“Die Familie redet immer mit“

Ayse Gerner: Foto: privat
Ayse Gerner: Foto: privat

Ayse Gerner ist Muslima und Eheberaterin. Diese Kombination wissen ihre mehrheitlich muslimischen Klienten zu schätzen. Muslimische Paare stehen vor den gleichen Beziehungsproblemen wie alle anderen, haben aber auch mit spezifischen Hindernissen zu kämpfen. Ein Bericht von Said Rezek

Von Said Rezek

Elif ist seit 14 Jahren verheiratet und erlebt ihre Beziehung als eine einzige Qual. Elif heißt in Wirklichkeit anders, sie möchte nicht öffentlich über ihre Eheprobleme sprechen. Die 33-jährige Muslima türkisch-kurdischer Herkunft lebt, seitdem sie neun Jahre alt ist, in Deutschland. Nach mehreren versuchten Trennungen in den vergangenen Jahren möchte Elif ihren Noch-Ehemann nun endgültig verlassen.

Ayse Gerner, Ehe- und Familienberaterin beim Kölner Verein Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen, hat ihr dabei geholfen, diesen Entschluss zu fassen. Gerner ist seit fünf Jahren in der Ehe- und Familienberatung tätig. Seitdem hat sie hunderte von muslimischen Paaren begleitet. Beziehungsprobleme hätten häufig mit Defiziten in der Kommunikation zu tun, meint sie, das sei nicht anders als bei Paaren aus der Mehrheitsgesellschaft. Aber es gebe auch spezielle Probleme in muslimischen Beziehungen.  

Wenn Frauen dann zu Ayse Gerner kommen, sind sie häufig am Ende ihrer Kräfte. „Eine ganz typische Situation in meiner Eheberatung ist zum Beispiel, dass sich eine Frau meldet und sagt, in ihrer Partnerschaft bestünden seit zehn Jahren sehr viele Probleme, sie wolle sich jetzt trennen,“ berichtet sie. „Die Frauen scheinen mir dann meistens sehr depressiv zu sein, völlig am Ende und haben nur noch null Energie."

So ging es auch Elif.  Ihr Mann ist alkohol- und spielsüchtig, kam morgens häufiger betrunken nach Hause. Ihre beiden minderjährigen Kinder hätten in den vergangenen Jahren immer mehr von den Problemen des Paares mitbekommen.

Scheidung als kollektive Entscheidung

Elif hat sich bewusst für eine muslimische Eheberatung entschieden. Sie hoffte auf eine kulturelle und religiöse Sensibilität, wie sie Ayse Gerner mitbringt. Die 39-jährige ist selbst Muslima, sie trägt ein Kopftuch und ihre Eltern stammen aus der Türkei.

„Wenn die Menschen vor mir sitzen, dann erfasse ich, woher sie ursprünglich kommen, und bin bereit, auf dieser Ebene zu beraten,“ sagt die Familienberaterin. „Ich kenne ihre Werte und weiß, wie die familiären Vorstellungen in dieser Ehe sind. Dementsprechend kann ich sie beraten. Sie müssen diesen ganzen Hintergrund nicht erst erläutern."

Obwohl es sich um eine muslimische Eheberatung handelt, hat sich Elif den Weg zu Ayse Gerner nicht leicht gemacht. Sie hat zunächst ihre Eltern um Rat gefragt. Diese hatten jedoch bis zum Schluss versucht, ihr die Scheidung auszureden, obwohl sie um die Spiel- und Alkoholsucht des Ehemanns wussten. Für Elifs Eltern wäre eine Scheidung mit Scham verbunden. Außerdem wollten sie verhindern, dass die Kinder ohne den Vater aufwachsen.

Symbolbild Islamische Eheschließung; Foto: LIB
In muslimischen Familien ist eine Heirat häufig keine individuelle Entscheidung, sondern basiert auf einem Beschluss der Familie. Dementsprechend wäre es auch ein familiärer Akt, diese Ehe wieder aufzulösen. „Häufig geht es in der Eheberatung darum, dass einer der Partner sich scheiden lassen möchte, aber sehr viel Druck von der Familie erlebt, es nicht zu tun,“ sagt Ehe- und Familienberaterin Ayse Gerner, „egal wie viele Probleme in der Ehe bestehen.“ In der Mehrheitsgesellschaft sei das einfach eine Entscheidung des Individuums. In vielen muslimischen Familien wäre das aber nicht der Fall.

Eheberaterin Ayse Gerner kennt diese familiären Zwänge nur allzu gut aus ihrer Praxis. Es beginne schon damit, dass die Heirat häufig keine individuelle Entscheidung ist, sondern auf einem Beschluss der Familie basiert. Die Eltern würden bei der Partnerwahl mit eingebunden, die Eheschließung werde im Kreis der Großfamilie gefeiert. Dementsprechend wäre es auch ein familiärer Akt, diese Ehe wieder aufzulösen, so Gerner:

„Häufig geht es in der Eheberatung darum, dass einer der Partner sich scheiden lassen möchte, aber sehr viel Druck von der Familie erlebt, es nicht zu tun,“ sagt Gerner, „egal wie viele Probleme in der Ehe bestehen.“ In der Mehrheitsgesellschaft sei das einfach eine Entscheidung des Individuums. In vielen muslimischen Familien wäre das aber nicht der Fall. „Das Problem wird kollektivistisch ausgetragen.“



Dies führe dazu, das muslimische Paare sich viel intensiver darum bemühen, ihre Ehe zu retten, als das in der Mehrheitsgesellschaft üblich ist. Während Nichtmuslime bei Eheproblemen längst aufgegeben hätten und versuchen würden, in Freundschaft auseinanderzugehen, sei das bei muslimischen Ehepaaren eher die Ausnahme, wenn nicht sogar unmöglich. Selbst wenn man vor einem Berg von Problemen stehe, setze man alles daran, eine Ehe zu retten, sagt Ayse Gerner und nennt eine zentrale Ursache: „Die eheliche Bindung ist mit sehr vielen Emotionen verbunden und man versucht diese wirklich bis zum äußersten – ich könnte sogar sagen, bis zur Selbstzerstörung – aufrechtzuerhalten.“

Männer sitzen voller Scham in der Beratung

Es gibt auch religiöse Gründe, warum eine Ehe im Islam nicht leichtfertig beendet wird. Imam Ahmad Popal, das religiöse Oberhaupt der Münchner Gemeinde Unabhängiger Muslime, beschreibt den Stellenwert der Ehe im Islam mit einem Zitat des Propheten Mohammed: „Die Ehe ist die Vervollkommnung der Hälfte deines Glaubens.  

Trotz der immensen Bedeutung der Ehe ist im islamischen Recht „Talaq“, also die Scheidung, als letzter Ausweg möglich. Es gibt zwar keine Statistik zu Scheidungsraten unter Muslimen in Deutschland, aber Ayse Gerner beobachte zunehmend, dass Ehen unter Muslimen heute eher beendet werden, weil diese nicht mehr so stabil seien wie früher.

Auch Elif hat sich für ein Ende ihrer Beziehung entschieden, auch wenn ihr Noch-Ehemann das nicht akzeptieren möchte. Er sei nur einmal in der muslimischen Eheberatung gewesen, doch er sehe es nicht ein, dass es in der Ehe Probleme gäbe, sagt Elif.

Grundsätzlich sei der Umgang mit Männern in der Eheberatung schwieriger als mit Frauen, weil sie verschlossener seien und deutlich weniger über ihre Gefühle sprechen könnten, so die Eheberaterin. Männer neigten dazu, Probleme auszusitzen und mit sich selber auszumachen. Dementsprechend würden vor allem Frauen die Eheberatung aufsuchen und ihre Männer dann meist nur widerwillig mitkommen. Gerade bei muslimischen Männern beobachtet Ayse Gerner eine große Zurückhaltung gegenüber der Eheberatung:

„Sie sitzen dann voller Scham bei mir in der Beratung und sträuben sich enorm dagegen, über die Probleme zu reden, das ist immens,“ sagt sie. „Da muss erst einmal Vertrauen geschaffen und immer wieder betont werden, dass er hier alles erzählen kann und ich das an niemanden weitertragen werde. Männer brauchen diese Sicherheit viel deutlicher und mehr als Frauen.  

Insgesamt hat Ayse Gerner aber eher positive Erfahrungen bei der Beratung von muslimischen Männern gemacht. Sie schaffe es mit ihrer offenen Persönlichkeit, in der Beratung das Eis zu brechen und die Männer zum Reden zu bringen.

Auch Elif konnte ihre Probleme inzwischen lösen. Sie hat mittlerweile auch ihre Eltern überzeugt, dass eine Scheidung die beste Lösung ist. Auch dank der Autorität der muslimischen Ehe- und Familienberaterin Ayse Gerner.

Said Rezek

© Qantara.de 2021