Zwischen den Welten

Mit seiner viel gepriesenen Graphic Novel-Reihe "Der Araber von morgen" beschreibt Riad Sattouf auch die Zustände in der arabischen Welt von heute, obwohl sich der Comiczeichner hauptsächlich mit seiner Kindheit und Jugend zwischen Orient und Okzident beschäftigt. Von Schayan Riaz

Von Schayan Riaz

Der aktuelle vierte Band, der die Geschichte des jungen Riad Sattouf fortführt und keineswegs abschließt - die letzte Seite öffnet nochmals eine ganz neue Büchse der Pandora - widmet sich den Jahren 1987–1992. Es ist einmal mehr eine liebenswerte, tragikomische Auseinandersetzung mit dem Älterwerden geworden.

Dass Sattouf ein begnadeter Zeichner ist, das hat er bereits in seinem bisher veröffentlichten Werk bewiesen. Er spielt wunderbar mit Farben; für die Illustrationen, in denen er in Syrien aufwächst, wählt er eine rote Farbpalette, die Kapitel in Frankreich, seiner zweiten Heimat, sind in einem kühlen Blau gezeichnet.

Der Autor ist auch weiterhin zerrissen zwischen seinen beiden Kulturen und Elternteilen. Und das, was sich in den letzten Bändern angedeutet hatte, vertieft sich im vierten Teil: Der arabische Vater, der bislang nicht sonderlich religiös gewesen ist, findet als Dozent in Saudi-Arabien zum Islam und wird konservativer. Sattoufs französische Mutter ist indes immer mehr ihrem Mann und seinem neuen Lebensstil gegenüber abgeneigt, sie genießt ihr Leben in der Bretagne und möchte für immer dort bleiben.

Jude oder Araber

Doch wenn ein Merkmal die Kindheit und Jugend von Sattouf zusammenfasst, dann ist es der ständige Wechsel seines Wohnorts, ob es seiner Mutter gefällt oder nicht. Wie schon vorgenannt, ist die Familie aufgrund der akademischen Tätigkeiten des Vaters hin- und hergerissen zwischen Syrien und Frankreich, und auch in weiteren Ländern des Nahen Ostens hat es sie verschlagen, wie etwa nach Gaddafis Libyen.

Diese Lebensabschnitte haben Sattouf nachhaltig geprägt, wie man bei der Lektüre feststellen kann. Identität ist ohnehin ein wesentliches Thema bei "Der Araber von morgen", klar, das versteht sich von selbst. Bei Sattouf kommt neben der doppelten Herkunft noch sein Aussehen dazu, weswegen er überall auf Neugierde, aber auch viel Misstrauen und Ablehnung stößt.

Riad Sattouf; Foto: Olivier Marty
Riad Sattouf, 1978 in Paris geboren, gehört seit langem zu Frankreichs bekanntesten Comic-Künstlern und wurde immer wieder für seine Arbeiten ausgezeichnet. Er ist der Sohn einer französischen Mutter und eines syrischen Vaters. Er wuchs in Libyen und Syrien auf, ehe er mit zwölf Jahren nach Frankreich zurückkehrte. Von seiner Kindheit im Nahen Osten erzählt er in seiner Graphic Novel "Der Araber von morgen".

In Syrien wird er aufgrund seiner blonden Mähne als "Jude" beschimpft, und zwar von seinen eigenen Cousins. Sie können nicht akzeptieren, dass dieser Junge, der von außerhalb kommt und dann auch gar nicht konventionell arabisch aussieht, je ein echter Araber sein könnte.

In Frankreich geht es Sattouf ironischerweise ähnlich, auch hier wird er nicht als typischer Franzose gesehen. Sein bester Freund erklärt ihm sogar, dass es die Araber seien, die immer als Banden Krawall machten und die Leute grundlos attackierten. Riad passt da gar nicht in dieses Bild. Es muss sich bei ihm doch um einen Franzosen handeln, wenn auch sonderbarerweise mit arabischem Namen...

Eine grundlegende Veränderung

Dass Antisemitismus und Rassismus in unserer heutigen Welt nach wie vor an der Tagesordnung sind, und von einigen Staatschefs - oder neurechten, rechtspopulistischen Vordenkern und Ideologen sogar salonfähig gemacht werden, das macht Sattoufs Geschichte umso tagesaktueller. Und dass er wiederholt in seinen Bildern Jugendliche diese Vorurteile und Stereotype aussprechen lässt, zeigt auf, wie notwendig heute Bildungsarbeit im globalen Maßstab ist. Wo wir beim Thema des Patriarchats wären, der auch eine Bildung gut tun würde.

Die Beziehung zwischen Sattoufs Eltern ist das explosive Kernstück dieses vierten Bands. Die Situation zwischen den beiden ist, gelinde gesagt, angespannt - was für routinierte Leser seiner bisherigen Bände nichts Neues sein dürfte. Das Paar changierte schon immer zwischen Liebe und Hass. Nur diesmal scheint sich etwas Grundlegendes geändert zu haben.

Vielleicht liegt es daran, dass der Vater für längere Zeiten nicht bei der eigenen Familie ist, vielleicht auch daran, dass er sich zu einer zunehmend anstrengenden und unliebsamen Persönlichkeit entwickelt hat. Mit Sicherheit liegt es daran, dass er jetzt versucht, ein frommer Muslim zu sein.

Zwar kommt es zu keiner Zeit vor, dass er seiner Familie seine Religiosität aufdrückt, dennoch duldet er kein einziges kritisches Wort gegen den Islam. So kommt es nach einer Provokation seitens der Mutter zu einem inakzeptablen Moment der Raserei – eine unverzeihliche Grenzüberschreitung.

Ein Teil von ihr werden

Neben dem Hauptkonflikt zwischen Vater und Mutter ist ein weiterer, wichtiger Aspekt dieses Bands die Sexualität Riad Sattoufs. Als pubertierender Junge entwickelt er zum ersten Mal Interesse am anderen Geschlecht - sei es an seiner Cousine im syrischen Heimatdorf Ter Maaleh, seiner Lehrerin mit den langen, schwarzen Haaren, die ihm Nachhilfeunterricht erteilt oder einer der vielen Mitschülerinnen, in denen seine Freunde verliebt sind (und er dann natürlich nicht als Außenseiter da stehen möchte).

Unabhängig davon, ob er diese Mädchen attraktiv findet oder nicht: Sattoufs Humor entfaltet sich in diesen Momenten vollkommen, denn das "hübscheste Mädchen der Schule" hat zum Beispiel einen etwas gewöhnungsbedürftigen Anblick.

Sattouf gelingt beim Thema Liebe ein besonders hübscher Einfall: Immer wenn er an eine Frau denkt, stellt er sich selbst als Mini-Version dar, und die Geliebte als Riesin. So, als wäre die Frau unerreichbar. Vielleicht ist dies aber auch ein Symbol für Geborgenheit? In einer besonders denkwürdigen Episode seiner Fantasie wird er sogar eins mit einer Frau. Er denkt an seine neueste Obsession, die Witwe Juliette, die Hauptfigur einer Zeichentrickserie. Er merkt, dass er mit ihr eins wird: Seine Beine entspringen aus ihrer Brust, er wird plötzlich Teil ihres Körpers.

Es könnte bisweilen verstörend wirken, doch Sattouf geht das Ganze in seiner Bilderwelt so liebevoll an, dass man ihm die kindliche Unschuld abnehmen muss. Sattouf ist hier der kleine, verknallte und eingeschüchterte Araber von morgen.

Schayan Riaz

© Qantara.de 2020

Riad Sattouf: "Der Araber von morgen. Eine Kindheit im Nahen Osten (1987-1992)", Band 4, Graphic Novel, Aus dem Französischen von Andreas Platthaus, Penguin Verlag 2019, 288 Seiten, ISBN: 978-3-328-60102-9