Beiruts Nachtleben kurz vor dem Stillstand
Die libanesische Hauptstadt Beirut galt lange als eines der Zentren des Nachtlebens im Nahen Osten. Ausgehfreudige Menschen aus der Region, aber auch aus anderen Teilen der Welt, kamen in die Stadt, um auf Partys zu gehen. Non-Stop-Raves von Freitag bis Montag waren keine Ausnahme.
"Jedes Wochenende traten zwei oder drei bekannte internationale Künstler auf", sagt Rea, eine libanesische DJane und Produzentin. Die Gagen für Künstler konnten bis zu 100.000 Dollar (rund 88.000 Euro) betragen, da die libanesische Hauptstadt mit dem Partyzentrum Dubai am Golf um die gefragtesten Namen konkurrierte.
Doch seit 2019 leiden die Einwohner der Stadt unter einer Finanzkrise, das libanesische Pfund hat innerhalb von zwei Jahren über 90 Prozent seines Wertes verloren, was drei Viertel der rund 6,7 Millionen Einwohner des Landes in die Armut getrieben hat.
Und natürlich setzten Großdemonstrationen gegen Korruption, die verheerende Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 und die Corona-Pandemie die Bewohner und das Nachtleben noch zusätzlich unter Druck.
Die Clubmanager, DJs, Produzenten und Partygänger, die das Beiruter Nachtleben ausmachen, wollen trotzdem die Ausgehkultur nicht komplett aufgeben. "Feiern ist eine der wenigen Möglichkeiten, nicht über die politischen und finanziellen Probleme nachzudenken und Tag für Tag zu deprimiert zu sein", sagt Raed al-Halabi, der seit Mitte 2019 den Nachtclub "Ballroom Blitz" leitet, im Interview mit der Deutschen Welle.
Beiruter verlassen die Stadt
Das "Ballroom Blitz" ist neben dem "B018" einer von nur zwei auf elektronische Musik ausgerichteten Clubs, die trotz der Finanzkrise und zahlreicher Unruhen die letzten Jahre überstanden haben. Die beiden berühmten Beiruter Partyorte "The Garden" und "Grand Factory" wurden bei der Explosion im Hafen im August 2020 so stark beschädigt, dass sie seitdem geschlossen sind.
Das "Ballroom" sei wegen der Inflation nicht mehr in der Lage, die von Künstlern geforderten Gagen zu zahlen. "Die Leute können nicht einmal mehr ihr Spotify-Konto bezahlen", sagt Raed al-Halabi.
Inzwischen ist aus dem Club ein Kulturinstitut geworden, vor kurzem erhielt er finanzielle Mittel vom Arabischen Fonds für Kunst und Kultur (AFAC) mit Sitz in Beirut. Mit dem Geld sollen etwa Aufenthalte von Künstlern aus der Region ermöglicht werden. "Wir haben eine Lücke, da wir keine Talente herholen können", erklärt Raed al-Halabi. "Deshalb ist es sehr wichtig, mit denen zu arbeiten, die wir bereits hier haben."
Hinzu kommt, dass viele einheimische DJs nach Dubai oder Ägypten gezogen sind, um dort ihr Geld zu verdienen.
Eintrittspreise kosten ein Monatsgehalt
Einige Clubs haben zwar wieder geöffnet, doch die Eintrittspreise und die übrigen Kosten einer Partynacht sind für viele Beiruter unerschwinglich geworden. Manche verdienen so wenig, dass eine Eintrittskarte ihren Monatslohn auffressen würde.
Kein Wunder, dass sich vorwiegend Menschen aus dem Ausland, Studenten aus Frankreich oder Deutschland sowie in US-Dollar bezahlte Beschäftigte von Nichtregierungsorganisationen im Nachtleben bewegen, wie DJane Mira Barbara, alias Duchesse, erzählt.
Als Reaktion auf explodierende Kosten könnten Partyveranstalter keinen Alkohol aus dem Ausland mehr importieren und müssten Gin oder Wodka von lokalen Herstellern beziehen. Auch Partys im eigenen Zuhause seien als günstige Alternative wieder im Kommen.
Hausparty statt Clubnacht
Weil es an Perspektiven fehlt, denken viele darüber nach, das Land zu verlassen. So auch DJane Rea, deren Studio bei der Explosion 2020 zerstört wurde. Obwohl dicke Samtvorhänge zur Schallisolierung den Raum vor Glasscherben bewahrten, wurde ein Großteil der Ausrüstung zerstört, erzählt sie. Ihr fehle die Motivation, "irgendetwas zu reparieren".
Und wenn sich doch Leute treffen, um eine Party zu organisieren, dann unter widrigsten Umständen - wie vor einigen Monaten, als die Vorbereitungen wegen der allgegenwärtigen Straßenblockaden, aufgrund von Treibstoffmangel und Stromausfällen fast scheiterten. Trotzdem müssten sie beweisen, dass sie immer noch existierten, sagt Rea, "weil es ein Gefühl von Freiheit vermittelt".
Am 14. Oktober kamen bei Straßenkämpfen in Beirut mindestens sechs Menschen ums Leben, was Erinnerungen an den Bürgerkrieg weckte, der von 1975 bis 1990 herrschte. Auch deshalb hofft Rea auf das Nachtleben - um die verschiedenen Teile der Bevölkerung zu vereinen: "Ich glaube wirklich, dass die Menschen im Libanon nur zusammenkommen, wenn es Alkohol und Musik gibt und das Licht fehlt."
Kate Martyr
© Deutsche Welle 2021
Adaption aus dem Englischen von Torsten Landsberg