Vom Linksterroristen zum Islamisten
Es gehört zu den Vorzügen des Rechtsstaates, dass er seine Schutzregeln auch auf Gegner anwendet, die ihn zutiefst ablehnen. Selbst wer das demokratische System abschaffen will und mit Gewalt für einen islamischen Staat kämpft, hat das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren mit einem Anwalt seiner Wahl. Und genau hier beginnt das selbsterklärte Arbeitsfeld von Bernhard Falk.
Der massige Mann mit grauem Vollbart und Halbglatze beschreibt sich selbst als "Nothelfer". Falks Einsatzorte sind Gerichtssäle und Gefängnisse. Er betreut deutschlandweit Häftlinge. Nicht irgendwelche, sondern Islamisten: Rückkehrer aus Syrien, die dort mutmaßlich für den sogenannten "Islamischen Staat" oder eine andere Terrorgruppe gekämpft haben; Mitglieder der deutschen Salafistenszene, denen vorgeworfen wird, für den vermeintlichen Dschihad rekrutiert oder jungen Männern bei der Ausreise ins nahöstliche Kriegsgebiet geholfen zu haben; Islamisten, die Geld oder Ausrüstung ins IS-Gebiet geschickt haben sollen; radikalisierte Menschen, denen die Planung von Anschlägen in Deutschland vorgeworfen wird. Für Bernhard Falk sind sie alle "muslimische politische Gefangene in der BRD".
Genau 122 stehen auf der mehrseitigen Liste, die er der Deutschen Welle in einem Frankfurter Park präsentiert. Gerade noch hat er im benachbarten Landgericht die Verhandlung gegen Bilal Gümüs besucht. Der Frankfurter Islamist soll einem 16-Jährigen bei der Ausreise nach Syrien ins IS-Gebiet geholfen haben – nur wenige Wochen später kam der Schüler bei Kämpfen um.
Linksterroristische Vergangenheit
Dass der Islamist Falk von "politischen Gefangenen der BRD" spricht, ist kein Zufall. Genauso wenig ist es Zufall, dass er Deutschland in seinen YouTube-Videos als "Herz der imperialistischen Bestie" beschreibt: Bernhard Falk hat eine linksterroristische Vergangenheit. Er verübte mehrere Anschläge, wurde wegen versuchten Mordes in vier Fällen verurteilt und saß über zwölf Jahre im Gefängnis. 2008 kam er frei.
Seine Zeit hinter Gittern treibe ihn an, sagt Falk, insbesondere die fünf Jahre Untersuchungshaft. "Mein Prozess ging über 134 Verhandlungstage am Oberlandesgericht Düsseldorf. Aufgrund dieser Erfahrung habe ich mir gesagt, dass es wirklich an der Zeit ist, muslimischen politischen Gefangenen, die in der Regel ihre Rechte nicht kennen, zu helfen, diese wahrzunehmen." Nach eigener Aussage hat sein muslimischer Glaube Falk geholfen, die lange Haftzeit zu überstehen.
Der Weg zum Islam war dem in Norddeutschland aufgewachsenen Falk nicht in die Wiege gelegt. Er wurde katholisch erzogen und war zehn Jahre lang Messdiener. Während sein Bruder katholischer Priester wurde, zog es Bernhard Falk zur Physik. In Aachen studierte er Elementarphysik: die Lehre von den kleinsten Dingen, die die Welt im Innersten zusammenhalten.
Durch sein Studium lernte er eine Iranerin kennen und befasste sich wegen ihr zum ersten Mal mit dem Islam. Neben dem, wie er sagt, "revolutionären Potenzial des Islam" habe ihn an dieser Religion das Logische und die Aufforderung fasziniert, die Sinne zu benutzen. Noch während Falk für die "Antiimperialistischen Zellen" Bomben baute, wurde der linke Katholik Muslim.
"Bruder" Muntasir bi-lllah, wie er sich seitdem nennt, ist im Gespräch hellwach und wählt jedes seiner Worte bewusst. Auch wenn er kein Jurist ist: der ganz in schwarz gekleidete 51-Jährige weiß, wie weit er gehen kann, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Offene Unterstützung für eine Terrororganisation wie den IS oder Al-Qaida wird man von ihm nicht hören. Wohl aber "Verständnis" dafür, dass manche Menschen den Weg des Terrors gehen – oder in Falks Worten: den Weg des "militanten Widerstands": "Wenn Menschen in verschiedenen Ländern meinen, bestimmte Methoden zu wählen, dann ist das ihre Entscheidung", doziert er und fügt hinzu: "Dass es militanten Widerstand von Gruppen weltweit gibt, ist eine Tatsache - ob man die gut findet oder schlecht."
Die Frau des mutmaßlichen Rizin-Bombers
Bei den Gefangenen, die er betreut, müsse man damit rechnen, dass jemand "aus deutscher Sicht eine kriminelle Vergangenheit hat. Gefangene sind ja keine Heldengestalten." Aber urteilen möchte Falk über sie nicht: "Ich bin jemand, der unabhängig davon, was im einzelnen Fall passiert ist, versucht, eine gewisse Solidarität zu zeigen."
Deshalb unterstützt Falk Salafistenprediger Abu Walaa. Der gebürtige Iraker gilt als Nummer 1 der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Deutschland. Er steht seit September 2017 als Angeklagter vor dem Oberlandesgericht Celle, weil er junge Männer ins selbsternannte Kalifat vermittelt haben soll. Falk hilft auch Sven Lau, der einer der bekanntesten deutschen Salafisten ist. Die Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf hatten Lau im Juli 2017 zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Nach Auffassung des Gerichts hatte er Rekruten für die Dschihadistenmiliz "Jamwa" (Armee der Auswanderer und Unterstützer) in Syrien vermittelt.
Falk hat auch Kontakt zu Yasmin H. Sie ist die Ehefrau des terrorverdächtigen Islamisten Sief Allah H. Der wurde in diesem Sommer als mutmaßlicher "Rizin-Bombenbauer" von Köln bekannt. Sief Allah H. hatte sich über das Internet große Mengen von Rizinussamen bestellt, dazu Chemikalien, mit deren Hilfe sich aus den Samen das hochgiftige Rizin herstellen lässt. Außerdem fanden sich nach Angaben der Polizei in der Wohnung des gebürtigen Tunesiers Zutaten für einen Sprengsatz.
Yasmin H. soll ihren Mann bei den mutmaßlichen Anschlagsvorbereitungen unterstützt haben und sitzt seit Juli in Gelsenkirchen in Untersuchungshaft. "Wenn ich zum Beispiel die wegen des sogenannten Rizinfalls inhaftierte Ehefrau besuche, bespreche ich mit ihr, ob ihr Fernseher jetzt endlich in der Zelle angekommen ist und ob sie endlich einmal ein Buch in ihrer Zelle hat", beschreibt Falk seine Hilfe für die Inhaftierte.
Saudischer Dschihad-Prediger als Vorbild
Nach seiner religiösen Orientierung gefragt, nennt Falk den radikalen wahabitischen Prediger Sulaiman Al-Ulwan - einen saudischen Theoretiker des militanten Dschihad. Al-Ulwan hat Selbstmordanschläge gegen Juden gerechtfertigt und die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die afghanischen Taliban begrüßt. Deren inzwischen verstorbenen Anführer Mullah Omar lobte der fundamentalistische, saudische Prediger als "Befehlshaber der Gläubigen".
Wegen seiner ideologischen Nähe zu Al-Qaida saß Suleiman Al-Ulwan in Saudi-Arabien im Gefängnis. Auch seinem deutschen Anhänger Bernhard Falk wird gelegentlich eine Nähe zu Al-Qaida nachgesagt, zuletzt Ende August von Eren Recberlik. Die deutschen Sicherheitsbehörden stuften Recberlik jahrelang als salafistischen Gefährder ein. Inzwischen ist der junge Mann aus der Szene ausgestiegen.
Bernhard Falk wird regelmäßig in den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) erwähnt, in dem er lebt. Der jüngste Bericht der NRW-Verfassungsschützer vermerkt: "(Falk) vertritt die Ansicht, dass die Bundesrepublik Deutschland einen Kampf gegen 'den Islam' betreibt und steht für den nach seinem Empfinden zwingend erforderlichen 'islamischen Widerstand gegen den Imperialismus der USA, der BRD und Israels'."
Den Verfassungsschützern sind seine positiven Äußerungen zu Al-Qaida-Gruppierungen aufgefallen. Insgesamt rechnen sie "Falk zumindest ideologisch dem Bereich des dschihadistischen Salafismus" zu. NRW-Verfassungsschutzpräsident Burkhard Freier sieht schon in Falks Gefangenen-Betreuung eine große Gefahr. "In Wirklichkeit ist das ja eine Betreuung von Extremisten für Personen, die in der extremistischen Szene gehalten werden sollen", betont er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Die Gefangenen sollen von jeder Resozialisierung abgehalten werden."
Bücher in Köln, Kinder in Dortmund
Dem hält Falk selbstbewusst entgegen: "Wenn die Gefangene überhaupt noch soziale Bezüge haben und sozial denken und handeln können nach ihrer Gefangenschaft, dann habe ich dazu einen Beitrag geleistet. Ein zusammenbrechender oder psychisch abdriftender Gefangener kann ja nun auch nicht im Interesse des Staates sein." Auf seiner Facebook Seite ruft Falk regelmäßig dazu auf, islamistischen Gefangenen aufmunternde Briefe zu schreiben oder für sie zu beten. Und für seine Arbeit zu spenden. "Ich bin davon abhängig, dass mir Leute aus der Szene, meistens aus dem Angehörigen-Bereich, eine Spende geben, damit ich in weiter entfernte Städte fahren kann."
Einer geregelten Arbeit geht Falk nicht nach. Er beschuldigt den polizeilichen Staatsschutz, bei möglichen Arbeitgebern Stimmung gegen ihn zu machen. Eine staatliche Unterstützung wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe bezieht er nach eigenen Angaben auch nicht. Falk hat keine eigene Wohnung, dafür aber zwei Frauen: "Man kann das so sagen: In Köln sind meine Bücher. In Dortmund sind meine Kinder. Beides ist schon aus Platzgründen nicht innerhalb einer Wohnung vorstellbar."
Die Kinder werden auch schon mal auf Falks Facebook-Seite präsentiert, zuletzt bei der Einschulung seiner Tochter in diesem Sommer. Dass das Mädchen auf eine ganz normale Grundschule geht, bereitet dem "Systemgegner" offenbar keine Probleme: "Es geht um die Vermittlung von Sachverhalten und Sprache in einer sauberen Form. Und alles, was zum Werdegang eines Kindes dazu gehört", erklärt Falk. "Dazu wird ein evangelischer Kindergarten oder auch eine christliche Schule durchaus in der Lage sein", sagt der Salafist und ergänzt: "Sie sehen ja an meinem Beispiel, dass man auch als Sohn einer christlichen Oberstudienrätin den Weg zum Islam finden kann."
Kampf und Missionierung
Für den verurteilten Linksterroristen fügt sich die Religion perfekt in seinen Kampf gegen das, was er bis heute auf seinem Twitter-Account den "Imperialismus der USA, der BRD und Israels" nennt. Nur ist es jetzt eben "muslimischer Widerstand". Der Islam ist für Falk "nicht nur etwas rein kontemplatives. Sondern er ist etwas, das sich in allen Aspekten des Lebens auswirkt, einschließlich der gesellschaftlichen und politischen Bereiche." Er sieht es als seine Aufgabe, "das politische Bewusstsein der Muslime ein bisschen aufzufrischen und zu aktualisieren."
Mit der eher missionarisch eingestellten Hauptströmung des Salafismus kann Falk nach eigenen Angaben dagegen wenig anfangen. "Das ist etwas, was mir überhaupt nicht zusagt." Doch trotz aller Meinungsunterschiede mit anderen Führungsfiguren der Szene: Bei Verhaftungen oder Hausdurchsuchungen werden Falks Dienste, etwa bei der Vermittlung von Anwälten, von Salafisten aller Strömungen gerne genutzt.
Und noch etwas ist auffällig: Falk betet fast ausschließlich zu Hause. In den Moscheen ist er nicht mehr gerne gesehen. Auch dafür macht er staatlichen Druck verantwortlich. "Die Moscheen haben Angst vor Verboten, wenn sie die Hinweise des Staatsschutzes unbeachtet lassen." Am Ende der Begegnung bleibt das Bild eines hochbegabten Idealisten auf gefährlichen Irrwegen, der sich selbst - und seine Religion - zum Opfer stilisiert.
Matthias von Hein und Esther Felden
© Deutsche Welle 2018