Der Online-Dschihad der Islamisten
Etwa neun Männer stehen gebückt hintereinander. Sie haben die Köpfe eingezogen und halten sich mit den Händen an ihrem jeweiligen Vordermann fest. Ein Vermummter zielt mit einem Maschinengewehr direkt auf sie. Das Foto, veröffentlicht von einer dschihadistischen Gruppe, zeigt die Vorführung irakischer Soldaten durch die radikalen Islamisten der ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien). Auf einem anderen liegen überwiegend junge Männer im Staub nebeneinander. Etwa 15 bis 20 ISIS-Kämpfer stehen hinter ihnen. Die Männer haben ihre Waffen auf ihre Opfer gerichtet.
Es sind solche Bilder mit denen sich die Islamisten im Internet brüsten. In Instagram-Fotos, YouTube-Videos und Twitter-Postings können Unterstützer und Gegner in die erschreckende Welt des Dschihads eintauchen. Mit dem Beginn ihres Feldzugs auf die irakische Hauptstadt Bagdad, wird wie in einem Live-Ticker im Minutentakt über angebliche Kampferfolge, Plünderungen und Hinrichtungen informiert. Mit der Medien-Offensive in sozialen Netzwerken sollen Befürworter motiviert und Kontrahenten in noch nicht eroberten Gebieten vorgewarnt werden.
Propaganda-Maschinerie kreiert eigenes Universum
"In der dschihadistischen Bewegung macht ISIS mit Abstand die beste Medienarbeit", sagt der Islamwissenschaftler Guido Steinberg in einem Interview mit der Tageszeitung "taz". Dies ginge zurück auf die irakische Al-Qaida, die ihre Medienarbeit 2004 professionalisiert habe. Alle Aktivitäten würden gefilmt und fotografiert und dann von einer Medienabteilung verarbeitet. Besonders aktiv ist die ISIS dabei beim Kurznachrichtendienst Twitter. Über verschiedene Accounts versuchen die Islamisten dort mit der Verbreitung arabischer Hashtags, die beispielsweise die Namen von Märtyrern tragen, eine Art eigenes Universum zu kreieren. Sogar eine eigene App wurde programmiert.
"Wer diese installiert, verbreitet über das eigene Twitter-Konto den gesamten Inhalt, den ISIS über ihre Accounts veröffentlicht hat und multipliziert damit sozusagen das Ergebnis", erklärt Terror-Experte Yassin Musharbash von der Wochenzeitung "Die Zeit". Musharbash spricht von einer äußerst mächtigen Propaganda-Maschine. Als die Terroristen am 11.06.2014 die irakische Millionenstadt Mossul einnahmen, sollen mithilfe der App mehr als 40.000 Tweets verschickt worden sein. Vor ein paar Tagen wurden die Betreiber des Kurznachrichtendienstes aufmerksam auf die Vorgänge und sperrten etwa drei Viertel der ISIS-Konten. Auch die App ist nicht mehr abrufbar. Bis jetzt hat es die Organisation noch nicht geschafft, alternative Adressen zur Verfügung zu stellen.
Terrorismus als Marke einführen
Neben Twitter kommunizierten die Islamisten und ihre Anhänger laut Musharbash zum Beispiel auch über dschihadistische Webseiten miteinander. "Dort findet man immer noch sehr zuverlässig die offiziellen Verlautbarungen." Offenbar scheint es einigen Anführern der ISIS aber ohnehin etwas zu viel geworden sein, wie dauerpräsent einige ihrer Kämpfer in sozialen Netzwerken seien, so der Terror-Experte. "Die wollen nicht, dass zu viele konkrete Informationen darüber preis gegeben werden, wie viele Kämpfer sich zu welcher Uhrzeit an welchem Ort aufhalten."
Die Konsumenten dieser Inhalte kommen neben arabischen Ländern aus Europa und den USA. Durch ihre ausgeklügelte PR-Strategie im Internet hat die Organisation weltweit ihre Sympathisanten versammelt. Musharbash geht von Tausenden bis Zehntausenden aus, die emotional auf Seiten der Dschihadisten stünden. Und genau das wolle man erreichen. Mit der öffentlichen Unterstützung bei Facebook, Youtube und anderen Social-Media-Plattformen soll eine eigene Corporate Identity geschaffen werden. "Die ISIS ist ja noch keine eingeführte Marke wie Al-Qaida. Das soll befördert werden."
Pop-Art soll dem Westen erklären, wer sie sind
Ob das auch für die Bilder gilt, die man seit Neuestem bei Twitter oder Instagram finden kann, bleibt offen. Sie zeigen junge Gotteskrieger in Syrien und dem Irak, die mit ihren Fotos durch die Auswahl der Motive und durch Bildbearbeitungsprogramme großen Aufwand betreiben. Eine Katze hält eine Waffe zwischen ihren Pfoten. Ein vertrockneter Baum auf einem Hügel aus Steinen in Schwarz-weiß. In der Bildmitte sitzt ein mutmaßlicher Islamist. Einzig seine Kleidung und eine Waffe sind durch Farben hervorgehoben. Terror-Experte Yassin Musharbash bezeichnet diese Inszenierungen als Pop-Dschihadismus. "Das ist eigentlich keine islamische Bildsprache, sondern eine westliche Bildsprache, gefüllt mit dschihadistischem Inhalt." Musharbash glaubt, damit wolle man vor allem die Menschen im Westen erreichen, die gegen den Dschihad sind.
Am 16.06.2014 ließ die irakische Regierung in den von ISIS kontrollierten Provinzen nun den Internetzugang komplett sperren. Die mediale Kriegsführung der Islamisten wurde zu gefährlich. In einigen Regionen können die gesperrten Seiten aber weiterhin aufgerufen werden, weil der Internetzugang teilweise über Satellitenverbindungen oder direkte Anschlüsse zu benachbarten Ländern hergestellt wird. Auch medial lassen sich die Islamisten nicht mehr so einfach aufhalten.
Nastassja Steudel
© Deutsche Welle 2014
Redaktion: Andrea Lueg/DW