
Neue Formen des Protests
Die Sozialen Netzwerke sind Fluch und Segen zugleich. Um die Komponisten aufzufinden, die teilweise Autodidakten sind oder Unterricht über Skype erhalten, hat Seda Röder Google genutzt sowie ihre Facebook-Kontakte. Auf diese Weise ist sie auch auf Hasan Hujairi aus Bahrain gestoßen. Via Skype spricht der Komponist zum Bonner Publikum: "Über Politik, Religion und Gender-Themen darfst du als Künstler nicht reden", erzählt er. Doch die Menschen hätten eine andere Sprache gefunden.
Sie hupen mit ihren Autos einen bestimmten Rhythmus als Zeichen des Protests oder stellen sich jeden Abend zu einer festgelegten Zeit auf ihre Dächer und rufen in die Nacht. "Die Polizei hat das Hupen verboten", sagt Hasan Hujairi. Die Stimmen vom Protest auf den Dächern könnten sie aber nicht lokalisieren. "Von diesen Klängen bin ich bei meiner Komposition ausgegangen." Den Huprhythmus der Autos, den Seda Röder auf den Klavierdeckel klopft, hat er in seine Musik eingebaut.
Elend und Schmerz im Syrien-Krieg
Auf der Leinwand sind schließlich Bilder aus Syrien zu sehen, zusammengestellt von Medienkünstler Tobias Hammerle, Mitglied der österreichischen Künstlergruppe "gold extra": zerbombte Häuser, Politiker, die Reden halten, Menschen, die fliehen. Am Schluss ein Händeschütteln im Bild, bei der die eine Hand zur Knochenhand des Todes mutiert.
So komplex und vielschichtig wie dieser Krieg ist auch die Musik des syrischen Komponisten Zaid Jabri. "Zaid ist außerhalb seines Landes ein Superstar in der modernen Musik", sagt Seda Röder. Die Südafrikanische Dichterin Yvette Christianse hat den Text für sein Kammermusikstück "Variations on (R)evolution" geschrieben. Vom Elend und Schmerz in Kriegen handelt er. Die Sopranistin Kristina Quintabà und der Violonist Ekkehard Windrich haben ihn entsprechend musikalisch untermalt und vorgetragen.
Gleich darauf erscheint Seda Röder selbst auf der Leinwand. "Wie ist es bei dir in der Türkei?", fragt Schauspieler Laurenz Leky. Doch Seda Röder kann nicht antworten, die Lautsprecher sind abgeschaltet. Dann verschwindet das ganze Bild. "Nach der Gezi-Park-Bewegung dachten alle, jetzt passiert etwas, aber das Gegenteil war der Fall", sagt Röder. Besonders jetzt nach dem Putschversuch würden alle mundtot gemacht und kämen ins Gefängnis - auch Freunde von ihr. "Erdogan hat Bürger zu Zivilpolizisten, zu Spitzeln gemacht. Man traut sich nichts mehr zu sagen", erzählt sie.
Arabische Komponisten gehen ins Ausland
Ihr befreundeter türkischer Komponist Tolga Yayalar hat die Gezi-Park-Aufstände in seinem Stück mit Geräuschen wie flüsternden Stimmen und trippelden Füßen vertont. Er ist nach seinem Studium in Boston in die Türkei zurückgekehrt, um Komponisten klassisch auszubilden. Doch das ist in der Türkei derzeit nicht einfach. Die meisten Komponisten leben mittlerweile im Ausland - auch Seda Röder, die ihre zweite Heimat in Österreich gefunden hat. "Musikmachen ist in diesen Ländern schwierig und mit Risiken verbunden," so die Pianistin.
Im Sommer war Seda Röder noch in der Türkei zu Besuch. "Vorerst wohl das letzte Mal", sagt sie betroffen. Wie andere Musiker hat auch sie schon Morddrohungen erhalten. Umso wichtiger ist es ihr, junge arabische Komponisten in Europa vorzustellen. "Es klingt banal", sagt Seda Röder, "aber Musik verbindet die Menschen".
Gaby Reucher
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