Eine Band ohne Grenzen

Während Palästinenser politisch kaum noch Gehör finden, mischen 47Soul die Musikszene im Nahen Osten auf. Sie sind die Band der Stunde. Von Daniel Bax

Von Daniel Bax

Politisch gesehen, haben Palästinenser heute kaum noch eine Stimme. Während Israel seine Siedlungen im Westjordanland immer weiter ausbaut und den Palästinensern in der Region damit die letzte Hoffnung auf einen eigenen Staat nimmt, finden die Proteste gegen diese Politik kaum noch Gehör.

Im Gegenteil: Die Welt nimmt die fortschreitende Annexion stillschweigend hin, und Israel nimmt zugleich offizielle Beziehungen zu den arabischen Monarchien am Golf auf, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain. Diese Entwicklung zeigt: Noch nie waren Palästinenserinnen und Palästinenser so isoliert wie heute, und sie haben kaum noch Verbündete.   

Doch in der Musikszene tut sich etwas. Die palästinensische Band 47Soul ist in kürzester Zeit zu einer der wichtigsten Gruppen im Nahen Osten aufgestiegen und sie hat eine weltweite Fangemeinde. Die Musiker von 47Soul stammen aus Israel, Jordanien und den USA und haben sich über soziale Netzwerke kennengelernt. In der jordanischen Hauptstadt Amman kamen sie erstmals persönlich zusammen. Heute treffen sie sich in London, um ihre Stücke aufzunehmen.

 

“Palästinenser von 1947”

Der Rapper Tareq Abu Kwaik (El Far3i), der Bassist Walaa Sbeit und der Keyboarder Ramzi (Z The People) wuchsen in Haifa, Ramallah und Washington auf. Sie stammen aus Familien, die sich zu den sogenannten Palästinensern von 1947 zählen – so nennen sich jene Palästinenser, die nach der israelischen Staatsgründung und der Teilung des ehemaligen britischen Mandatsgebiets vertrieben wurden. Darauf bezieht sich auch der Name ihrer Band. Bis 1947 konnte man noch ohne Unterbrechung von Jerusalem nach Bagdad oder mit der Bahn von Haifa nach Beirut reisen.

Die heute unüberwindbar erscheinenden Grenzen in der Region sind ein Erbe der Kolonialzeit und des UN-Teilungsplans von 1947. Die Musiker von 47Soul träumen hingegen von einer Welt ohne Grenzen. Musikalisch kommen sie dieser Vision schon ziemlich nahe.

Gemeinsam haben 47Soul nämlich ein neues Genre erschaffen: Shamstep, so nennen sie ihren Stil. Der Name setzt sich zusammen aus Dubstep, dem letzten Schrei britischer Clubmusik, und Sham, der arabischen Bezeichnung für den Nahen Osten.

Musikalisch ist “Shamstep” ein unwiderstehlicher Mix aus Dabke, dem traditionellen Volkstanz der Levante, bei dem man sich an den Händen hält oder an den Schultern fasst, gepaart mit arabischen Keyboard-Melodien und wummernden Club-Beats. Die Promenadenmischung fährt sofort in die Beine, sie bringt aber auch Bewegung in den Kopf.

Mit hunderten von Konzerten und visuell eindrucksvollen Clips haben sich 47Soul in den vergangenen Jahren ein weltweites Publikum erspielt. Das Video zu ihrer Debütsingle „Intro to Shamstep“, die vor fünf Jahren erschien, wurde auf Youtube inzwischen über 13 Millionen mal angeklickt. Allein im vergangenen Jahr tourten 47Soul vier Mal durch den Norden Amerikas, bevor Corona sie zu einer Atempause zwang.

 

Starke Sprachbilder und hintersinnige Botschaften

47Soul sind nicht oberflächlich politisch. Sie verzichten auf plakativ-eindeutige Slogans, platte Propaganda oder gar Militanz, sondern setzen lieber auf originelle Wortspiele und Metaphern. Das zeigte bereits der Titel ihres Debütalbums, „Balfron Promise“, das vor zwei Jahren erschienen ist.

Der Name erinnerte an die „Balfour-Erklärung“, mit der Großbritannien 1917 versprach, sich für einen jüdischen Staat in der Region einzusetzen. Er spielt aber auch auf den Balfron Tower an, einen markanten Hochhaus-Komplex in East London, in dem das Album entstand. Die dortigen Künstlerateliers wurden inzwischen in Eigentumswohnungen umgewandelt, die Kulturszene verdrängt. So spiegelt sich für 47Soul das Große im Kleinen wieder.

Ihre Songs zeichnen sich durch starke Sprachbilder und einfache, aber hintersinnige Botschaften aus. Der Song „Moved Around“ etwa handelt von Menschen, die bewegt werden – ob von der Musik auf der Tanzfläche oder, unfreiwillig, weil sie vertrieben wurden, bleibt dem Zuhörer überlassen. Das wütende „Mo Light“ handelt von Frieden, Gleichberechtigung und der Sehnsucht nach mehr Licht in düsteren Zeiten. Und in „Everyland“ heißt es zum Reggaebeat: „Jedes Land ist ein heiliges Land.”

In London ist auch „Semitics“ entstanden, das zweite Album von 47Soul, das kürzlich erschienen ist. Der Titel des Albums erinnert daran, dass Arabisch eine semitische Sprache ist. Er spielt aber auch darauf an, dass Kritikern der israelischen Regierungspolitik gerne “Antisemitismus” vorgeworfen wird. Für den Hass, der Palästinensern entgegenschlägt, gibt es jedoch kein vergleichbares Wort.

Das Kunstwort “Semitics” verweist darauf, dass Juden und Araber in der Region durch eine gemeinsame Sprachfamilie verbunden sind und auch sonst viele Gemeinsamkeiten teilen. Auf dieser Grundlage laden 47Soul zum völkerverbindenden Tanzen ein.

 

 

Traditioneller Volkstanz mit Breakdance-Einlagen

Die Band ist zum Trio geschrumpft, seit ihr Gitarrist Hamza Arnaout Anfang des Jahres gestresst vom Tourleben das Handtuch warf. Dafür haben sich die verbliebenen Drei nun mit einer Menge Gäste verstärkt: Beim hypnotischen „Hold your ground“ begleitet sie der britisch-irakische Rapper Lowkey aus London. In „Run“ vereinen sie ihre Kräfte mit The Synaptik aus Jordanien und dem HipHop-Pionier Tamer Nafar aus Israel.

Und auf „Border Ctrl“  artikulieren die britisch-palästinensiche Rapperin Shadia Mansour auf Arabisch und ihre deutsch-chilenische Kollegin MC Fedzilla auf Spanisch ihren Wunsch nach einer Welt ohne Mauern, ob in Mexiko oder im Nahen Osten. Das Musikvideo wurde an der mexikanischen Grenze zu den USA und auf der palästinenischen Seite des israelischen „Sperrzauns” gedreht. „Grenzkontrollen verstopfen unsere Seelen“, lautet der Refrain.

In “Dabke System” heißt es dagegen selbstbewusst: „Turn up the sound of the Galilee loud“. Im Video dazu paart sich der traditionelle Volkstanz aus der Levante so selbstverständlich mit urbanen Breakdance-Einlagen, wie sich die Kufiya der jungen Tänzerinnen und Tänzer mit ihren Hoodies verträgt. Es ist ein kraftvolles Bild kultureller Selbstbehauptung und Erneuerung. 

Daniel Bax

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