Weizen in der Wüste

Die ausbleibenden Getreidelieferungen aus der Ukraine zwingen Ägypten zu handeln. Jetzt wird sogar das Toshka-Projekt wiederlebt, um in der Wüste Getreide anzubauen. Birgit Svensson hat es sich angesehen.

Von Birgit Svensson

Die Fahrt von Assuan in Oberägypten Richtung sudanesischer Grenze ist eintönig, die Straße schnurgerade. Wüste, wohin das Auge reicht. 250 Kilometer Hellbraun, unterbrochen manchmal durch schwarze und graue Steine. Die Hitze spiegelt Wasser vor - eine Fata Morgana. Dann plötzlich: Wie aus dem Nichts tauchen Felder, grüne Flecken, mitten in der Wüste auf. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Grün als Weizen. Ein Dorf links von der Straße wird sichtbar, rechts eine hohe Mauer, kilometerlang. Die Mauer soll vor Dieben schützen, denn Weizen ist derzeit begehrt in Ägypten. Der Preis für den Rohstoff, aus dem das tägliche Brot gebacken wird, steigt ins Unermessliche. Toshka, am unteren Ende Ägyptens und nur wenige Kilometer vom Sudan entfernt, ist die Hoffnung. Ein Projekt, das bereits vor 20 Jahren ins Leben gerufen und seitdem völlig vernachlässigt wurde, soll die Rettung vor einer Hungerkatastrophe am Nil sein.

Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur Europa erschüttert, sondern er sorgt auch global für massive Verwerfungen. Für zahlreiche Länder waren Russland und vor allem auch die Ukraine ihre Kornkammer. Besonders Ägypten, das bevölkerungsreichste Land im Nahen Osten, ist von Weizenimporten abhängig, will es die über 100 Millionen Einwohner ernähren. Doch laut Angaben der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft stecken alleine in der Ukraine knapp 25 Millionen Tonnen Getreide fest.

Der Lake Nasser in Oberägypten; Foto: Svensson
Umstrittenes Projekt: Wasser aus dem Nasser-Stausee soll in großen Mengen in die Toshka-Senke im Südwesten des Landes geleitet werden, um dort die Wüste fruchtbar zu machen und das Niltal, in dem fast die gesamte Bevölkerung Ägyptens lebt, zu entlasten. Von der Mubarak-Pumpstation aus soll das Wasser über 50  Meter hoch in den Scheich-Zayid-Kanal gepumpt werden. "Doch der Kanal war zum Zeitpunkt der pompösen Einweihung 2003 noch nicht vollendet und ist es bis heute nicht,“ schreibt Birgit Svensson. Von Anfang an gab es auch grundsätzliche Bedenken, ob der enorme Wasserverbrauch für Toshka zu rechtfertigen ist, während es woanders in der Landwirtschaft fehlt.



Ägypten steht vor einem gewaltigen Problem, denn 80 Prozent der Weizenimporte des Nillandes kamen vor dem Krieg aus der Ukraine und Russland. Laut Untersuchungen der UN sind bereits 31 Entwicklungsländer zahlungsunfähig oder hochgefährdet, es demnächst zu werden. Damit drohen Brotaufstände. Mit Hochdruck wird derzeit in Kairo daran gearbeitet, mehr Weizen im eigenen Land zu produzieren. Die Wüste soll grün werden.

Schon Mubarak wollte die Wüste begrünen

Ob den Worten tatsächlich Taten folgen, steht auf einem anderen Blatt. Hochtrabende Pläne gab es in Ägypten genug, die dann früher oder später im Wüstensand versanken. Die Begrünung der Wüste ist nur einer davon, die Ausweitung der Landwirtschaft ein anderer. Jeder Präsident, von Gamal abdel Nasser über Anwar al-Sadat, Husni Mubarak und jetzt Abdel Fattah al-Sisi, sprach von Selbstversorgung und die Bereitstellung von zusätzlichen landwirtschaftlichen Flächen. Passiert ist so gut wie nichts. Auf den Flächen wurde keine Landwirtschaft betrieben, sondern Häuser und Villen gebaut. Häuserbau statt Ackerbau. Korruption war reichlich mit im Spiel. Aus billigen Flächen für die Landwirtschaft wurden teure Böden für Villenanlagen.

Toshka soll nun die Wende bringen. Als Husni Mubarak am 12. Januar 2003 die Pumpstation, die seinen Namen trägt, dort einweihte, waren hunderte Journalisten (ich auch) von Kairo nach Abu Simbel geflogen worden, um sich das "Jahrhundertprojekt“ anzuschauen und darüber zu berichten. Die Schweizer Firma Schindler baute eigens für diesen Tag einen teuren Fahrstuhl, der den Präsidenten und seine Entourage 50 Meter hoch und wieder herunter transportierte.

Diesen Höhenunterschied nimmt das Wasser, das vom Nasser-Stausee in den Bewässerungskanal gepumpt wird, der die Wüste begrünen sollte. Die Mubarak-Pumpstation war damals die größte Anlage ihrer Art weltweit. Doch der Kanal war zum Zeitpunkt der pompösen Einweihung noch nicht vollendet und ist es bis heute nicht. Bis 2017 sollten durch das Toshka-Projekt auf einer Fläche von 420.000 Hektar Arbeitsplätze und Wohnungen für drei Millionen Menschen entstehen. Die Siedlungsfläche Ägyptens sollte auf diese Weise von fünf Prozent der Landesfläche auf über 20 Prozent vergrößert werden.

In einer ägyptischen Bäckerei; Foto: Khaled Desouki/AFP/Getty Images
Angst vor Brotaufständen: Das einwohnerreichste arabische Land mit 102 Millionen Menschen hat durch den Krieg in der Ukraine weltweit die größten Probleme bei der Weizenversorgung. Brot aber ist das Grundnahrungsmittel der Nilbewohner. "Die Regierung muss was tun“, sagen die Menschen auf den Straßen Kairos, "sonst gibt es bald wieder Brotaufstände“. Seit Jahren pumpt der Staat Millionen in die Brotproduktion. Jetzt, da der Weizenpreis drastisch gestiegen ist, werden es noch mehr. Ein Drittel der Bevölkerung lebt bereits unter der Armutsgrenze und es werden täglich mehr. Nicht-subventioniertes Brot ist in den letzten Wochen um 50 Prozent teurer geworden. Der Preis des subventionierten Brotes ist zwar noch gleich geblieben, aber die Fladen, die noch immer ein ägyptisches Pfund kosten, sind kleiner geworden.



Entstanden ist das kleine Dorf links an der Straße in den Sudan, aber noch immer sind 90 Prozent der Fläche Ägyptens unbewohnbar. Die ursprüngliche Idee, Agrarstudenten der Universitäten Kairo und Alexandria in den Süden zu locken, ihnen Ackerland, Saatgut und Dünger kostenlos zur Verfügung zu stellen und sie damit zum Ackerbau zu motivieren, klappte nicht. Nach einem Kurzbesuch in Toshka kamen die meisten wieder kopfschüttelnd zurück in die Metropolen. Sie beklagten die mangelhafte Infrastruktur wie das Fehlen von Bahn- oder Flugzeuganbindung, aber auch von Märkten und Vertriebswegen. "Wasser allein reicht nicht“, sagten sie. Toshka versank im Wüstenstaub.

Die Lage ist ernst: Brotaufstände drohen

"Die Regierung muss was tun“, sagen die Menschen auf den Straßen Kairos, "sonst gibt es bald wieder Brotaufstände“. Seit Jahren pumpt der Staat Millionen in die Brotproduktion. Jetzt, da der Weizenpreis drastisch gestiegen ist, werden es noch mehr. Ein Drittel der Bevölkerung lebt bereits unter der Armutsgrenze und es werden täglich mehr. Nicht-subventioniertes Brot ist in den letzten Wochen um 50 Prozent teurer geworden.



Der Preis des subventionierten Brotes ist zwar noch gleich geblieben, aber die Fladen, die noch immer ein ägyptisches Pfund kosten, sind kleiner geworden. Nun soll also auf Hochtouren Weizen angebaut werden. Den Bauern soll zertifiziertes Saatgut zur Verfügung gestellt werden, das höhere Erträge bringt. Außerdem hat die Regierung zugesagt, den Landwirten mehr als sechs Millionen Tonnen Weizen zu einem festgelegten Preis abzukaufen. So soll das dringend benötigte Nahrungsmittelprogramm abgesichert werden. Eine Unabhängigkeit von Weizenimporten "erreichen wir vielleicht nie“, sagt Aladdin Hamwieh, Biotechnologe am regierungsnahen International Center for Agricultural Research in the Dry Areas (ICARDA), aber eine Erhöhung der einheimischen Produktion bis auf 70 Prozent wäre schon ein Erfolg.

Komplizierte Welt. #Ägypten, größter Weizenimporteur der Welt, hat ein Problem mit den Weizenlieferungen aus der Ukraine und Russland. Gleichzeitig ist #Russland der wichtigste Abnehmer ägyptischer Export-Kartoffeln. 2/3 der konsumierten Kartoffeln in Russland kommen aus Ägypten https://t.co/uhHI6SDvdU

— Karim El-Gawhary (@Gawhary) May 22, 2022

 

Eine 20-prozentige Steigerung könnte die wachsende Nachfrage ausgleichen, die aus dem Bevölkerungswachstum von 2,5 Prozent resultiert. Denn jedes Jahr kommen zwei Millionen neue Ägypter auf die Welt, ein Albtraum für jeden Volkswirtschaftler.

Dass die Lage ernst ist, zeigt auch die letzte Sitzung des Parlaments vor den Feiertagen am Ende des Ramadan. Die Volksvertreter, die sonst alle auf Regierungslinie und treu ihrem Präsidenten ergeben sind, begehrten zum ersten Mal auf und verlangten den Rücktritt des Premierministers Mustafa Madbouly. "Diese Regierung hat die Ägypter verarmen lassen, sie mit Schulden überzogen und Investitionen verhindert“, klagte die Abgeordnete Maha Abdel Naser.



Mittlerweile ist die ägyptische Währung abermals um 15 Prozent abgewertet worden, die Inflation stieg rapide auf 12 Prozent und soll bis zum Jahresende gar 20 Prozent erreichen, sagen die Prognosen. Andere Abgeordnete werfen der Regierung "grobe finanzielle Verfehlungen“ vor, indem sie hochbezahlte Berater in Behörden einsetzte, die nichts zustande brächten. Der Weizen in Toshka wird denn auch nicht von Fellachen, den ägyptischen Bauern, angebaut, sondern von der alles beherrschenden ägyptischen Armee.

Letzte Meldungen aus Kairo besagen, dass jetzt versucht wird, Weizen aus der Ukraine über Rumänien nach Ägypten zu verschiffen. Das würde zumindest die akute Not lindern. Auf lange Sicht aber bleibt das Problem bestehen.

Birgit Svensson

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