Vom Kamel zur Klassik

Wie das Königliche Opernhaus in Maskat, das erste überhaupt auf der Arabischen Halbinsel, die Geschichte vom rasanten Wandel des Landes Oman erzählt. Von Laura Weißmüller

Von Laura Weißmüller

Verfehlen kann man sie wirklich nicht, die neue Oper von Maskat. Wie ein gewaltiges Fort erhebt sie sich in gleißend weißem Marmor direkt neben der vielspurigen Stadtautobahn. Selbst wer nicht abbremst, bekommt viel zu sehen, so groß sind die Türme, so ausgedehnt die Arkaden, die das Opernhaus noch einmal in alle Richtungen verlängern. Fast als sollte allein durch die schiere Größe die ersehnte Stellung der klassischen Musik hier untermauert werden.  

Vielleicht muss es das auch: Das Königliche Opernhaus, das auch für Konzerte aller Art genutzt werden kann, ist das erste überhaupt auf der gesamten Arabischen Halbinsel. Und das, obwohl fast nirgendwo in den letzten Jahrzehnten so viel gebaut wurde wie in dieser Region, wo Nachbarn wie Abu Dhabi, Dubai oder Saudi-Arabien sich Wettrennen um die größten Bauprojekte liefern. Doch ein Opernhaus gehörte bislang nicht dazu, klassisch-westliche Musik hat hier keine Tradition, die traditionelle arabische Musik kennt keine Oper.

Auch deswegen lässt sich an dem Prestigebau in Maskat vermutlich am besten die Geschichte eines Landes erzählen, das vor gerade mal vier Jahrzehnten als eines der unterentwickeltsten Länder der Welt galt und heute gerne als die Schweiz von Arabien bezeichnet wird: sicher, wohlhabend, aufgeräumt.  

Balanceakt zwischen Tradition und Moderne

Die Oper erzählt aber auch davon, wie ein Land versucht, modern zu werden, ohne die eigene Tradition dabei zu verlieren. Ein Balanceakt, der nur selten gelingt, wenn man sich etwa die plastikbezinnte und säulenummantelte Betonödnis in Vietnam anguckt oder die Hochhäuser-Schlachten der Nachbarstaaten Abu Dhabi und Dubai. Selbst bei viel Weitsicht gehört bei diesem Prozess wohl Zerrissenheit dazu – und vielleicht auch ein Gebäude, das nicht nur auf Grund seiner Massivität fehl am Platz wirkt, sondern auch weil die Bodenhaftung fehlt.

Sultan Qabus von Oman; Foto: AP
Für eine maßvolle Modernisierung und Reform in Wirtschaft und Gesellschaft: Omans Sultan Qabus ibn Said Al Said

​​Als der heutige Herrscher, Sultan Qabus ibn Said Al Said, am 23. Juli 1970 seinen Vater in einer Palastrevolte entmachtete und selbst auf den Thron stieg, übernahm er ein Land, das vom 20. Jahrhundert noch nicht viel mitbekommen hatte: Gerade mal zehn Kilometer asphaltierte Straße gab es auf einer Fläche, die in etwa so groß ist wie Italien, ein Krankenhaus und drei Schulen, die von Mädchen nicht besucht werden durften. Nur wenige Omanis konnten lesen, die Rate der Kindersterblichkeit war hoch.

Der misstrauische Vater hatte sein Land erfolgreich von modernen Einflüssen abgeriegelt. Was an der Architektur ablesbar war: die damalige Bauverordnung schrieb vor, Sanierungen nur mit Originalmaterial durchzuführen. Palmzweighütten waren daher auch am Küstenstreifen von Maskat die Regel, motorbetriebene Fahrzeuge die Ausnahme.  

Wilfred Thesiger, der große englische Abenteurer, der in den Fünfzigern sich beeilte, die Wüsten von Arabien noch vor dem Eintreffen der PS-starken Zivilisation zu erkunden, und sich nur zu Fuß oder per Kamel fortbewegte, hätte sich für Oman ruhig Zeit lassen können: Die Vergangenheit war hier bis in die Siebziger hinein die Gegenwart.

Gesellschaftlicher Wandel unter Sultan Qabus 

Unter dem 1940 geborenen Sultan Qabus, der in England Verwaltungswesen studiert hat, änderte sich das rasant. Im Jahr 2008 führt das Ministerium für Volkswirtschaft stolz 58 Krankenhäuser auf, dazu 933 Gesundheitszentren, Polikliniken und Praxen. Statt drei gibt es heute etwa 1.300 Schulen, es herrscht allgemeine Schulpflicht – auch für Kinder, die in entlegenen Bergdörfern leben. Geländewagen ersetzen in Oman nicht selten den Schulbus. Der Andrang auf die jungen Universitäten ist dementsprechend groß.

Studentinnen der GUTech in Oman; Foto: &copy, GUtech
Andrang auf Omans junge Universitäten: Vor allem Frauen haben die Bildungschancen in dem Sultanat erkannt. Gegenüber ihren männlichen Kommilitonen sind sie heute sogar in der Mehrzahl.

​​Halten sich Frauen jenseits der Städte immer noch eher im Hintergrund, sind sie an den Hochschulen gegenüber ihren männlichen Kommilitonen sogar in der Mehrzahl. Die Emanzipation bildet sich aus.

Aus den zehn Kilometern Teerstraße ist ein Netz von gut 23.000 Kilometern geworden – und das, obwohl Autofahrer hier oft mitten durch Gebirgsmassen kurven, die aussehen als hätten sie sich einmal quer durchs Land gefräst, so karstig und steil sind sie. Allein die paar Kilometer von dem Regierungsviertel Old Muscat bis zur äußersten Stadtbucht im Westen kann man unter großer Straßenbaukunst verbuchen.

Das Erstaunliche bei der omanischen Generalüberholung: anders als Abu Dhabi oder Dubai will das Land keine Modernisierung, die einer Verwestlichung gleich kommt. Ist die Stadt Abu Dhabi auf dem Rasterplan von Manhattan aufgebaut, gibt es in Maskat – bislang – nicht einmal Wolkenkratzer. Wetteifern die Türme der Emirate mit den Skylines dieser Welt, was sie zwangsläufig zur internationalen Gesichtslosigkeit der Spiegelglasfassaden verdammt, muss jeder omanischer Neubau per Gesetz arabische Stilmittel verwenden. 

"Do-it-yourself"-Moderne 

Das produziert zwar regelmäßig ästhetisch schwer zu ertragene Architekturkonglomerate aus angedeutetem Windturm, Säule und Hufeisenbögen – auch die Oper macht da keine Ausnahme –, aber das postmoderne Bau-Puzzle ist mehr als nur ein Lippenbekenntnis: Hier versucht sich ein Land neu zu erschaffen und zwar mit den Mitteln, die es selbst hat. Do-it-yourself-Moderne könnte man auch dazu sagen.

Das kostet Geld. Sultan Qabus kann bislang den Modernisierungskurs mit dem Öl seines Landes bezahlen. Auch den heutigen Lebensstandard finanziert er damit: Krankenversicherung und Bildung ist in Oman kostenlos. Knapp 70 Prozent der Staatseinnahmen stammten 2011 aus dem Ölgeschäft. Weil das auch hier versiegt, setzt Oman vermehrt auf Tourismus.  

Dem Volk gefällt’s: Egal ob Wüstencampleiter, Journalistikprofessor oder Englischlehrer – alle sind so voller Lobes über den Monarchen, dass jeder westliche Zuhörer nur skeptisch werden kann. Qabus' jugendliches Antlitz mit den sanften Gesichtszügen prangt überall in Form von metergroßen Fotopostern neben der Straße, auf öffentlichen Gebäuden – aber auch auf selbstgemalten Plakaten, windschief aufgehängt vor dem kleinen Einfamilienhaus. Propaganda sieht anders aus.

Eine "omanische Renaissance" 

Und doch: die "omanische Renaissance", die der Sultan ausgerufen hat und die er vor allem mit großangelegten Bildungsstrategien erreichen will, ist sein Werk. Er ist der Alleinherrscher im Land. Zwar gibt es beratende Gremien, aber am Ende entscheidet er – wie bei der Oper. Das Land hatte keinen Bezug zu klassischer westlicher Musik, unter seinem Vater war jegliche Art von Musik verpönt. Der Sultan dagegen ist ein bekennender Klassikfan. In den Achtzigern fing er an, sich ein Orchester heranzuziehen. Buchstäblich.  

Das Royal Opera House in Maskat; Foto: ROHM PR
Sinnbild der "omanischen Renaissance": Das Royal Opera House in Maskat wurde offiziell am 12. Oktober 2011 geöffnet und ist das erste Opernhaus auf der Arabischen Halbinsel

​​Regierungsmitarbeiter suchten im ganzen Land nach musikalischen Kindern, die dann von ausländischen Lehrern unterrichtet wurden. Zunächst war der Plan, sie in Österreich auszubilden. Doch dann war die Angst zu groß, die Kinder könnten dadurch den Bezug zu ihrem Land verlieren. Selber machen ist auch hier die Devise.

Das Königliche Symphonieorchester trat das erste Mal im Al Bustan Palace auf, dem Aushängeschild des Sultanats in Form eines trutzburgartigen Luxushotels. Anfang der Nuller Jahre gab es dann Konzerte in der Golfregion, 2006 in Paris. Ein Jahr später konnte auch das Berliner Publikum das Orchester im Rahmen der Young Euro Classic erleben.

Wer dabei war, berichtet von jungen Musikern – darunter viele Frauen –, die fast so begeistert waren von ihrer Spielfreude wie das voll besetzte Konzerthaus.

Ein reine Erfolgsgeschichte also? Wer sich um Karten für das Königliche Opernhaus bemüht, könnte das glauben. So gut wie jede Veranstaltung ist hier Monate im Voraus ausgebucht. "Es existieren Wartelisten mit mehreren hundert Anwärtern für die Abendkonzerte", sagt Eman Rafay, die junge Pressesprecherin der Oper, während sie durch das relativ kleine Auditorium für bis zu 1.100 Besucher führt.  

Der Bezug der Sessel sieht mit seinem Muster aus unzähligen Geigen und Noten aus wie frisch aus der Mozartkugel-Fabrik geliefert, in der Rückseite der Lehne ist ein Bildschirm zum Mitlesen des Librettos eingelassen. In New York gibt es so etwas und in Wien, aber sonst? Der holzvertäfelte Saal selbst wirkt wie eine Mischung aus italienischem Opernhaus des vorletzten Jahrhunderts, Kinopalast des frühen 20. Jahrhunderts in den USA und Hightech-Veranstaltungshalle. Beste Akustik und alles schön aus- und einfahrbar.

Die Moderne arabisch buchstabieren

Auch Rockkonzerte könnten hier veranstaltet werden, erklärt Rafay. Rockkonzerte? In einem Land, wo es nicht mal Bars geben darf, außer sie sind an internationale Hotels angegliedert? Könnten, nicht werden, betont Rafay. Doch auch so ist das Programm bunt: Gerade werden die letzten Vorbereitungen für den Auftritt von Jazzlegende Wynton Marsalis getätigt. Eröffnet hat das Opernhaus Mitte Oktober mit Giacomo Puccinis "Turandot", inszeniert von Franco Zeffirelli und mit Plácido Domingo.

Mitte Januar beginnen die Wiener Philharmoniker die neue Saison. Tickets gibt es längst keine mehr, doch vermutlich sind die hoch subventionierten Veranstaltungen bei den Ausländern beliebter als bei den Einheimischen. Auch deswegen regte sich ein für das Land untypisch heftiger Widerstand gegen das wohl mehrere 100 Millionen Euro teure Prestigeprojekt. Zudem erklärte der Großmufti von Oman, Muslime sollten keinen Ort für Musik und Tanz besuchen. Auch im Sultanat gibt es die Moderne nicht ohne Widerstand.

Ein paar Kilometer stadtauswärts, ebenfalls fast direkt an der Autobahn, steht die Große Moschee. Was bei der Oper nicht ganz gelang, glückte hier: der Versuch, die Moderne arabisch zu buchstabieren. Damit wird endgültig sichtbar: Die neuen Bauten mögen vielleicht am Highway liegen, doch der führt nicht nach Westen, sondern in die eigene Moderne.

Laura Weißmüller

© Süddeutsche Zeitung 2012