Die Ermordung von Omar Rajeh
Am 12. Dezember 2005 schreibt der Choreograph und Tänzer Omar Rajeh gerade einen Brief an Gebran Tueni, als ihn die Nachricht erreicht, der Journalist sei beim Verlassen seines Hauses in Beirut durch eine Autobombe ums Leben gekommen. Das, was er nur aus dem Fernsehen erfährt, rückt für Rajeh plötzlich in fühlbare Nähe. Die Frage, ob und wie man als libanesischer Künstler auf so eine Erfahrung reagieren soll, führte ihn zur Konzeption des aktuellen Tanzstückes "The Assassination of Omar Rajeh". Dass es den eigenen Namen des Urhebers im Titel führt, deutet an, wie sehr Politik unter die Haut gehen kann, wie nahe Politik und Kunst in diesem Werk beisammen sind.
Der Einbruch des Politischen ins Private
Doch bietet Rajehs Tanzkompanie "Maqamat" keine vordergründige politisierende Dramatik, sondern eine vielschichtige Inszenierung, die alle Register des Modernen Tanzes zieht. Eingangs schneidet Omar Rajeh – in eine blaue Adidas-Trainingsjacke gekleidet – Obst klein, wirft es in einen Mixer und drückt auf den Knopf: dieses maschinelle Zerstückeln weckt ungute Assoziationen, obwohl es dabei ja eigentlich um eine harmlose häusliche Tätigkeit handelt. Das Stück fängt spannende Ambivalenzen ein.
Zwischen dem Privaten und Politischen, und wie diese Sphären einander gewaltsam perforieren, bewegt sich auch das Stück: Auf der Bühne werden Versatzstücke eines Wohnzimmers – ein Sofa, drei Blumentöpfe, eine Wand mit Lämpchen – zu immer neuen Konstellationen hin und her geschoben; die Tänzer nehmen Platz, sitzen eine Zeitlang still, um dann einander langsam zu umschlingen, zu kraulen und schließlich eine sonderbare Laokoon-Gruppe aus in sich verschlungenen Leibern zu bilden.
Halb kuschelige Körperhöhle, halb im Ringkampf verstrickte Gegner. Aus diesem Knäuel separieren sich immer wieder einzelne Tänzer zu ihren Soli: Da setzt Ahmad Ghossein an zu einer – ja, was: einer Rede? einem Stakkato gutturaler Laute, das wie Arabisch klingt, aber keines ist, den Tänzer jedenfalls derart anstrengt, dass er sich seine Kleider vom Leibe reißen muss – die zivilisatorische Hülle hängt dem Barbar in Fetzen vom Körper.
Die Kostbarkeit des Wortes
m zweisprachigen Programmheft steht zum Attentat: "Das ist ein Akt der Eliminierung von Worten, Stimmen und Körpern, ein Akt, der freies Denken und die Hoffnung auf Veränderung tötet." Die abgedruckte Liste ermordeter libanesischer Journalisten, mit Biografien und Fotos anschaulich gehalten, ist lang. Die Geschichte der Attentate reicht von den 1940ern bis ins neue Millennium, hin zu dem Samir Kassir und eben Gebran Tueni. Allein ihre Worte – ihr Einsatz für Redefreiheit, Menschenrechte und eine demokratische Zivilgesellschaft – haben diese Journalisten zu Tode gebracht. In "The Assassination of Omar Rajeh" wird um jedes Wort gerungen, mit jedem Buchstaben gekämpft.
Selbst der tanzende Körper kann nur mühsam Harmonie entwickeln – ein Solo von Mia Habis verheddert sich in gegenläufigen Impulsen – da separieren sich einzelne Gliedmaßen, streben nach eigenständiger Bewegung: der Körper bebt in Zuckungen, Windungen, gehemmten Spasmen. Solche ergebnislosen Anstrengungen erscheinen als unzureichender Sprachersatz, aber auch als Metapher der Behinderung des freien Ausdrucks. Einmal ruft Ghossein zu seiner sich windenden Kollegin herüber: "Mia, was willst du uns eigentlich sagen!"
Brüchige Phrasen, fadenscheinige Wahrheiten
Auch in der Gestaltung des Bühnenbildes spiegeln sich die Schwierigkeiten von Austausch und Verständigung: Hauchdünner Taft trennt die Bühne vom Zuschauerraum, der Blick durch das durchscheinende Tuch bedingt eine Unschärfe der Dinge. Der Stoff schafft Distanz, aber auch einen Raum der Reflexion. Schrifteinblendungen, die darauf projiziert werden, öffnen eine zusätzliche Dimension. Wie so häufig in der modernen arabischen Kunst geht es auch in diesem Tanzstück um das diffizile Verhältnis zwischen hautnah erlebter Wirklichkeit und medial vermittelter, "offizieller" Wahrheit – um die Brüchigkeit, Relativität und Geschichtlichkeit aller Erzählungen.
Im Libanon, der seit Jahrzehnten Schlachtfeld unterschiedlichster Ideologien ist, ist man besonders sensibel für vollmundige Phrasen. Dabei bleiben solche Erwägungen nicht im Abstrakten schweben – das Tanzstück ist durchwoben von privaten Erlebnissen und Erzählungen, beispielsweise berichtet Omar Rajeh, wie ablehnend die Großmutter auf seine Tanzausbildung reagierte. Rajehs Gruppe ist die erste libanesische Tanzkompanie überhaupt – eine neue Kunstform, die immer noch im Ruch des Unseriösen steht und der Rechtfertigung bedarf. Daher ist die Durchführung von Tanzprojekten ohne intensive internationale Vernetzung und europäische Finanzierung unmöglich.
Tanzszene in Bewegung
Dementsprechend orientiert sich das 2002 gegründete Ensemble "Maqamat" an den internationalen Standards des Modernen Tanzes, und ist doch "typisch libanesisch" in seinem dekonstruktivistischen Bemühen – der gleichzeitig persönliche wie analytisch-sezierende Ansatz, die selbstreflexive Narration, die Arbeit mit dadaistischen Fragmenten und Verfremdungseffekten – das findet seine Entsprechung bei den renommierten Performance- und Video-Künstlern, den Theater- und Filmemachern des Landes.
Im Moment befindet sich die arabische Tanzszene in einer Aufbruchsstimmung: Im Frühjahr fand die "Beirut International Platform of Dance" ("Bipod") statt, ein 2004 von Omar Rajeh initiiertes Festival, das hochwertige Tanz-Ensembles aus dem gesamten arabischen Raum (und darüber hinaus) versammelt und neben der Entwicklung innovativer, experimenteller Tanzstücke auch die Beförderung des interkulturellen Austausches anstrebt. Mit augenscheinlichem Erfolg für Rajeh: Nachdem "Maqamat" mit dem Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm und dem tanzhaus nrw in Düsseldorf zwei erstklassige deutsche Häuser bespielt hat, tourt das Ensemble bis Januar 2010 weiter durch Europa.
Amin Farzanefar
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