Keine Chance für diplomatische Lösungen
Der Angriff auf das Dorf Tremseh mit bis zu 250 Toten könnte, wenn sich die Angaben der Opposition bestätigen, das bislang schlimmste Massaker seit Beginn des Aufstandes vor 16 Monaten sein.
Bereits einige Tage vor dem Blutbad, zitiert die Opposition Augenzeugen, hätte die Armee Checkpoints an den Zufahrtstraßen zu dem Dorf aufgebaut. Zunächst habe die Armee das Dorf beschossen, worauf viele Bewohner geflüchtet seien. Dann sei die Armee in Begleitung von Milizionären eingedrungen und habe zahlreiche der verbliebenen Bewohner getötet.
Die syrische Regierung ließ über die staatliche Nachrichtenagentur ein gänzlich anderes Bild verbreiten. Bewaffnete Terroristengruppen "hätten Tremseh überfallen und wahllos auf die Bewohner geschossen", hieß es. Sicherheitskräfte hätten sich Gefechte mit den Bewaffneten geliefert, dabei seien drei Soldaten und rund 50 Bewohner ums Leben gekommen. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad hat seit Beginn des Aufstands im März 2011 immer wieder "Terroristen" für die Gewalt im Land verantwortlich gemacht.
Einen Keil zwischen die Bevölkerung treiben
Zu dem Angriff auf das Dorf sagte der Leiter der UN-Beobachtermission, General Robert Mood: "Wir können bestätigen, dass es am letzten Donnerstag in dem Gebiet von Tremseh länger andauernde Gefechte gab." Dabei seien unter anderem Militärhubschrauber und Geschütze eingesetzt worden. Sein Team sei bereit, vor Ort zur Aufklärung der Vorfälle in Tremseh beizutragen, "sobald es eine glaubwürdige Waffenruhe gibt".
Der Ort des Massakers sei kein Zufall, erklärt Sadiq al Mousllie, in Deutschland lebender Vertreter des Syrischen Nationalrats. Das mehrheitlich von Sunniten bewohnte Dorf sei umgeben von Ortschaften mit überwiegend schiitischer Bevölkerung. Eine solche Konstellation habe es bereits bei anderen Massakern gegeben.
Dies spreche dafür, dass die Regierung versuche, einen Keil zwischen die syrische Bevölkerung zu treiben und die Alawiten, zu denen auch der Assad-Clan gehört, auf ihrer Seite zu halten. "Das Regime versucht durch dieses Massaker eine Botschaft zu verbreiten: Schaut, wir gehen die sunnitischen Dörfer an, aber die alawitischen nicht."
Das diese Rechnung aufgeht, hält Al Mousllie allerdings für unwahrscheinlich. Im ganzen Land kämpften Sunniten und Schiiten gemeinsam gegen das Assad-Regime, einen Krieg der Konfessionen gebe es in Syrien nicht. Darum greife das Regime zu immer drastischeren Mitteln, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Nach Zeugenberichten wurden manche Bewohner des Dorfes regelrecht abgeschlachtet.
Der Fernsehsender Al Jazeera berichtet, die Angreifer hätten ihre Opfer zerstückelt und Leichenteile sowohl in der lokalen Moschee wie auch auf den umliegenden Feldern verteilt. Eine unabhängige Bestätigung für diese Berichte gibt es allerdings nicht.
Milizen im Dienst der Regierung
Die Opposition macht die sogenannten Shabiha-Milizen für Bluttaten wie in Tremseh verantwortlich. Die Miliz ist eine in Syrien besonders gefürchtete und verrufene Söldnertruppe in Diensten des Regimes. Deren Mitglieder, erklärt Rafif Jouejati, Sprecherin der oppositionellen "Lokalen Koordinierungskomitees", setzten sich vor allem aus Kriminellen zusammen. "Viele von ihnen saßen im Gefängnis, wurden dann aber freigelassen, um das Regime zu verteidigen."
Die Shabiha-Milizen seien kein Teil der regulären Regierungstruppen. Die Milizen würden tageweise bezahlt, bei teils sehr unterschiedlichen Honoraren. "Ich weiß nicht, wonach sich die Höhe ihrer Bezüge richtet, ob nach der Zahl ihrer Opfer, oder nach dem Einfallsreichtum, den sie bei ihren Mordtaten an den Tag legen.
Man kann aber nicht sagen, dass es sich vor allem um Alawiten handelt – die Milizen entstammen dem gesamten Spektrum der syrischen Gesellschaft. Sie werden sehr gut bezahlt und sind darum dem Regime gegenüber sehr loyal."
Signale des Terrors
Sadiq al Mousllie weist darauf hin, dass die Milizen häufig kurz vor Sitzungen des UN-Sicherheitsrates aktiv würden. Durch den Terror wolle das Regime zwei Botschaften aussenden. Die erste richtet sich an die Internationale Gemeinschaft. "Sie lautet: Das Regime kann so etwas unmöglich getan haben, denn dergleichen würde es nicht vor einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats tun."
Die zweite Botschaft richte sich an die syrische Bevölkerung. Sie solle diese spüren lassen, dass das Regime trotz aller Bemühungen und allen Drucks der Internationalen Gemeinschaft weiterhin in der Lage ist, zu tun, was es will. "Das geschieht, um die Syrer zu demoralisieren."
Auch unter dem Eindruck der Gewalt im Land haben sich die verschiedenen Gruppierungen der syrischen Opposition vor einiger Zeit auf einer gemeinsamen Konferenz in Kairo darauf verständigt, den Rücktritt des Assad-Regimes zu forcieren. Für andere Optionen, erklärt Rafif Jouejati vom "Lokalen Koordinierungskomitee", sähe man keinen Spielraum mehr.
Auch einen Dialog mit dem Regime schließt sie aus. "Es gibt weder Verhandlungen noch sonst einen Dialog mit Assad und seinen Männern. Denn das hieße, mit den eigenen Mördern zu reden. Es ist zu viel Blut vergossen worden, zu viele Menschen sind verhaftet und in den Gefängnissen gefoltert worden, als dass wir einen Dialog auch nur in Betracht ziehen könnten."
Auch für den Syrischen Nationalrat komme nur noch der Rücktritt Assads in Frage, erklärt Sadiq al Mousllie. Für alle anderen Optionen sei es zu spät. Zugleich appelliere der NCC weiter an die Internationale Gemeinschaft, insbesondere den UN-Sicherheitsrat, die Gewalt zu stoppen: "Als Teil der Internationalen Gemeinschaft setzen wir weiterhin auf deren Beistand."
Skeptischer zeigt sich Rafif Jouejati. Sie setzt keine großen Erwartungen mehr in die Versuche, den Konflikt mit den Mitteln der Diplomatie beizulegen. "Das ist schwierig. Denn das Massaker ist ein klassisches Beispiel für das, was passiert, wenn sich Baschar al-Assad zu einer neuen Friedeninitiative bereit erklärt, ob sie nun von der Arabischen Liga kommt oder 'Annan-Plan eins' oder 'zwei' heißt." Am Ende stehe immer eine tödliche Aktion gegen anonyme Zivilisten. "Ich weiß darum nicht, ob wir allzu große Erwartungen an eine politische Lösung des Konflikts stellen können."
Kersten Knipp
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de