Zwischen Sitcom-Dialog und experimenteller Literatur

Beim Lesen von Sayed Kashuas "Native: Dispatches from a Palestinian-Israeli Life" kommt man sich vor wie bei Binge Watching einer urkomischen, skurrilen TV-Sitcom, die erstaunlich scharfsinnige Sozialkritik vermittelt. Von Marcia Lynx Qualey.

Von Marcia Lynx Qualey

Das Buch, flott übersetzt von Ralph Mandel, enthält ausgewählte Kolumnen, die Kashua zwischen 2006 und 2015 für die israelische Zeitung Haaretz schrieb. Eine Anmerkung für all jene, die ihre Probleme mit dem Kolumnen-Genre haben: Hier finden sich weder öde Plauderen mit Taxifahrern noch vollmundige Auslassungen über den Zustand der Welt. Bei den meisten handelt es sich um halb autobiografische Kurzgeschichten über Kashua und seine Familie.

Diese Familie führt uns der Autor in immer neuen Mini-Porträts vor, jeweils im Abstand weniger Wochen, und so erleben wir mit, wie die Kinder im Bauch seiner Frau heranwachsen, als Säuglinge nachts schreien, zum Schwimm- oder Klavierunterricht gehen und sich mit Hausaufgaben und tyrannischen Mitschülern herumschlagen, während ihr Vater immer mehr graue Haare bekommt und die Welt und sich selbst immer skeptischer betrachtet.

Viele der Kolumnen überzeichnen auf eine Weise, die man aus TV-Sitcoms kennt. Kashua inszeniert sich als trinkfreudiger Kettenraucher und ungalanter Ehemann einer überarbeiteten, schlecht bezahlten Ehefrau, als inkompetenter Vater und grobschlächtiger Tollpatsch, der nur zu gerne jungen Frauen imponieren würde. Zeitweise verlässt er sich zu sehr auf die Schilderung männlicher Einfalt als Comedy-Faktor. Doch im Wesentlichen ist „Native“ eine Familienkomödie.

Humor der leichten Art

Aus diesem Grund ist Kashuas Sozialkritik auch besonders leicht konsumierbar. Erst entkrampft er uns mit seinem leicht verdaulichen Humor, dann schmuggelt er seine kritische Analyse der palästinensischen und israelischen Gesellschaft in den Text ein.

Seine Frau und seine Kinder sind immer für einen Lacher gut. Als Kashua ein Probefläschchen Whisky kauft, fragt seine kleine Tochter: "Warum ist die Flasche so klein? Ist sie für Kinder?" Und als die Tochter später keine Lust zum Klavierüben hat, erklärt Kashua, er ließe sie nicht etwa üben, "weil ich aus ihr eine Pianistin machen will, da sei Gott vor, sondern weil ich will, dass sie eine von den Weißen wird, die sich als Erwachsene darüber beschweren, dass ihre Eltern sie gezwungen haben, ein Instrument zu lernen."

Cover of Sayed Kashua's "″Native: Dispatches from a Palestinian-Israeli Life″ translated by Ralph Mandel (published by Grove Press)
Semi-autobiographisch: "Diese Familie führt uns der Autor in immer neuen Mini-Porträts vor, jeweils im Abstand weniger Wochen, und so erleben wir mit, wie die Kinder im Bauch seiner Frau heranwachsen, als Säuglinge nachts schreien, zum Schwimm- oder Klavierunterricht gehen und sich mit Hausaufgaben und tyrannischen Mitschülern herumschlagen, während ihr Vater immer mehr graue Haare bekommt und die Welt und sich selbst immer skeptischer betrachtet", schreibt Lynx Qualey.

Kashuas, zunächst Provinzkolumnist, entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einem international gefeierten Romanautor und Sitcom-Autor und geht schließlich als Universitätsdozent in die USA; parallel dazu verändert sich auch sein Lebens- und Schreibstil.

Immer wieder werden wir als Leser Zeugen einer Neuerfindung seiner Person. Und da die Kolumnen zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, werden die privaten Veränderungen nicht von einer übermächtigen Erzählhandlung verdeckt.

Keine einfachen Lösungen

Die einzelnen Kolumnen sind wie sehr kurze Short Stories aufgebaut, doch sie vermeiden allzu simple Deutungen. Oft schlagen sie gekonnt den Bogen zwischen Sitcom-Dialog und experimenteller Literatur. In einer Kolumne von 2007, die den Titel "Das Fahrrad" trägt, wird dies besonders deutlich.

Sie beginnt unspektakulär. Kashua soll etwas für seine Fitness tun, was einem dem Alkohol zugeneigten Kettenraucher nicht gerade leicht fällt. "Ich verabschiedete mich von meiner Familie, als bräche ich zu einer Pilgerreise nach Mekka auf, mitten durch die Wüste auf einem Kamel." Der Spaziergang erweist sich als unerwartet angenehm. Doch er führt auch in eine ganz unerwartete Richtung, als Kashua nämlich sieht, wie ein palästinensischer Junge wegen seines neuen Fahrrads von der israelischen Polizei schikaniert wird. Schlimmer noch, der Polizist und der Junge sprechen keine gemeinsame Sprache.

Der Polizist schaut in die Runde und fragt, ob jemand Arabisch spricht. Wir erwarten nun, dass Kashua sich meldet, jedoch: "Ich schüttelte den Kopf, stand von der Bank auf und rannte, wie ich noch nie im Leben gerannt bin, den ganzen Weg nach Hause."

Mit seiner Flucht wendet Kashua auf fast magische Weise das Blatt: Er weigert sich, die Situation aufzulösen. Statt etwas – irgendetwas – zu tun, überlässt er den Jungen ganz und gar dem Leser. Die Verantwortung für den Jungen liegt jetzt bei uns.

Indirektes Vorgehen

Der Politik nähert sich Kashua konsequent auf indirekte Art. Er schreibt nicht über die Jerusalemer Stadtverwaltung und die Versorgung der Menschen im Osten (Christen und Muslime) bzw. Westen (Juden) der Stadt. Doch als er in ein Viertel mit jüdischer Bevölkerung umzieht, zeigt er sich komisch schockiert über den ungewohnt hohen Wasserdruck und das Ausbleiben von Stromausfällen. 

Ein andermal berichtet er höchst amüsant, wie er eines Tages zur Polizei geht, um zu melden, dass sein Auto mit Eiern beworfen und die Sitze aufgeschlitzt wurden - vermutlich ein Hassverbrechen. Das Verhalten des Polizisten ändert sich dramatisch, als Kashua erwähnt, dass er Journalist ist und für Haaretz schreibt. Der Polizist, der letztendlich die Strafanzeige aufnimmt, ist hilfsbereit und freundlich und drängt Kashua, ihn jederzeit anzurufen, wenn er Hilfe braucht. In der Zwischenzeit ist im Fernsehen gerade ein Fußballspiel zu Ende gegangen:

"Danke", sagte ich und schüttelte ihm [dem Polizisten] die Hand. Wir blickten beide auf den Bildschirm, wo die Siegesfeier im Gang war. Die Fans und Spieler der siegreichen Mannschaft aus der Hauptstadt des Landes feierten den Pokalgewinn, sie tanzen und sangen "Tod den Arabern! Tod den Arabern!"

An einigen wenigen Stellen spricht Kashua direkt über Politik. Doch selbst in seiner Kolumne "Revolutionärer Friedensplan" fällt er nicht ganz aus der Rolle. Kashuas Revolution soll einen demokratischen Einparteienstaat schaffen, aber er würzt sein Staatsprojekt gleichzeitig mit substanziellen Vorhaben wie: "Das Matkot-Spiel wird an allen Stränden des Landes verboten" oder "Eine Geldbuße wird gegen jeden verhängt, der ein Päckchen schickt, von dem er weiß, dass es nicht in den Briefkasten passt und der Empfänger somit gezwungen ist, es auf dem Postamt abzuholen."

In der letzten Geschichte packt Kashua die Koffer, um Israel zu verlassen, streitet sich mit seiner vierzehnjährigen Tochter und versöhnt sich wieder mit ihr. Wir sind am bitteren Ende eines Buches angekommen, das mit einer Kolumne beginnt, in der sich Kashuas Frau wütend darüber beschwert, dass er seine Familie als Material für seine Kolumnen ge- und missbraucht. Und in der Tat muss man der Familie und ihrer geduldigen Mitwirkung, die so unerlässlich ist für dieses Buch, höchsten Respekt zollen.

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2016

Übersetzt aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff