Politische Teilhabe statt Lethargie
Wäre Nareman Tahas Vater bei seinem ursprünglichen Plan geblieben, dann wäre sie heute wohl keine US-amerikanische Staatsbürgerin. Ihr Vater hatte sich vor fast 50 Jahren von Ramallah auf den Weg nach Brasilien gemacht, wo er aber nur ein paar Jahre blieb. Von dort zog er weiter und landete schließlich in New York, wo er endgültig blieb.
Auf Drängen seiner Mutter heiratete er eine Frau aus seinem Herkunftsort. Doch bis die Braut ein Einreisevisum für die USA erhielt, dauerte es fast zwei Jahre. Und so kam es, dass Nareman in Palästina auf die Welt kam. "Ich war ein Jahr alt, als meine Mutter und ich in die USA einreisten", berichtet Nareman Taha. Inzwischen ist sie 41 Jahre alt und selbst Mutter von zwei Söhnen im Alter von 14 und 17 Jahren.
Bridgeview – das "Little Palestine" Amerikas
Ihre Familiengeschichte erzählt Nareman Taha bei einem Treffen in Bridgeview, einem Vorort von Chicago. Im Volksmund heißt dieser Ort "Little Palestine". Hier siedelten sich seit den 1950er Jahren Einwanderer aus dem Nahen Osten an – vor allem aus Palästina und Jordanien, später auch aus dem Irak und Syrien. Inzwischen hat Bridgeview eine der größten muslimischen Communities der USA, im Staat Illinios soll es sogar die größte sein.
Im Laufe der Jahrzehnte bauten sich die muslimischen Einwanderer in Bridgeview ihre eigene Infrastruktur auf: Heute gibt es Barbiere und Kosmetiksalons, Restaurants und Bäckereien mit orientalischen Spezialitäten, Geschäfte mit Lebensmitteln aus dem Nahen Osten, eine Mädchenschule und auch Moscheen. In Bridgeview leben muslimische Einwanderer der ersten, zweiten und der dritten Generation. Zuhause fühlen sich dort aber nicht alle. "So manch einer aus der ersten Generation träumt noch immer von der Rückkehr", erzählt Nareman Taha. Die Psychologin und Leiterin einer Hilfseinrichtung für Emigranten weiß dies aus Gesprächen mit Klienten, aber auch von ihren eigenen Eltern.
Nareman Taha sieht sich als "Muslim American". Sie gehört zu den 18 Prozent der Muslime in den USA, die laut einer Studie des Washingtoner Pew Research Centers auf die Frage nach ihrer Identität angeben, Muslim und US-Amerikaner zu sein; 26 Prozent der befragten Muslime gaben an, in erster Linie Amerikaner zu sein und 49 Prozent definierten sich primär als Muslime.
Trumps islamfeindliche Stimmungsmache
Nareman Taha trägt ein Kopftuch und lebt ihre Religion auch sichtbar aus. Sich öffentlich als Muslima zu bekennen, das war in den USA auch schon vor dem Wahlkampf um das Präsidentenamt nicht unproblematisch. Seitdem ist es aber einmal mehr mit Anfeindungen verbunden, denn Donald Trump als Kandidat der Republikaner macht um der Stimmen willen immer wieder Stimmung gegen Muslime.
Das blieb nicht ohne Folgen: 2015 stieg laut einer Studie der Georgetown-Universität in Washington die Zahl der muslimfeindlichen Übergriffe im Vergleich zu den Vorjahren an. Insgesamt 174 Anschläge wurden registriert, zwölf Muslime kamen ums Leben. Die Autoren der Studie bringen diese Entwicklung mit Trumps Rhetorik in Verbindung.
Die islamfeindliche Stimmungsmache scheint jedoch nicht alle Muslime im Land zu verängstigen. Hierauf angesprochen reagierten viele Muslime in Bridgeview eher gelassen oder mit Schulterzucken. Doch gibt es auch andere Muslime – solche, die beunruhigt sind von der Situation im Land. Vor allem junge, in den Vereinigten Staaten aufgewachsene oder bereits dort geborene Muslime. Sie bieten Trump auf ihre Weise Paroli – so etwa ein Gruppe von jungen Frauen, die mit einem Youtube-Video Donald Trump erklären: "You want me to go back to my country? You should go back to real estate."
Zu den jüngeren Muslimen Bridgeviews gehört Hind Makki, die sich als amerikanischeMuslima afro-arabischer Herkunft sieht. Makki kam als Tochter somalischer Einwanderer in Chicago zur Welt. Die junge Frau engagiert sich bereits seit einiger Zeit für den interreligiösen Dialog in ihrem Viertel. Vor allem verhüllte Frauen spürten gegenwärtig die wachsenden Anfeindungen gegen Muslime, berichtet die 31-Jährige. Es komme beispielsweise immer öfter vor, dass Fluggesellschaften Kopftuch tragende Passagiere nicht in den Flieger lassen, da sich angeblich andere Passagiere bedroht fühlten.
Zäsur im Wahlverhalten amerikanischer Muslime
"Früher ging es bei den Begegnungen darum, Wissen über den Islam zu vermitteln, heute hingegen darum, den Leuten zu vermitteln, dass Muslime keine Terroristen sind", erklärt Hind Makki. Weiße US-Amerikaner wüssten nur wenig über den Islam, amerikanische Muslime wiederum interessierten sich bislang viel zu wenig für US-amerikanische Politik. Sie kann sich nicht daran erinnern, dass während ihrer Kindheit und Jugend ein Imam die Gemeinde aufgefordert habe, wählen zu gehen. Doch das habe sich mit Donald Trumps Präsidentschaftskandidatur nun gründlich geändert.
Mit dieser Einschätzung ist Hind Makki nicht allein. Auch von anderen muslimischen Akteuren und Funktionären ist zu hören, dass der republikanische Präsidentschaftskandidat immerhin eines geschafft habe: das politische Bewusstsein der US-amerikanischen Muslime zu schärfen. Mehr denn je engagieren sich Moscheegemeinden und muslimische Institutionen gegenwärtig dafür, ihre Mitglieder für die Wahlen am 8. November zu mobilisieren.
Zwar dürfen Moscheegemeinden wie Religionsgemeinschaften generell keine Wahlwerbung betreiben und sich auch nicht zugunsten bestimmter Kandidaten aussprechen, zur Teilnahme an der Auswahl der Wahlmänner und Wahlfrauen auffordern, sind sie jedoch berechtigt. Und das tun sie auch. In Moscheen und anderen muslimischen Wohlfahrts- oder Bildungseinrichtungen liegen Informationen über das US-amerikanische Wahlsystem sowie Formulare zur Wähler-Registrierung aus.
"Muslime sind ein Teil der US-amerikanischen Gesellschaft und sollten daher ein Auge darauf haben, wer welche Gruppen aus dieser Gesellschaft ausschließt", erklärt Oussama Jammal. Er stammt aus dem Libanon, ist Geschäftsmann und ehrenamtlich als Vorsitzender der "Mosque Fondation" in Bridgeview aktiv.
Donald Trump muss draußen bleiben
Die von palästinensischen Einwanderern Anfang der 1950er Jahren gegründete Moscheegemeinde wird derzeit stark von Politikern umworben. Nicht ohne Grund: Zwar leben gerade mal 3,3 Millionen Muslime leben in den USA und machen lediglich rund ein Prozent der US-Gesamtbevölkerung aus. Doch im Vergleich zu anderen Einwanderern, von denen sich nur knapp 50 Prozent haben einbürgern lassen, sind 70 Prozent der muslimischen Einwanderer US-Staatsbürger und somit wahlberechtigt.
Als Jammals Moscheegemeinde im September zum muslimischen Opferfest einlud, kamen mehr als 25.000 Besucher zur Feier in einem Fußballstadium – darunter waren auch lokale Politiker. Gewiss wäre Donald Trump wohl auch gerne gekommen und hätte die Gelegenheit genutzt, um den Muslimen zu ihrem Fest zu gratulieren. Eine entsprechende Anfrage von Trumps Wahlkampfbüro lehnte der Gemeindevorstand jedoch ab – wohlwissend, dass es bei diesem Auftritt nicht um die muslimischen Bürger gegangen wäre. Trump habe mit seinem Auftritt um die unentschlossenen Wähler werben wollen, die mit dem permanent gegen Muslime polternden Präsidentschaftskandidaten hadern.
Muslimische US-Amerikaner stellen keinen monolithischen Block dar, sondern sind eine äußerst vielfältige Minderheit, sowohl was ihre Herkunft als auch was ihre religiöse Prägung betrifft. Doch eines haben Nariman Taha, Hind Makki und Oussama Jammal mit all den anderen Muslimen Amerikas gemeinsam: Sie sind gewiss keine Anhänger des Präsidentschaftsanwärters Donald Trump.
Canan Topçu
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