Annektieren statt verhandeln
Es gilt längst als ungeschriebene Regel, dass sich die israelische Parteienlandschaft im Vorfeld einer jeden Parlamentswahl neu ordnet. Mag dies auf die Wahl am 22. Januar wieder zutreffen, so ist doch auch ein konstanter Trend innerhalb dieser Veränderungsdynamik zu erkennen. Denn Israels Politik rückt vor allem in außenpolitischer Hinsicht immer weiter nach rechts, wobei die ultrarechten Parteien, ob nationalreligiös oder säkular, stets stärker werden.
Auch die einstige Mitte des israelischen Parteienspektrums verschiebt sich zunehmend nach rechts, die Linke wird zu einer marginalen Erscheinung. Einen Beleg für diese Entwicklung liefert dieser Tage in Meinungsumfragen der kometenhafte Aufstieg der rechtsradikalen Splitterpartei Jüdisches Heim. Erhielt sie bei der letzten Wahl gerade noch drei Mandate, so könnte sie unter ihrem neuen Chef Naftali Bennett ihren Stimmenanteil verfünffachen oder gar zur zweitstärksten Kraft im Land werden.
Dann läge sie knapp vor der aufgefrischten Arbeitspartei Avoda und hinter Benjamin Netanjahus Likud – dieser kann denn auch nach der jüngsten Fusion mit der ultranationalen Partei Israel unser Heim des russischstämmigen Avigdor Lieberman kaum noch als eine Formation der Mitte gelten.
Der im Land von den Medien zum Shootingstar erhobene Bennett spricht Klartext, wenn es um das Verhältnis zu den Palästinensern geht. Zum ersten Mal steht hier bei einem militanten nationalreligiösen Politiker nicht mehr die vage Vision von einem Groß-Israel im Zentrum, einem Traum, den mittlerweile nur noch die neue und noch extremere Siedler-Kleinstpartei Kraft für Israel hegt; sie wird voraussichtlich nur zwei bis drei Parlamentssitze erringen können.
Mischung aus Selbstherrlichkeit und Realitätsferne
Nein, Bennett ist kein Träumer, sondern ein von Tatendrang erfüllter Annexionist. Er will erklärtermaßen die von Israel in der Westbank besetzte und vollständig kontrollierte C-Zone ganz offiziell in den jüdischen Staat eingliedern.
Das sind rund 60 Prozent des Westjordanlands. Die dort schätzungsweise 50.000 bis 70.000 lebenden Palästinenser meint der Parteichef für diesen Verlust mit dem Angebot entschädigen zu können, volle Rechte als israelische Staatsbürger zu erhalten.
Die Arroganz der Besatzer bricht sich auch darin Bahn, dass Bennett zwar bereit ist, die palästinensische Autonomiebehörde – wohlgemerkt unter Israels Sicherheitskontrolle – bestehen zu lassen, einen Palästinenserstaat jedoch entschieden ablehnt.
Auch ist er der Überzeugung, die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf die künftige Entwicklung im Gazastreifen richtig zu deuten: Die dort herrschende Hamas werde ohnehin bald mit Ägypten assoziiert sein, das die islamistischen Muslimbrüder regieren. Damit wäre man das Problem Gaza endlich los, glaubt Bennett.
Es ist diese Mischung aus Selbstherrlichkeit und Realitätsferne, die den Diskurs des 40-jährigen Millionärs und ehemaligen Softwareunternehmers prägt. So erklärte er eine Woche vor der Wahl der staunenden Presse, das Jüdische Heim stehe keineswegs rechts, sondern sei eine Partei der Mitte.
"Bibi mit Kippa"
Damit hat Bennett, der von militanten Siedlern für diese Aussage als "Bibi mit Kippa" verhöhnt wurde, signalisiert, dass er für eine Koalition mit der Allianz Likud Beitenu zur Verfügung steht: Solange keine Räumung israelischer Siedlungsgebiete beabsichtigt werde, solange könne das Jüdische Heim mit einem solchen Regierungsbündnis gut leben.
Tatsächlich wusste man in Netanjahus Wahlkampfstab – dem der rechtsradikale Senkrechtstarter 2008 übrigens selbst angehörte – von Anfang an nicht so recht, wie man mit dem Phänomen Naftali Bennett umgehen soll. In einem seiner Wahlclips versuchte der Likud dann die ansonsten kaum bekannte Führungsriege von Bennetts Partei als besonders radikal zu entlarven.
Auffälligerweise aber wurde dabei gerade die wichtigste Frage, die der Annexionsbestrebungen, ignoriert. In den letzten Tagen wiederum hieß es aus Likud-Kreisen, man könne sich Bennett durchaus als Koalitionspartner vorstellen. Dieser reagierte prompt: Sein neuestes Wahlplakat zeigt ihn gemeinsam mit Likud-Chef Netanjahu und ist überschrieben mit "Gemeinsam sind wir stark".
Trotz dieser Umarmung will man sich beim Likud in der Palästinenser-Frage aber nur ungern festlegen. So ist Netanjahus Partei auch die einzige Liste, die sich bis zuletzt geweigert hat, ein Wahlprogramm zu veröffentlichen. Stattdessen wird auf die "Taten und Errungenschaften" der Regierung Netanjahu verwiesen.
Zementierung der größeren Siedlungsblöcke
Dazu zählt etwa auch die kürzlich erfolgte, im Land äußerst umstrittene staatliche Anerkennung der Hochschule der Siedlerstadt Ariel als Universität – ein weiterer Hinweis darauf, dass der Likud die Realität der Besatzung durch eine schleichende Einverleibung zumindest der größeren Siedlungsblöcke zementieren will. Diese schon seit Jahren sichtbare Tendenz dürfte durch einen Schulterschluss des Likud mit Bennetts Partei nur noch manifester werden.
Den Status quo der Okkupation zumindest teilweise zu dulden scheint auch Shelly Yehimovich, Vorsitzende und Erneuerin der Arbeitspartei, die vermutlich stärkste Oppositionspartei werden wird. Die frühere Radio- und Fernsehmoderatorin strebt zwar die Zwei-Staaten-Lösung an, möchte aber die größeren Siedlungsblöcke im Westjordanland behalten und bietet den Palästinensern dafür im Gegenzug Bevölkerungstransfers an.
Dass der Staat die israelischen Siedler wie das gesamte Siedlungswerk bis zu einer eventuellen Teilräumung der C-Gebiete weiterhin mit allen Mitteln unterstützen muss, ist für Shelly Yehimovich ebenso selbstverständlich wie der weitere Ausbau der bestehenden größeren Siedlungen – ihre linken Gegner sind da anderer Meinung. Sie werfen der Arbeitspartei vor, ihre betont soziale Agenda von der Siedlungsfrage abzukoppeln.
Aus der Sicht der Linken ist nämlich die wirtschaftlich prekäre Lage breiter Teile der israelischen Bevölkerung eine direkte Folge des massiven Flusses staatlicher Gelder in die Siedlungen.
Nicht zuletzt auch aufgrund solcher Meinungsdifferenzen lehnt Yehimovich die in der israelischen Öffentlichkeit gängige Einstufung ihrer Liste als linke Partei kategorisch ab und sieht sie vielmehr in der Mitte positioniert; Mitte-Rechts wäre wohl zutreffender, denn ihre Haltung in der Siedlungsfrage erinnert im Ansatz an die Netanjahus in seiner ersten Amtszeit von 1996 bis 1999, als er sich unter massivem internationalem Druck zur Umsetzung der Oslo-Friedensverträge bereit erklärte, sie dann aber letztlich blockierte.
Politik der demonstrativen Stärke
Stand Netanjahus Wahlkampf damals unter dem Motto "Wir schaffen einen sicheren Frieden", sucht man eine explizite Friedensbotschaft heute vergebens – "Starker Ministerpräsident für ein starkes Israel" tönt autoritär Netanjahus jetziger Wahlslogan.
Um das Land vor den "extremen Turbulenzen" im Nahen Osten schützen, will er unter anderem einen "Sicherheitszaun" um den gesamten Staat errichten. Für diesen wirbt er in einem Wahlspot, in dem der vor einer Karte der Region stehende Premier mit dem Finger auch entlang des heutigen Grenzverlaufs in den besetzten Golanhöhen wie über die Jordan-Linie fährt. Auf eine Bereitschaft, in der Westbank einen Palästinenserstaat mit dem Jordan als palästinensisch kontrollierter Ostgrenze zuzulassen, deutet diese Selbstinszenierung nicht.
Eine solche Absicht signalisiert auch nicht Zipi Livnis neue Partei Die Bewegung und ebenso wenig die Neugründung Es gibt Zukunft des Ex-TV-Moderators Jair Lapid. Sie können sich den künftigen Palästinenserstaat nur als einen "entmilitarisierten" vorstellen – als Enklave also, die an ihren Außenrändern vom israelischen Militär streng kontrolliert wird.
Würden, was momentan als wahrscheinlich gilt, auch noch Livni und Lapid zu Netanjahus rechtem Parteienbündnis stoßen, sieht es für die Zukunft der israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen düster aus.
Joseph Croitoru
© Qantara.de 2013
Joseph Croitoru, geboren 1960 in Haifa, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Judaistik in Jerusalem und Freiburg. Seit 1988 arbeitet er als freier Journalist, zunächst in Israel, seit 1992 für deutschsprachige Zeitungen.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de