Frischer Wind
Noch vor einer Generation suchte man in Buchhandlungen und Bibliotheken vergeblich nach arabischer Jugendliteratur.
Viele arabische Romanautoren, die in den 1980er und 1990er Jahren volljährig wurden, lasen populäre, preiswerte Romane, wie beispielsweise die Fortsetzungsreihe "The Future Files" von Nabil Farouk, die 1984 erstmals erschienen, oder die genreübergreifenden ägyptischen Taschenbuchromane (Rewayāt Masreyya Lel Gēb). Andere lasen die Liebesromane von Ihsan Abdel Quddous oder die ins Arabische übersetzten Kriminalromane von Agatha Christie.
Und noch immer greifen lesebegeisterte Jugendliche gerne zu den Bestsellern für Erwachsene. Nach dem jüngsten Bericht des Egyptian Board on Books for Young People sind bei ägyptischen Jugendlichen die Thriller von Ahmed Mourad und der Drogenroman "A 1/4 Gram" von Essam Youssef besonders beliebt. Auf der internationalen Buchmesse SWBF 2016 in Sharjah (VAE) war unter Verlegern zu hören, dass junge Leser aus den Emiraten gerne zu Neuerscheinungen von Prominenten aus den sozialen Medien greifen. Im Rückblick hat sich in den letzten zehn Jahren das Literaturangebot für Jugendliche grundlegend geändert.
Die arabische Jugendliteratur im Zeitraffer
Vor zwölf Jahren nahm die arabische Jugendliteratur einen Aufschwung, der mutmaßlich vom Roman "Refuge" (Al-Malja') des innovativen libanesischen Autors Samah Idriss ausgelöst wurde. Langsam aber beständig fanden nun gut gemachte Bücher ihren Weg in Buchhandlungen, Bibliotheken und Schulen.
Ein weiterer Meilenstein markierte im Jahr 2010 das Erscheinen des brillanten und bewegenden Romans "Faten" von Fatima Sharafeddine – übersetzt ins Englische unter dem Titel "The Servant". Er handelt von einem 17-jährigen Mädchen, das von ihrem Vater als Dienstmädchen nach Beirut geschickt wird. Der Roman bewegte Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen. Im Dezember 2010 wurde er auf der Internationalen Buchmesse Beirut sogar als "Bestes Buch" ausgezeichnet.
Heute ist Sharafeddines Roman Pflichtlektüre in zahlreichen libanesischen Schulen. Auch in ihrem 2016 erschienenen Roman spricht die Autorin ein brisantes soziales Thema an: "Cappuccino" handelt von häuslicher Gewalt, "ein Tabuthema in der arabischen Welt – ebenso wie in vielen anderen Regionen."
Mit Einführung der Kategorie "Buch des Jahres für junge Erwachsene" im Rahmen des Etisalat-Preises für arabische Kinderliteratur gewann die arabische Jugendliteratur 2013 erneut an Profil. Den Auftakt machte der Roman "Ajwan" (2012) von Noura al-Noman. Es war das erste Buch ihrer erfolgreichen Science-Fiction-Trilogie.
Ein Großteil der neuen arabischen Literatur für Jugendliche und junge Erwachsene steht fest in der Tradition des sozialen Realismus. Doch junge Menschen lieben auch Science-Fiction und Fantasy. Mona Elnamoury, die kürzlich den Roman "Der Magier der Erdsee" von Ursula K. Le Guin ins Arabische übersetzte, meint, die Popularität der Romane von Harry Potter habe den Appetit auf mehr arabische Science-Fiction und Fantasy geweckt.
Nach der Trilogie von Noura al Noman sind durchaus einige Science-Fiction-Titel erschienen. Aber Al-Noman bleibt bislang unerreicht. In "Ajwan" entkommt eine 19-jährige Außerirdische mit knapper Not der Zerstörung ihrer Welt. Später muss sie ihren Sohn vor einer Organisation retten, die aus ihm einen Supersoldaten machen will. Al-Noman meinte kürzlich, "die meisten Menschen, mit denen ich spreche, nehmen das Buch gar nicht als Jugendliteratur wahr. Sie meinen, es sei mehr etwas für Volljährige."
Arabische Jugendromane sind im Allgemeinen sozial konservativer als ihre Pendants in Europa. Sharafeddine hält nicht viel von der Vorstellung, Romane aus anderen Sprachen zu imitieren. "Sprache und Kultur haben großen Einfluss auf die Inhalte. Wir müssen von innen nach außen gehen. Nicht umgekehrt."
Mehr Raum für Romantik
Jugendliche lieben durchaus Bücher, in denen es ein bisschen knistert. Die jordanische Autorin Taghreed Najjar stand bereits zweimal auf der Shortlist des Etisalat-Preises in der Kategorie "Junge Erwachsene". Ihr Buch "Sitt al-Kol" (zu Deutsch "Gegen den Strom") erscheint in Kürze in italienischer Übersetzung. Najjars Jugendromane enthalten einen "Hauch Romantik", erkennbar "in Blicken, Erröten, Herzklopfen und Sehnsucht – nicht mehr", so die Autorin. "Keine Berührungen und selbstverständlich keine Küsse."
Sie sagt aber auch: "Eine Achtklässlerin, die kürzlich 'The Mystery of the Falcon's Eye' gelesen hat, war ganz begeistert von dem Buch, hätte die Romanze aber gerne detaillierter – viel detaillierter."
Nicht immer ist klar, an welche Zielgruppe sich ein Buch richtet. 2016 wurde der Roman "Screams Behind Doors" (Sorakh Khalf al-Abwab) von Rania Amin als das Buch des Jahres für junge Erwachsene ausgezeichnet. Die Schriftstellerin möchte sich damit nach eigenem Bekunden allerdings eher an jüngere Leser wenden.
Sie selbst gesteht ein, dass Bücher für Jugendliche durchaus etwas mehr romantische Spannung haben sollten. "Jugendliche möchten darüber lesen, was ihnen am wichtigsten ist, also Liebe und Freundschaft", so Rania Amin. "Uns als Schriftsteller ist es aber nicht gestattet, darüber näher zu schreiben. Zumindest nicht so offen und realistisch wie wir sollten oder möchten."
Jugendsprache oder Hochsprache?
Auch die Sprache selbst ist in Büchern für junge Menschen ein Thema. Die Charaktere in "Screams Behind Doors" wurden von dem populären Comic-Illustrator Magdy al-Shafee in Szene gesetzt und sprechen ein modernes Hocharabisch. Diese Sprache wirkt in diesem ansonsten temporeichen und unterhaltsamen Buch etwas fremd.
Amin sagt selbst, sie habe die Dialoge ursprünglich in ägyptischem Arabisch geschrieben. Der Herausgeber änderte ihren Text dann in Hocharabisch mit der Begründung, "dass wir uns gegen den Wettbewerb behaupten müssen und auch die Märkte in anderen arabischen Ländern erreichen wollen. Das finde ich persönlich schade", so Amin.
Ihre Autorenkollegin Sharafeddine vertritt dagegen die Auffassung "Hocharabisch ist eine sehr variantenreiche und schöne Sprache, die wir als Autoren wertschätzen und für unsere Werke nutzen sollten."
Der jeweils im November verliehene Etisalat-Preis rückt die arabische Jugendliteratur zunehmend stärker ins Licht der Öffentlichkeit. Dennoch meint Amin, die für diesen Preis durchaus dankbar ist, dass Autoren nicht "für Verleger und Märkte" schreiben sollten. "Wir werden unserer Aufgabe viel eher gerecht, wenn wir uns unserer Leserschaft bewusst sind", erklärt sie mit Blick auf die jungen Leser.
Marcia Lynx Qualey
© Qantara.de 2017
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers