Ein entwurzeltes und verpflanztes Leben
Untersuchungen über den Missbrauch und die Ausbeutung von Arbeitsmigranten – seien es vorenthaltene Löhne oder körperliche Gewalt und Zwangsarbeit – geben seit Jahren in den Nachrichten über die Golfregion den Ton an. Millionen afrikanischer und asiatischer Arbeiter in den Golfstaaten klagen über Missbrauch – ob in Saudi-Arabien, in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Kuwait. Die Vorwürfe reichen von Überlastung, mangelnder Verpflegung und Unterbringung bis zu sexueller Gewalt und illegaler Beschäftigung.
Die Notlage der Arbeitsmigranten in der Golfregion ist das zentrale Thema von Saud Alsanousis Buch "The Bamboo Stalk". Ursprünglich 2012 auf Arabisch veröffentlicht, gewann es 2013 den Internationalen Preis für den arabischen Roman. Der Protagonist erzählt nicht nur seine eigene Geschichte, sondern auch die seiner Eltern, wie von seiner Mutter überliefert: Josephine wanderte von den Philippinen nach Kuwait aus, um dort als Hausmädchen bei der Familie Tarouf zu arbeiten. Dort verliebte sie sich in den nachdenklichen und vergeistigten Rashid, den einzigen Jungen einer Familie aus vier Frauen – der Mutter und seine drei Schwestern.
Als Josephine schwanger wird und Rashid sie heiratet, werden beide von der herrischen Mutter aus der Familie verstoßen. Auch die Geburt des gemeinsamen Sohnes Isa, der damit das einzige männliche Mitglied der Familie wird, das den glanzvollen Familiennamen weiterführt, stimmt Rashids Familie nicht versöhnlich. Er und Josephine trennen sich schließlich.
Zum Auftakt des Romans grübelt der Sohn über seine doppelte Identität als Kuwaiter und Philippiner: "Mein Name ist José. Auf den Philippinen wird er englisch ausgesprochen: Mit einem dʒ-Laut zu Anfang. Im Arabischen beginnt er – ähnlich wie im Spanischen – mit einem xo-Laut. Im Portugiesischen werde ich zwar gleich geschrieben, aber wie ein ʒu-Laut gesprochen. Alle diese Varianten unterscheiden sich vollkommen von meinem kuwaitischen Namen. Hier heiße ich Isa."
Gleichzeitig Ausländer und Einheimischer
Der Titel "Bamboo Stalk" – zu Deutsch "Bambushalm" – bezeichnet etwas, was sich leicht herausziehen – also entwurzeln – und verpflanzen lässt. Doch die Entwurzelung selbst ist alles andere als leicht. Ebenso wenig wie das Gefühl, entwurzelt zu sein, das ein schmerzhafter Bestandteil der Identität des jungen Mannes ist. Er ist gleichzeitig Ausländer und Einheimischer, innen wie außen. Er ist Philippiner und Kuwaiter, der sich danach sehnt, in beiden Ländern zu Hause zu sein. Sogar sein Name macht Schwierigkeiten: Sollen wir ihn Isa oder José nennen? Lässt dieser Diskurs es überhaupt zu, ihm einen Namen zu geben, ohne die nationalen Identitäten gegeneinander auszuspielen?
Zu Anfang spielt der Roman in Kuwait, wendet sich dann aber zurück in die ärmliche Kindheit des Protagonisten auf den Philippinen, wo seine Mutter ihm Kuwait als einen Garten Eden schildert. So erscheint ihm der luxuriöse Lebensstil, mit dem alle Kuwaiter vertraut sind, als selbstverständliches Erbe. In der Wirklichkeit erwartet Isa eine strenge Klassengesellschaft, die sich nach Rasse, ethnischer Zugehörigkeit und Nationalität definiert. Am einen Ende des Spektrums stehen die privilegierten Kuwaiter; am anderen die unterbezahlten, zugereisten Arbeiter.
Der Protagonist wird als Ausländer betrachtet. Auch wenn er rechtlich gesehen ein Einheimischer mit Kuwaiter Pass ist, erleidet er Diskriminierung und Isolation. So geht es auch anderen Migranten, auf die er trifft. Der philippinische Zweig seiner Herkunft verdeutlicht, dass zumindest in Kuwait Klasse und Ethnie untrennbar miteinander verbunden sind.
Da seine Mutter Philippinin ist und er wie ein Philippiner aussieht, erfährt er einen Rassismus, der ihn als Angehörigen der Arbeiterklasse abstempelt. Er gilt als Bediensteter, möglicherweise sogar als illegal und daher automatisch als minderwertig. Ständig wird er von der Polizei kontrolliert oder festgehalten. Seine beruflichen Chancen beschränken sich letztlich auf die Arbeit in Restaurants. In "The Bamboo Stalk" gibt es keine vergleichbare Figur mit kuwaitisch-europäischer Abstammung. Doch man kann sich unschwer vorstellen, dass ein solcher Protagonist kaum die tagtäglichen Ausgrenzungsprobleme wie unser kuwaitisch-philippinischer Akteur haben dürfte.
Ungeschminkter Blick auf die kuwaitische Gesellschaft
Isa alias José kämpft nicht nur gegen die Diskriminierung in der kuwaitischen Gesellschaft, sondern auch gegen die rassistische Feindseligkeit seiner Großmutter und Tanten, die sich um die Beschädigung ihres angesehenen Familiennamens sorgen. Die Begegnung mit seiner kuwaitischen Familie endet damit, dass er im Dienstbotenflur einquartiert wird und bei Besuchen von Verwandten gezwungenermaßen die Dienstbotenrolle übernimmt.
Sogar diese Momente machen die Stellung der Arbeitsmigranten deutlich. Auch die Stellung seiner Mutter, die ihm davon erzählte, dass sie im Haushalt der Familie Tarouf "hmara" (Arschloch) genannt wurde. Als er erschreckt feststellt, dass die Bediensteten seine Familiengeschichte kennen, antwortet das neue philippinische Hausmädchen spöttisch: "Nein, wir haben keine Gefühle und wir verstehen auch nichts." Die Schwierigkeit, mit einigen seiner Verwandten zu kommunizieren, isoliert ihn weiter von einem Milieu, das ihn tatsächlich nie willkommen geheißen hat. Gleichzeitig werden wir daran erinnert, dass die Ablehnung seitens der Familie auf seiner Ethnisierung beruht, denn er "hat einen Namen, der Ehre brachte, ... aber ein Gesicht, das Schande brachte."
"The Bamboo Stalk" geht über den Ost-West-Konflikt hinaus und vermittelt einen dringend notwendigen und zeitgemäßen Blick auf die relativ neue Migrantenbewegung von den Philippinen nach Kuwait. Darüber hinaus gibt Alsanousi Einblicke in die dunklen Seiten seiner Gesellschaft. Zum Schluss stellt er diese allerdings als mitfühlendes Opfer des gesellschaftlichen Systems dar. Besonders verstörend ist die Tatsache, dass der junge Protagonist in dem Roman die eingefahrene gesellschaftliche Vorstellung von einem Angehörigen der Unterschicht bestätigt, wenn er selbst schreibt: "möglicherweise (bin ich) im Vergleich mit [Kuwaitern] in vieler Hinsicht rückständig..."
Nationale Rücksichten verwässern das Eintreten gegen die tagtägliche Misshandlung von Arbeitsmigranten und die schmerzlichen Folgen der Zurückweisung Isas durch seine kuwaitische Familie. Über seinen Vater, der selbst Autor eines Romans war, schreibt Isa: "Er malte ein liebevolles Porträt Kuwaits. Er wollte die Wirklichkeit mit einem Roman verändern, der offen und schonungslos ist, aber sein einziges Motiv war Liebe."
Eine Erzählung über die Verletzung der Rechte von Migranten und die moralische Auseinandersetzung mit einem rassistischen Klassensystem sind zum aktuellen Zeitpunkt dringend nötig. Das gilt insbesondere, wenn dies aus der Mitte der kuwaitischen Gesellschaft kommt. Vor diesem Hintergrund lesen sich die genannten Zitate als Rechtfertigung, mit der Alsanousi die Kraft seiner eigenen Erzählung untergräbt.
Nahrain Al-Mousawi
© Qantara.de 2015
"The Bamboo Stalk" von Saud Alsanousi, Bloomsbury Qatar Foundation Publishing, 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers