Persepolis - gelebte Wirklichkeit einer Generation

Die Iranerin Marjane Satrapi schildert in ihrem Comic "Persepolis" ihre Kindheit im Iran und löste damit in Europa eine Lawine der Begeisterung aus: In mehreren Sprachen wurde ihr Werk bereits übersetzt - jetzt auch auf Deutsch. Petra Tabeling hat sich mit der Comiczeichnerin unterhalten.

Buchcover: Persepolis

​​Teheran Ende der 70er Jahre: Es ist die Story eines kleinen Mädchens. Sie geht in die Schule wie alle anderen, kleidet sich normal und führt dennoch kein normales Leben. Während ihre Eltern auf den Straßen Teherans gegen den Schah demonstrieren, spielt sie mit ihren Freunden im Garten Revolution.

Nach der Errichtung der Islamischen Republik verschwinden plötzlich Verwandte und Bekannte. Marji, so heißt das Mädchen, muss auf einmal ein Kopftuch tragen. Immer wieder fragt sie warum. Am Ende des Comicbandes ist Marji schließlich zu einem Teenager herangewachsen. Mit 14 Jahren wird sie von den Eltern nach Österreich geschickt, um bei ihrer Tante zu leben. Das war 1984.

Politische Umbrüche in Bilder verpackt

Dieses Mädchen ist heute 34 Jahre alt, lebt in Paris und ist Comiczeichnerin. Eigentlich illustrierte Marjane Satrapi Kinderbücher. Aber dann entschloss sie sich dazu, ihre eigene Geschichte - eine Historie ihres Heimatlandes - zu zeichnen. Sie war es einfach leid, wie unreflektiert über den Iran, Religion und Muslime berichtet wurde.

Das war vor vier Jahren. Der Comic hatte gleich großen Erfolg in Frankreich - über 200.000 französischsprachige Exemplare wurden bereits verkauft und es folgten drei weitere Bände. Seit März ist nun endlich auch die deutsche Ausgabe des ersten und zweiten Teils von "Persepolis" erschienen - Geschichten, die die Jugendjahre Satrapis beschreiben.

Erinnerungen einer ganzen Generation

Eines stellt Satrapi im Gespräch gleich klar, sie hat in ihrem Comic "Persepolis. Eine Kindheit im Iran" ihre eigene Geschichte erzählt. So als würde sie nicht stellvertretend für eine ganze Generation sprechen. Und doch ist das Besondere an Satrapis Erzählung, dass sich wohl viele Iraner und Iranerinnen damit identifizieren können, die wie sie im Iran der 70er und 80er Jahre aufwuchsen.

Verlag: Edition Moderne 2004
Comicstrip aus "Persepolis"

​​Und nicht nur bei ihren Landsleuten löst "Persepolis" begeistertes Interesse und gemischte Gefühle aus. Denn der Comic ist so lebendig erzählt, dass man auch als Außenstehender das Gefühl hat, zu erkennen - wenn auch nicht die gesamte Komplexität der damaligen Ereignisse zu verstehen - welche dramatischen gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen der Iran erlebte:

Die Herrschaft des Schahs, das Ende des Pfauenthrons und die Errichtung der Mullah-Herrschaft sowie der Iran-Irakkrieg, der seine Spuren der Verwüstung auch in Teheran hinterließ.

Vor allem eines wird deutlich: wie sehr Menschen wie Marjane und ihre Familie unter den Ereignissen der 70er und 80er Jahre gelitten haben. Marjanes Familie gehört der oberen Gesellschaftsschicht an, ihre Vorfahren entstammen einem alten persischen Herrschergeschlecht.

Marjane wird sehr aufgeklärt erzogen, ihre Eltern sind liberal und engagieren sich im Kampf gegen das korrupte Schahregime. Der Großvater stirbt nach langer Haft, der intellektuelle Freundes- und Verwandtschaftskreis der Familie sitzt im Gefängnis. Doch der alltägliche Terror wiederholt sich nach der Revolution unter der Herrschaft der Islamisten.

Gemeinsamkeiten statt Unterschiede entdecken

Satrapi ist bekennende Pazifistin. Sie hasst jegliche politische Schwarz-Malerei zwischen Ost und West: "Wenn etwas Schlimmes im Osten passiert, wird es gleich mit der Religion in Verbindung gebracht. Aber ich glaube nicht, dass es Teil der europäischen Kultur ist, als europäische Christen im Namen von Jesus Christus Menschen umgebracht zu haben. Nur weil es religiöse Fanatiker in einer Gesellschaft gibt, bedeutet das noch lange nicht, dass sie damit Teil einer Kultur sind."

Die Iranerin glaubt mehr an kulturelle Gemeinsamkeiten, denn an Unterschiede und Abgrenzungen im Orient und Okzident: "Man ist immer sozusagen Westen und Osten von irgend jemand oder von irgend etwas. Wir sind uns viel näher, als wir glauben. In Europa glaubt man zum Teil immer noch, dass die europäischen Mythologien ihre Wurzeln in Griechenland haben. Kaum aber einer weiß, dass Vieles auch seinen Ursprung im Iran hat."

Verlag: Edition Moderne 2004
Comicstrip aus "Persepolis"

​​Aber das Wichtigste ist Satrapi, das Menschen verstehen, dass alle gleich sind - egal aus welchem Land sie stammen. Und die Kunst des Comics ist für sie Weg, das zu unterstreichen: "Ich denke, dass die Sprache des Comics universal und international ist. Die Gefühle werden von allen verstanden, egal aus welcher Kultur man stammt. Ein lachender oder weinender Mensch bedeutet schließlich überall dasselbe."

Seit mehreren Jahren lebt und arbeitet Satrapi in Paris. Nach ihrem Aufenthalt in Österreich kehrte sie für wenige Jahre in den Iran zurück, wanderte dann aber erneut nach Europa aus. Ihre Eltern wohnen nach wie vor im Iran.

Kann Satrapi, die sich selbst in ihrem Comic als freches, unbequemes und neugieriges Mädchen darstellt, sich jemals vorzustellen, wieder in den Iran zurückzukehren? "Ich spreche oft über den Iran, über die falschen Bilder und die Klischees, aber die letzten 25 Jahre seit der Revolution lasten wie ein schweres Paket auf meinen Schultern."

Aber heute gebe es eine neue Generation im Iran, die nicht mehr den Ballast der Vergangenheit trage, und das macht der 34jährigen Hoffnung. Zwei Drittel der Studentinnen sind Frauen, die jungen Iraner sind viel offener und moderner geworden.

Sie besitzen Zugang zu Hightech und Internet und sind vor allem als Musiker, Schriftsteller und bildende Künstler aktiv: "Vor allem die künstlerische Szene ist in Iran sehr engagiert, obwohl es dort Künstler oft nicht einfach haben im Iran“, meint Satrapi. Das derzeit im Berliner "Haus der Kulturen" stattfindende Festival "Entfernte Nähe" über die iranische Kunstszene, sei hierfür ein deutliches Zeichen, erklärt die Comiczeichnerin, die selbst auf dem Festival mitwirkt.

Komplexen Realitäten ein Gesicht geben

Die Welt des Irans in einem Comic abzubilden und die gesellschaftliche Realität der damaligen Zeit darzustellen, ist ein wunderbarer Weg, um zu verstehen, wie Marjane Satrapi ihre Kindheit im Iran erlebt hat.

Gerade deswegen ist es ebenso ein Buch für Erwachsene. Mit einfachen, kontrastreichen Bildern schafft es Satrapi, komplexe und historische Umbrüche zu erzählen ohne dabei eine zu voreingenommene Stellung einzunehmen.

Und so gibt Marjane den abstrakten Verhältnissen und ihrer eigenen Biografie ein Gesicht. Vielleicht ist Satrapis Buch deshalb auch so erfolgreich - selbst auf Japanisch und auf Hebräisch wird "Persepolis" derzeit übersetzt. Und Ende nächsten Jahres soll es bereits eine Fortsetzung des Comicbandes auf Deutsch geben.

Petra Tabeling © Qantara.de 2004

Marjane Satrapi: Persepolis, Edition Moderne, Zürich. 2004 ISBN: 3907055748, 22 Euro

  • Marjane Satrapis Comicband "Persepolis" im Verlag Edition Moderne
  • Die Ausstellung "Persepolis" ist noch bis zum 30. April im Literaturhaus Stuttgart zu sehen
  • Zur Veranstaltung "Entfernte Nähe" im Haus der Kulturen der Welt gehts´s hier