In der weißen Blase
Es ist erstaunlich: Da hat die deutsche Polizei erstmals ganz offiziell eingestanden, dass sie Menschen aufgrund ihrer vermuteten Herkunft gezielt aus der Menge herausgreift. Und per Twitter hat sie sogar stolz verkündet, dass sie diese "Polizeistrategie" in der Silvesternacht 2017 in Köln gleich massenhaft angewandt hat – eine "Strategie" wohlgemerkt, die den Grundwerten unserer Verfassung widerspricht.
Und was macht der größte Teil der deutschen Medien? Er freut sich darüber, dass in der Silvesternacht angeblich "nichts passiert" wäre. Das muss eine ziemlich weiße Blase sein, in der sehr viele Journalisten in Deutschland leben.
Natürlich gebührt der Stadt Köln und der Polizei Dank dafür, dass sie dafür gesorgt haben, dass so viele Menschen auf der Domplatte friedlich feiern konnten – im Unterschied zur Silvesternacht vor einem Jahr, wo sie mit dieser Aufgabe heillos überfordert war. Das ist ein Fortschritt, der sich nicht zuletzt einem deutlich größeren Polizeiaufgebot verdankt, das überfällig war.
"Racial Profiling"
Aber Ausweiskontrollen und andere Schikanen allein aufgrund der äußeren Erscheinung sind absolut rechtswidrig, wie auch das Bundesinnenministerium weiß. Für die Polizei heißt das konkret: Es spricht nichts dagegen, größere Gruppen junger Männer zu kontrollieren und in Schach zu halten, insbesondere wenn sie sich aggressiv verhalten. Es ist aber nicht akzeptabel, Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe auszusondern und anders zu behandeln als andere. Auch Letzteres aber ist an Silvester in Köln offenbar im großen Stil geschehen, wenn man den Augenzeugenberichten von Kölner Stadtrevue, Neues Deutschland, taz und auf n-tv glaubt.
Man nennt dieses Vorgehen "Racial Profiling". Und obwohl es offiziell verboten ist, kennen viele Menschen mit dunkler Hautfarbe oder "südländischem Aussehen" diese Praxis der Polizei nur zu gut. Denn auf deutschen Bahnhöfen, Flughäfen und auf öffentlichen Plätzen stehen ihre Chancen, von der Polizei aufgehalten und kontrolliert zu werden, deutlich besser als die ihrer blonden und blauäugigen Altersgenossen.
Neu ist diese Form der Diskriminierung durch Polizeibeamte also nicht. Neu ist nur die Dimension, in der sie zu Silvester in Köln angewandt wurde, für alle sichtbar. Und neu ist auch die Selbstverständlichkeit, mit der Politiker und Journalisten nun erklären, diese Einschränkung ihrer Freiheitsrechte müssten sich all jene, die ins Vorurteilsraster der Polizei fallen, nun mal leider in Kauf nehmen, um unser aller Sicherheit zu gewährleisten.
Da fragt man sich schon: Wessen Sicherheit ist damit bitte gemeint? Schließlich haben auch Menschen mit "nordafrikanischem Aussehen" ein Anrecht darauf, nicht von der Polizei belästigt und zu Unrecht verdächtigt zu werden, sondern unbeschwert zu feiern.
Diese Schludrigkeit, wenn es um die feine, aber entscheidende Linie zwischen berechtigten Sicherheitsinteressen und rassistischer Diskriminierung geht, verdeutlicht die Verwirrung um den Begriff "Nafri". Im Kölner Polizeijargon wird der Begriff bereits seit 2013 intern für "nordafrikanische Intensivtäter" verwendet – für jenes Milieu von Kleinkriminellen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, die als "Antänzer" und Taschendiebe seit längerer Zeit in der Kölner Innenstadt ihr Unwesen treiben.
Sie machten einen Teil jenes Mobs aus, von denen die Übergriffe der vergangenen Silvesternacht ausgingen. Und obwohl kein anderes Ereignis des vergangenen Jahres so oft medial durchleuchtet und offiziell untersucht wurde, ranken sich bis heute zahlreiche Mythen darum.
Deutschlands Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer verbreitet bis heute haltlose Verschwörungstheorien dazu, die kaum jemand hinterfragt. Und die Vorstellung, bestimmte Formen der Kriminalität seien irgendwie kulturell bedingt, ist seitdem Allgemeingut geworden.
Warum nicht eine Ausgangssperre für Sachsen?
In ihrem umstrittenen Tweet, für den sich der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies zu Recht entschuldigt hat, verkündete die Kölner Polizei kurz vor Silvester stolz, sie überprüfe gerade mehrere "Hundert Nafris", die am Hauptbahnhof festgehalten würden. Da die Betroffenen gerade erst überprüft wurden, konnte die Polizei aber noch gar nicht wissen, ob es sich tatsächlich um Intensivtäter handelte.
Aber egal: Teile der Polizei halten "Nordafrikaner" offenbar bereits für eine ausreichend Täterbeschreibung, die eine diskriminierende Behandlung rechtfertigt, und große Teile der Presse geben ihr darin recht.
Man vergleiche diese Haltung mit der Nachsicht gegenüber den allwöchentlichen Pegida-Demonstrationen in Dresden, aus deren Kreisen nicht nur erhebliche Straftaten, sondern unlängst sogar ein Bombenanschlag auf eine Moschee begangen wurde, bei dem nur durch Glück niemand verletzt wurde.
Das Versammlungsrecht des Pegida-Völkchens wird trotzdem nicht in Frage gestellt. Dabei könnte man ja auch mal den Pegida-Mob einkesseln und dessen Personalien einzeln überprüfen, bevor man ihn das nächste Mal auf die Straße lässt – oder eine Ausgangssperre über ganz Sachsen verhängen, warum nicht? Doch die gleichen Leute, die stets mahnen, man dürfe diese Bürger nicht ausgrenzen, sondern müsse ihren "Sorgen und Nöten" ernst nehmen, fordern nun mit Blick auf Köln, der Staat solle hier volle Härte zeigen.
Simone Peter mahnt zu Recht
Der allgemeine Rechtsruck in Deutschland zeigt sich nicht nur darin, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, sondern auch in der Schärfe, mit der Grünen-Chefin Simone Peter abgekanzelt wurde, nur weil sie es wagte, die Verhältnis- und Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens in Köln und anderswo in Frage zu stellen. Sogar in ihrer Partei steht sie damit jetzt alleine da – als sei man heute schon ein weltfremder Träumer, wenn man fordert, dass die Polizei das Grundgesetz ernst nimmt.
Die Kritik an rassistischen Polizeikontrollen sollte in Deutschland eigentlich Bürgerpflicht sein, nach Nazizeit und NSU-Affäre. Stattdessen wird sie diffamiert. SPD, Linke und Grüne sind auf dem Papier zwar strikt gegen „Racial Profiling“. Doch wenn es ernst wird, knicken sie vor dem populistischen Zeitgeist ein. Die Grünen wollten sogar mal Bürgerrechtspartei sein. Für "südländisch aussehende Personen" gilt das offenbar nicht mehr.
Daniel Bax
© Qantara.de 2017
Daniel Bax ist Inlandsredakteur der taz. Zu seinen Themenfeldern zählen u.a. Migration und Minderheiten, Politik und Popkultur. Sein Buch "Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten" ist 2016 im Westend Verlag erschienen.