Nacktes Missverständnis
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Und wie sehr "gut gemeint" seine Wirkung verfehlen kann, das demonstriert zurzeit der Streit zwischen den Femen-Aktivistinnen und feministischen Muslimas. Femen, das sind eigentlich die Guten. Die, die für Liberalität, Freiheit und Emanzipation stehen.
Damit das auch jeder versteht, agieren die Femen-Frauen bei jeder Gelegenheit nackt und somit schutzlos. Das erste Mal mit großen Erfolg bei vielen Aktionen gegen Sexismus und Frauenhandel rund um die Fußball-EM 2012 im Femen-Ursprungsland Ukraine. Nackt und dennoch nicht verfügbar: Dieses Bild als Protest gegen Prostitution funktionierte.
Doch die Botschaft der nackten Brüste lässt sich nicht in jede Kultur übersetzen. Dies zeigt die jüngste Femen-Großaktion: der "Topless Jihad Day" am 4. April. Weltweit stellten sich daraufhin Frauen oben ohne mit "Fuck your morals"-Plakaten vor Moscheen und tunesische Botschaften. So auch in Deutschland, in Berlin und Hamburg. Auf der Website von Femen prangen seitdem zwei nackte, islam-grüne Brüste unter dem Slogan "Titslamism" und mit dem Hinweis "Free Amina".
Die Tunesierin Amina Tyler hatte sich barbusig fotografiert und in schwarzer Farbe "Fuck your morals" auf den Oberkörper gemalt. Nachdem sie die Fotos über Facebook verbreitet hatte, forderte der islamische Prediger Adel Almi, Tyler auszupeitschen oder zu steinigen. Sie habe für die Befreiung der Frauen demonstrieren wollen, sagte die 19-jährige Tyler Mitte März im tunesischen Fernsehen.
"Wir brauchen euch nicht", sagen die Muslimas
Während Tyler sich nun in einem Video-Interview mit dem französischen Fernsehsender Canal Plus am Wochenende für die Femen-Unterstützung bedankte und erzählte, dass ihr über Facebook und am Telefon gedroht wurde, sie umzubringen und ihr Gesicht mit Säure zu verätzen, wenden sich Tausende Muslimas gegen Femen. In einem offenen Protest-Brief machen Mitglieder der Gruppe "Muslim Women Against FEMEN" klar: "We don't need you."
Um den Fall Amina, den Auslöser des "Topless Jihad Day", geht es dabei nur noch am Rande. Die muslimischen Frauen wehren sich in ihrem offenen Brief dagegen, dass sie von Femen als hilflose Gruppe dargestellt würden, die es von außen zu emanzipieren gelte. "Muslimische Frauen sind selbst in der Lage, sich zu verteidigen", heißt es in dem Brief, "wendet euch gegen männliche Dominanz, aber nicht gegen den Islam."
Die Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko lässt sich von dem tausendfach via Facebook, Twitter und in öffentlichen Protesten geäußerten Zorn der "Muslimah Pride"-Bewegung derweil nicht von ihrem Weg abbringen: "In der gesamten Menschheitsgeschichte leugnen Sklaven, dass sie Sklaven sind." Und wer Sklave oder Sklavin ist, das zu definieren will sich die Femen-Mitbegründerin nicht nehmen lassen: "Sie schreiben auf ihren Postern, dass sie nicht befreit werden müssen, aber in ihren Augen steht 'Helft mir' geschrieben", sagte Schewtschenko zur englischen Ausgabe der Huffington Post.
Kopftuch als Beleg der Unfreiheit
Aus dem vermeintlich gemeinsamen Einsatz für die Emanzipation der Frau, wird so ein Streit um Bevormundung und Ignoranz. "Wir müssen uns nicht an euch anpassen, um emanzipiert zu sein", schreiben die Unterstützerinnen des "Muslimah Pride Day", der als Online-Kampagne einen Tag nach dem "Topless Jihad Day" startete. Hunderte Frauen haben auf der dazugehörigen Facebook-Seite Fotos von sich hochgeladen, auf denen "Nudity does not liberate me and I do not need saving" oder schlicht "I am free" steht.
Dass viele dieser Frauen auf den Fotos Kopftuch tragen, sehen die Femen-Aktivistinnen derweil als Beweis ihrer Unfreiheit. Unter #MuslimahPride kommentiert ein Nutzer auf Twitter: "Stockholm-Syndrom" und schlägt damit in die gleiche Kerbe wie Schewtschenko in ihrer Sklaven-Rethorik. Als "Stockholm-Syndrom" wird das Phänomen bezeichnet, wenn Geiseln ihre Peiniger verteidigen.
Genau diese Logik, die ihnen die Fähigkeit abspricht, klaren Kopfes zu urteilen, empört die Anti-Femen-Bewegung. "Wir haben die Schnauze voll, dass privilegierte Frauen immer wieder die gleichen Stereotypen der hilflosen muslimischen Frau, die Unterstützung aus dem Westen braucht, verbreiten", schreiben die muslimischen Aktivistinnen in ihrem offenen Brief gegen Femen. Aus dem von Femen propagierten Kampf "Frauen gegen ihre Unterdrücker" ist somit der Konflikt "Westen gegen Muslime" geworden.
Femen irritiert wiederholt Feministinnen
Dass die ursprünglich aus der Ukraine kommende Femen-Bewegung dabei mit "westlichem Kolonialismus" gleichgesetzt wird, mag aus deutscher Perspektive befremdlich wirken. Doch dass Femen in dem Versuch, die Kombination aus blanker Brust und knappen Slogans zur internationalen Protestmarke zu erheben, sich um kulturelle Eigenheiten oder Empfindlichkeiten wenig schert, diese Erfahrung ist auch Deutschen bekannt.
Als ukrainische Aktivistinnen im Januar vor der Hamburger Herbertstraße demonstrieten, irritierten sie deutsche Feministinnen, indem sie "Arbeit macht frei" skandierten und das "x" in Sexindustrie durch ein Hakenkreuz ersetzten.
Die jüngste Kritik scheint Femen jedenfalls nicht in ihrem Aktionismus zu bremsen. Als Wladimir Putin heute gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Messe Hannover eröffnete, näherten sich mehrere halb entkleidete Aktivistinnen dem russischen Präsidenten und riefen: "Fuck Dictator". Der so Betitelte zeigte sich wenig beeindruckt: "Die Aktion hat mir gefallen. Daran ist nichts Schreckliches."
Nadia Pantel
© Süddeutsche Zeitung 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de