Frankreichs schwerer Kampf gegen den Islamismus
Ende September hatte eine schwere Messerattacke auf Passanten vor dem früheren Gebäude der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" in Paris Frankreich aufgeschreckt. Nach ein paar Monaten der Ruhe war das Gespenst des gewaltbereiten Islamismus zurückgekehrt. Kurz darauf hielt Präsident Macron eine seit längerem geplante Rede, wie er islamistische Gewalt bekämpfen will.
Es war ein nuancierter Auftritt, ohne rechte oder gar islamophobe Haudrauf-Rethorik. Aber angesichts von 240 Toten bei Anschlägen mit islamistischem Hintergrund in den vergangenen fünf Jahren weiß Macron, dass er den Kampf aufnehmen muss.
Regierung unter Handlungsdruck
Der grausige Mord an dem Lehrer Samuel Paty beweist erneut, dass sich in Frankreich ein islamistischer Untergrund ausgebreitet hat, der sich dem Blick und Zugriff des Staates bislang entziehen konnte. "Islamistischer Separatismus" nennt Macron das Phänomen, das sich seit dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 in New York und zunehmend mit dem Aufstieg der Terrororganisation "Islamischer Staat" und autoritär islamistischer Regierungen im Nahen Osten ausgebreitet hat.
Der türkische Präsident Erdogan, der die Religion als Instrument der Unterdrückung und des Machterhalts missbraucht, gehört dazu und viele mehr. Hier finden Attentäter nach wie vor Schutz sowie ideologische Unterstützung. Mit seiner neuen harten Haltung gegen Erdogans aggressives Vorgehen im östlichen Mittelmeer etwa zeigt Präsident Macron, dass er die globalen Zusammenhänge sieht.
Dennoch muss er den Kampf vor allem auf französischem Boden führen. Und vieles, was die Regierung jetzt tut, ist richtig: Die Ausbildung von muslimischen Predigern im Land vorzuschreiben, die Schulpflicht auch für muslimische Kinder durchzusetzen, die Abschiebung von islamistischen Hardlinern und die scharfe Kontrolle von Kultur- und sonstigen Vereinen, die Gewaltprediger in ihren Reihen dulden. Niemand sollte jetzt in Frankreich die Islamophobie-Karte ziehen, diese Organisationen hatten jahrelang Zeit, die Duldung oder Unterstützung von Gewalt in ihren Reihen zu beenden.
Politische Härte ist nur ein Mittel
Allerdings ist politische Härte nur ein Mittel gegen die gewaltbereite islamistische Parallelgesellschaft, die sich in französischen Großstädten und unter einigen Migranten entwickelt hat. Sie kann bestenfalls kurzfristige Erfolge verbuchen und die Wähler beruhigen.
Beobachter jeder politischen Richtung in Frankreich wissen, wie viel tiefer das Problem sitzt. Der Präsident sprach zwei der Ursachen offen an: Die nicht verarbeitete Kolonialgeschichte des Landes, insbesondere den Krieg in Algerien, sowie das soziale und wirtschaftliche Elend in den Vorstädten.
Der französische Staat selbst hat diese Ghettos geschaffen und trägt mit Schuld am dort entstandenen "Separatismus". Ihn wieder zu beseitigen, wird Generationen dauern. Und das geht nicht mit Druck, dafür braucht man Geld, Ausbildung, Wohnungen und Infrastruktur - die Liste ist endlos. Vor 25 Jahren machte der Film "La Haine" Furore, der das Leben der Bewohner in den Vorstädten zeigte. In diesem Jahr kam mit "Les Misérables" der Nachfolger auf die Leinwände und das bürgerliche Frankreich zeigte sich schockiert, wie wenig sich geändert hat.
Das wird eine Riesen-Baustelle für Emmanuel Macron, der sich in gut einem Jahr zur Wiederwahl stellen muss. Die ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit könnte er dabei umgehend anstoßen. Das kann ihn Stimmen auf der Rechten kosten, wäre aber eine historisch wichtige Aufgabe für einen Präsidenten von so hohem geschichtlichen Anspruch.
Geduld und Überzeugungskraft
Auch der rigide Säkularismus des französischen Staats, mit dem totalen Ausschluss der Religion in öffentlichen Funktionen, trägt zu der Schärfe der gegenwärtigen Auseinandersetzung bei. Einerseits verlangt die Regierung von der muslimischen Bevölkerung zu Recht, sich an die Gesetze und Normen des Landes anzupassen. Andererseits gibt sie religiösem Ausdruck so gut wie keinen Raum. Vielleicht müsste die politische Klasse in Frankreich sich selbst hinterfragen, ob die Verehrung der eigenen säkularen Traditionen in einer multi-ethnischen, multi-religiösen Gegenwart noch die richtige Basis ist.
Auf der anderen Seite steht das Versagen des organisierten Islam in Frankreich. Und die Zahl der Opfer islamistisch begründeten Terrors in den vergangenen Jahren verbietet jede weitere Ausrede. Es gibt bewunderungswürdige Prediger im Land, die für Toleranz kämpfen. Aber daneben blüht ein Untergrund von salafistischen und anderen Hardlinern, die weiter Gewalt gegen "Ungläubige" propagieren. Ein Blick auf die Social Media-Seiten der Beteiligten am Mord von Samuel Paty lässt das Blut gefrieren.
Präsident Macron wird Geduld und Überzeugungskraft, Härte und Geschmeidigkeit brauchen, wenn er in diesem Kampf auch nur etwas Boden gewinnen will: Er kann ihn nicht wirklich zu gewinnen, denn Frankreich hat diese Seite der Gesellschaft zu lange verdrängt. Am Ende gehört dazu mehr als ein Regierungschef. Dazu gehört auch ein bürgerliches Frankreich, das sich endlich den Fehlern der Vergangenheit stellt.
Barbara Wesel
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