Lorca-Stück als Tanzkomödie marokkanischer Art
Die verschrobene Witwe aus dem Werk von Federico Garcia Lorcas "Bernarda Albas Haus", die über ihr Haus und damit über ihre fünf Töchter und die beiden Dienstmädchen eine Trauer von acht Jahren verhängt hat, tanzt am Ende des Theaterstückes "B'nat Lalla Mennana" Flamenco - aufgeführt von der kürzlich gegründeten marokkanischen Gruppe "Al-ka'b al-'ali".
Bei dem Ensemble, das Lorcas Drama in eine Tanzkomödie verwandelt hat, handelt es sich um eine kleine Truppe junger Schauspielerinnen, die der hölzernen Bühnendialoge schwerfälliger Bühnenstücke und der List der Männer müde geworden sind.
Aus diesen Gründen haben sie beschlossen, ihre Theaterkarrieren auf anderen Wegen fortzusetzen. Auf einigen ihrer Plakate sind Schriftzüge angebracht mit dem Hinweis "nur für Frauen".
Lebhafte Dialoge
Zu dem, aus acht jungen Frauen bestehenden Ensemble gehören Samia Akariu, Sa'adia Ladib und Rafika Ben Maimun, die aus Marrakesch zurückgekehrt sind, wo sie drei Spielzeiten am Atelier Tensift spielten, welches eines der brillantesten und professionellsten, neuen marokkanischen Theaterensembles ist.
Nora Skalli verließ das Ensemble des marokkanischen Nationaltheaters mit seinen legendären Stars und den hervorragenden Aussichten, um sich ein noch viel versprechenderes Feld zu suchen, auf dem sie in einem neuen Ensemble ihre Erfahrung und ihr Können unter Beweis stellen kann.
Sa'adia Azkun, Nadja Alami und Hind Sa'adidi kommen aus unterschiedlichen Theatergruppen und schlossen sich ihren Kolleginnen an, um mit ihnen gemeinsam an dem Stück von Lorca zu arbeiten.
Die lebhaften Dialoge des Stückes verdanken ihre Würze der Marokkanerin Fatima Loukili, die die Texte der jungen Frauen überarbeitet und eine hervorragende Endformulierung präsentiert hat.
Ausdruck der Franco-Ära
Inspiriert von den Geschehnissen, die im Hause seiner Nachbarin vorgehen, und denen er durch heimliches Lauschen gewahr wird, erzählt Lorca in "Bernarda Albas Haus" eine wahre Geschichte. Nach dem Tod ihres Mannes verbietet die tyrannische Witwe ihren Töchtern das Haus zu verlassen und ordnet ihnen eine Trauerzeit von acht Jahren an.
Obwohl die älteste Tochter schon lange im heiratsfähigen Alter ist und auch nicht gerade die Schönste ist, hält ausgerechnet der attraktivste junge Mann des Dorfes um ihre Hand an. Da Bernardas erster Ehemann sehr wohlhabend war und der Ältesten ein beträchtliches Stück Land hinterlassen hat, ist dies nicht weiter verwunderlich.
Aber als der Jüngling Bernardas Haus betritt, stiftet er nur Unheil, da er sich Adela, der jüngsten der fünf Schwestern, zuwendet und diese schließlich von ihm schwanger wird.
Als Adela durch die anderen drei Schwestern gewahr wird, dass es sich bei dem Vater des Kindes, das sie in ihrem Bauch trägt, um den Zukünftigen ihrer ältesten Schwester handelt, bereitet sie ihrem Leben ein Ende, da sie diesen seelischen Schock nicht ertragen kann.
Das Theaterstück Lorcas spiegelt die Verhältnisse der dunklen Franco-Ära wider. So ist es Ausdruck der Realitäten dieser Zeit und erhebt gleichzeitig Protest gegen sie: Die neue Generation richtet sich täglich selbst zu Grunde. Das grausame Regime, für das die Mutter steht, ist herzlos und die alte Generation, die durch die Großmutter symbolisiert wird, spielte nahezu keine Rolle mehr.
Lorcas Theaterstück als Mittel
In "B'nat Lalla Mennana" ist daher auf die Rolle der Großmutter verzichtet worden, und so werden nur die Mutter, ihre vier Töchter und ein einziges Dienstmädchen dargestellt. Allerdings ist die Großmutter nicht das einzige Element, das aus dem Theaterstück Lorcas herausgenommen wurde.
Einige, der an dem spanischen Original vorgenommen Veränderungen, verbergen nicht die Befremdung angesichts der "Missverhältnisse", die in "Bernarda Albas Haus" herrschten.
Die Kostüm- und Bühnenbildnerin Rafika bin Maimun hat hervorragende Arbeit geleistet, so dass es gelungen ist, das Stück fließend und überzeugend vom spanischen Granada in die Szenerie eines nordmarokkanischen Dorfes zu übertragen.
"Lorcas Stück ist nur ein Mittel. Wir sind Frauen, für die es wichtig ist, an einem Text zu arbeiten, der zum Charakter unseres Ensembles passt", erzählt sie, "wir fanden Lorcas Werk geeignet für ein Drama, von dem wir uns aber losgelöst, und es schließlich in eine andere Richtung gelenkt haben."
Diese Änderung bestand darin, ein Stück mit marokkanischer Identität zu schaffen, das aber zugleich auch der anderen Kultur Rechnung trägt. Die Gruppe will ferner innerhalb der Theaterlandschaft ein interessantes Werk vorstellen, bei dem der Genuss im Vordergrund steht, so die Kostüm- und Bühnenbildnerin:
"Wir möchten mit niveau- und humorvollen Theaterstücken, die noch nicht abgedroschen sind, ein breites Publikum ansprechen. Ob wir diesen Teil der Herausforderung realisieren werden, lässt sich dann an unserem Erfolg oder Misserfolg messen."
Die marokkanische Realität
Am Ende des Theaterstückes "B'nat Lalla Mennana" bringt sich die jüngste Tochter nicht um, und in ihrem Bauch wächst auch kein Kind heran. Aber nicht nur um das Publikum nicht zu betrüben, kehrt das Theaterstück nicht zu den Wurzeln des Dramas zurück, sondern in erster Linie weil dieses Ereignis im Marokko des neuen Jahrtausends keine Katastrophe wie im Spanien der dreißiger Jahre bedeutet hätte.
"Bei uns gibt es heute Frauenärzte, Abtreibungen oder Kondome und Pillen, die etwaiges Unglück verhindern können", so Rafika bin Maimun Samia Akariu:
"In der Rolle der jüngsten Tochter ist sie also weder schwanger, noch bringt sie sich um. Sie verlässt lediglich die Bühne, kehrt dann aber zurück und tanzt zusammen mit den anderen Darstellerinnen den letzten Tanz. Schließlich wird sie vom Publikum besonders herzlich gefeiert, da sie nicht nur die Regisseurin, sondern auch der größte Star des Theaterstückes ist."
In der marokkanischen Version von Lorcas Werk ist ebenfalls das Thema des Reichtums der ältesten Schwester abgewandelt worden. Denn die jungen marokkanischen Männer, die von morgens bis abends davon träumen, auszuwandern, können auf diese Weise gar nicht mehr zu Reichtum gelangen. Die meisten von ihnen träumen nämlich eher davon, dieses schöne Land zu verlassen, als davon, es zu besitzen.
Der Reichtum der ältesten Tochter geht auf ihre Nationalität zurück. Da der erste Ehemann der Mutter Spanier war, galt dies natürlich ebenso für seine Tochter. Die Eheschließung mit ihr hätte also für den Don Juan des Dorfes bedeutet, das Mittelmeer überwinden und zum anderen Ufer gelangen zu können, ohne sich seine Kleidung nass machen zu müssen.
Spanien zu Gast in Marokko
Natürlich wird das falsche Spiel des schönen jungen Mannes aufgedeckt und so schafft er es nicht, Andalusien zu erreichen, was ihm ohnehin nie jemand versprochen hat. Aber dem Stück selber gelingt es, die Brücke nach Spanien durch Tanz und Musik zu schlagen.
Der künstlerischen Umsetzung des spanischen Werkes kann man keine Dissonanz im Hinblick darauf vorwerfen, dass das Stück ursprünglich ein Volksschauspiel war.
Das Stück ist im Gegenteil bereichert worden und eröffnet eine ganz andere Perspektive. Das Ensemble "Al-ka'b al-'ali" (Zu Deutsch: "Hohe Absätze") hat wohl mit Absicht eine andere Form des Flamencogesanges gewählt. In einigen Szenen ziehen die Schauspielerinnen den Tanz nämlich dem melodischen Rhythmus des Musikstückes "Ziriab" vor, welches der spanische Musiker Paco de Lucia als Hommage an den berühmten andalusischen Musiker Ziriab komponiert hat.
Kurioserweise betrachten die Spanier die Musik des Stückes als marokkanisch, während die Marokkaner sie als rein spanische Musik bewerten. Und so verliert sich der Geist von Al-Andalus zwischen den beiden Ufern des Mittelmeeres, aber sowohl die Marokkaner als auch die Spanier müssen sich von Andalusien lossagen, auch wenn sie ihm nachtrauern.
Bei den Tanzszenen des Theaterstückes wird der spanische Flamenco getanzt, der auch "Gesang der Bauern" genannt wird. Und weil die Winde Nordafrikas diesen Gesang nach Spanien getragen haben, ist er umgekehrt auch den Körpern und der Seele der Töchter von "Lalla Mennana" nicht fremd. Sogar der spanische Tanzchoreograph Paco de Almeria war von ihrer Art zu tanzen positiv überrascht.
"Die jungen Frauen in diesem Theaterstück tanzen so hervorragend, dass sich selbst professionelle Flamencotänzerinnen noch etwas abgucken können. Sie tanzen mit der nötigen Inbrunst der Zigeuner und Bauern, die die Erde unter ihren Füßen zum Beben gebracht haben. Und genau diese Inbrunst ist der Geist des Flamenco, den wir hier wieder finden…"
… sagt Paco de Almeria, der sehr glücklich scheint, gerade hier den Flamenco vorzufinden. Lorca kann seine Meinung nun nicht mehr äußern. Hätte er in "Bernarda Albas Haus" wohl die gleiche Melancholie und Finsternis bewahrt, wenn er dieses Theaterstück nach der Franco-Ära hätte schreiben können?
Oder hätte er in der ersten Inszenierung des Ensembles "Al-ka'b al-'ali" ein Andalusien gefunden, das anders ist als jenes, das ihn das Leben gekostet und ihn in den Hinterhalt gelockt hat?
Yassin Adnan
© Qantara.de 2005
Übersetzung aus dem Arabischen von Martina Stiel
Qantara.de
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