Macrons neue Gesetze für alte Probleme

Kontrolle von Moscheen, Ausweisung von Ausländern, weniger Homeschooling: Mit einem neuen Gesetz will Frankreich gegen den radikalen Islamismus vorgehen. Kritiker halten die Maßnahmen für ineffizient und stigmatisierend. Lisa Louis berichtet aus Paris.

Von Lisa Louis

Irfan Thakar und Omar Ahamad fühlen sich in Frankreich missverstanden. Sie sind Mitglieder der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde in Saint-Prix, einem nördlichen Vorort von Paris. Dort, in einer weiß getünchten Moschee mit grün-weißem Teppich, leitet der 30-jährige Thakar regelmäßig das Gebet.

"Ich bin Franzose", sagt der in Pakistan geborene Imam, der seit seinem dritten Lebensjahr in Frankreich wohnt, während er in einem Nebenraum der Moschee auf einem braun-schwarzen Sofa sitzt und ein Glas Multivitamin-Saft trinkt. "Und doch muss ich das Nicht-Muslimen immer wieder erklären. Viele denken, der Islam sei nicht kompatibel mit Frankreich – dabei ist er das."

Ahamad, auf einem Sessel neben ihm, nickt zustimmend. "Es ist, als wären wir eine andere Nation, eine andere Rasse. Den Eindruck schaffen auch die Medien, indem sie nur von Muslimen reden, wenn es um Terrorismus geht", meint der 46-Jährige, der seit 23 Jahren regelmäßig in der Moschee betet.

Anwalt Asif Arif; Fotpo: privat
"Die Regierung misst mit zweierlei Maß": Für den Anwalt Asif Arif, Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinde und Autor des Buches "Wie es ist, ein Moslem in Frankreich zu sein", verfehlen die Maßnahmen ihren Zweck. "Terroristen radikalisieren sich doch schon längst nicht mehr in unseren Moscheen – das machen sie online und im Kontakt mit internationalen Netzwerken", erklärt er gegenüber der Deutschen Welle.



Neues Gesetz für mehr Kontrolle

Im Deutsche Welle-Gespräch erinnern sich beide noch genau an Präsident Emmanuel Macrons Rede Anfang September im Vorort Les Mureaux 30 Kilometer westlich von Saint-Prix. "Macron sprach von 'islamischem Separatismus' und sagte, der Islam sei in einer Krise – wie kann er so etwas sagen? Solche Sätze stigmatisieren uns doch nur", findet Thakar.

Frankreichs jüngste Maßnahmen gegen radikalen Islamismus sind eine Reaktion auf drei Attentate, zu denen es seit September in Frankreich gekommen ist. Dabei haben Angreifer in Paris und Umgebung und im südlichen Nizza insgesamt vier Menschen getötet und zwei weitere schwer verletzt.

Macron kündigte danach eine verstärkte Kontrolle von rund 50 muslimischen Vereinen und 75 Moscheen an. Das Land will über zweihundert Ausländer ausweisen, von denen es glaubt, sie seien radikalisiert.

Mit einem neuen Gesetz, das an diesem Mittwoch in den Ministerrat kommt, will man Moscheen und deren Finanzierung sowie die Ausbildung von Imamen besser kontrollieren. Anfang des nächsten Jahres soll das Gesetz ins Parlament kommen und könnte einige Monate später in Kraft treten.

Außerdem soll Homeschooling stärker begrenzt und Hass im Internet besser bekämpft werden. Lehrer sollen besser gegen Drohungen und Mobbing geschützt werden – zum Beispiel, wenn Schüler sich weigern, am Unterricht eines bestimmten Lehrers teilzunehmen.

"Wie es ist ein Moslem in Frankreich zu sein"

Thakar und Ahamad sind einer stärkeren Kontrolle von Moscheen und Imamen gegenüber nicht abgeneigt. "Es ist doch auch in unserem Interesse, gegen radikale Fanatiker vorzugehen, die mit unserer Auffassung von Islam nichts zu tun haben - die sind doch auch für unsere Familien gefährlich", sagt Ahamad.

Doch für den Anwalt Asif Arif, auch Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinde und Autor des Buches "Wie es ist, ein Moslem in Frankreich zu sein", verfehlen die Maßnahmen ihren Zweck. "Terroristen radikalisieren sich doch schon längst nicht mehr in unseren Moscheen – das machen sie online und im Kontakt mit internationalen Netzwerken", erklärt er gegenüber der Deutschen Welle.

Politologe Francois Burgat; Foto: Francois Burgat
Der Politologe François Burgat vom Institut für Recherche zur rabischen Welt und dem Islam in Marseille glaubt nicht an die vielfach beschworene Neutralität der Regierung gegenüber den Religionen. "Macron ist in eine neue Phase eingetreten", sagt Burgat gegenüber der Deutschen Welle. "Er weiß, dass er für die Präsidentschaftswahlen 2022 die Stimmen der Rechten und Rechtsextremen braucht – also ergreift er entsprechende Maßnahmen."

"Mit den Maßnahmen stigmatisiert man uns Muslime nur noch mehr. Die Regierung misst mit zweierlei Maß. Sie verbietet zum Beispiel das "Kollektiv gegen Islamophobie" in Frankreich, das gegen Diskriminierung von Muslimen kämpft. Gleichzeitig hat sie noch immer nicht den rechtsradikalen Verein "Génération Identitaire" aufgelöst, der illegale Aktionen vornimmt, zum Beispiel Grenzkontrollen von Migranten an der Grenze zu Italien vor zwei Jahren."



"Wir sind nicht islamfeindlich"

Doch die Regierung streitet ab, einseitig den Islam im Visier zu haben. "Wir sind nicht islamfeindlich, wir beobachten auch die 'Génération Identitaire'", antwortete ein Sprecher des Elysée-Regierungspalastes der Deutschen Welle während eines Briefings zu dem neuen Gesetz. "Es geht nur um den Respekt für die Werte der Republik".

Leider seien Moscheen manchmal doch Orte für Hassreden, so der Sprecher. So hätte die Moschee im Pariser Vorort Pantin, inzwischen vorläufig geschlossen, ein Video online geteilt, das dazu aufgerufen hatte, den Geschichtslehrer Samuel Paty einzuschüchtern. Paty war Mitte Oktober von einem radikalen Islamisten tschetschenischer Herkunft enthauptet worden, weil er im Klassenraum Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte.

François Burgat glaubt nicht an die vielfach beschworene Neutralität der Regierung gegenüber den Religionen. Burgat ist Politologe am Institut für Recherche zur arabischen Welt und dem Islam im südlichen Marseille. "Macron ist in eine neue Phase eingetreten", sagt Burgat zur Deutschen Welle. "Er weiß, dass er für die Präsidentschaftswahlen 2022 die Stimmen der Rechten und Rechtsextremen braucht – also ergreift er entsprechende Maßnahmen."



Die Verantwortung des Staates

"Außerdem tut er so, als hätten wir keine Verantwortung dafür, dass Muslime in Frankreich oft schlechte Berufschancen haben, sich von der Republik zurückgestoßen fühlen und sich deshalb eher radikalisieren." Erst, wenn der Staat anerkenne, dass auch er eine Mitschuld an einer Entfremdung eines Teils der französischen Bevölkerung habe, könne man zumindest gegen Radikalisierung innerhalb Frankreichs vorgehen.

Für Farhad Khosrokhavar, Soziologe und Islamexperte an der Pariser Uni EHESS, dienen die neuesten Regierungsmaßnahmen vor allem dazu, die öffentliche Meinung zu beruhigen. Laut jüngsten Umfragen glauben mehr als 90 Prozent der Franzosen, dass die Terrorgefahr im Moment hoch oder sehr hoch sei.

"Man geht gegen Vereine vor, die mit Radikalisierung nichts zu tun haben. Und man wettert gegen Salafisten, die in Frankreich hauptsächlich der friedlichen pietistischen Bewegung angehören – das alles ist sehr stigmatisierend", meint Khosrokhavar gegenüber Deutschen Welle.

Für ihn ist die sehr enge Definition der französischen Laizität mit schuld an der Radikalisierung  – auch wegen des weitgehenden Verbots des Kopftuchs. "Für mich ist das eine geradezu antimuslimische Sicht, die zur Radikalisierung beiträgt. Es kann kein Zufall sein, dass es in Frankreich in den Jahren 2000 bis 2017 23 Attentate gab im Vergleich zu zehn in Großbritannien und fünf in Deutschland", findet er.

Lisa Louis

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