Sehnsucht hinter schwarzen Schleiern

In 1980er Jahren hat Sulaiman Addonia in Saudi-Arabien gelebt und studiert. Jetzt hat er einen Roman über das Thema "verbotene Liebe" geschrieben – Schauplatz ist die saudische Hafenstadt Dschidda. Rasha Khayat hat den Autor in Hamburg getroffen.

Von Rasha Khayat

​​Das Motiv der verbotenen Liebe gehört zum Standardrepertoire der abendländischen Literaturgeschichte. Man denkt an Romeo und Julia, Anna Karenina, oder auch diverse Jane Austen-Heldinnen. In unserer heutigen Zeit kennt man im Westen die "verbotene Liebe" höchstens noch aus Seifenopern. In Ländern wie Saudi-Arabien ist dieses Thema allerdings nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu.

Um so bemerkenswerter ist es, dass der in England lebende, aus Eritrea stammende Autor Sulaiman Addonia genau diese verbotene Liebe zum Thema seines ersten Romans, "Die Liebenden von Dschidda", macht. Im Mittelpunkt dieses ungewöhnlichen Debüts steht der junge Naser, der in den 1980er Jahren als Flüchtling aus Eritrea in die saudische Hafenstadt Dschidda kommt. Dort ist er seinem Bürgen, dem "Kefil" unterstellt, der ihn auf jede nur denkbare Weise ausbeutet und missbraucht.

Romantische Liebe als Fluchtpunkt

Auch Nasers Freunden geht es nicht anders. Wie um ihrem oft grausamen und trostlosen Alltag zu entfliehen, erzählen sich die Freunde Geschichten von den verschleierten Mädchen von Dschidda, die ihren Angebeteten heimlich kleine Briefchen schreiben und diese im Vorbeigehen vor dem Betreffenden ganz beiläufig zu Boden gleiten lassen. Auf diese Art und Weise kommunizieren die ansonsten völlig abgeschottet lebenden Frauen mit den jungen Männern und erklären ihnen so ihre Liebe. Eines Tages ereilt das Glück auch den vom Schicksal gebeutelten Naser.

Nichts ahnend lehnt er an einer Palme an der Corniche von Dschidda, als plötzlich eine von Kopf bis Fuß schwarz verschleierte Frau an ihm vorbei geht und einen gefalteten Zettel fallen lässt. Die unsichtbare Unbekannte gesteht ihm ihre leidenschaftliche Liebe, und fortan wartet Naser Tag für Tag sehnsüchtig auf die unbekannte Frau, die er heimlich Fiore nennt, und die ihm dann tatsächlich Tag um Tag in leidenschaftlichen Briefen ihre Liebe gesteht. Damit Naser sie besser von den anderen schwarz verschleierten Frauen unterscheiden kann, trägt Fiore pinkfarbene Schuhe.

Suleiman Addonia; Foto: Sarah Turton
Suleiman Addonia ist mit seinem Romandebüt "The Consequences of Love" auf die Shortlist für den Best First Book Award des Commonwealth Writer's Prize gewählt worden

Damenwahl in Dschidda

Bemerkenswert an Sulaiman Addonias Geschichte ist unter anderem, dass es diese junge saudische Frau ist, die jedes Mal die Initiative ergreift, ihrem Geliebten noch ein Stück näher zu kommen. Naser ist ängstlich, zaudert, zögert, will weder die Gesetzte noch Fiores persönliche Grenzen übertreten.

In Anbetracht der Bedrohung durch die Sittenpolizei oder auch der im Hintergrund lauernden Gefahr, in Ungnade des Kefil zu fallen, ist dies auch kaum verwunderlich. ​​Die Entschiedenheit jedoch, mit der Fiore die "Beziehung" zu Naser vorantreibt, ist um so bemerkenswerter. Schließlich spielt die Handlung in Saudi-Arabien, einem der repressivsten Staaten der Welt, in dem die Geschlechter so strikt getrennt sind, wie in wohl keinem anderen Land dieser Welt.

Umgeben von starken Frauen

Sicher ist auch Fiore nicht die typische saudische Frau der 80er Jahre, wenn sie ihren Freund von Kopf bis Fuß in eine Abaya hüllt, um ihn dann als eine Freundin getarnt mit zu sich nach Hause nehmen zu können. Oder wenn sie entschlossen den Ehemann ablehnt, den ihre Familie ihr zugedacht hat. Addonia, der von seiner Mutter und seiner Tante aufgezogen wurde, ist sich dessen durchaus bewusst.

"Ich war immer umgeben von starken Frauen, und auch in meiner Zeit in Dschidda habe ich von solchen mutigen Mädchen gehört. Ich wollte einfach ein Zeichen setzen und zeigen, dass auch die saudische Frau ihre Mittel und Wege hat, ihren Willen durchzusetzen. Oftmals sehr viel eher als ein junger Mann wie Naser."

Ein letzter Blick auf die Geliebte

Fiores kühner Einsatz läuft schließlich aber nicht auf ein glückliches Ende hinaus. Ein ehemaliger Schulkamerad Nasers, der inzwischen für die Religionspolizei arbeitet, verrät den Freund und Naser wird inhaftiert. D ie Identität seiner Geliebten gibt er aber selbst unter den Schmerzen von Folter nicht preis. Schließlich wird Naser zwangsabgeschoben. Als sein Schiff den Hafen verlässt, erhascht er am Kai noch einen letzten Blick auf eine schwarz verschleierte Frau mit pinkfarbenen Schuhen.

"Die Liebenden von Dschidda" (Verlag Hoffmann und Campe)

Sulaiman Addonias Roman ist streng chronologisch erzählt und in seiner Sprache eher konventionell. Höhepunkte bilden die leidenschaftlichen Briefe Fiores, die der Autor immer wieder einflicht. Beeinflusst, so sagt Addonia, haben ihn die großen europäischen Erzähler wie Thomas Mann und Charles Dickens. Das Verdienst dieses bemerkenswerten Debüts ist nun aber weniger herausragende literarische Brillanz, sondern vielmehr das Thema selbst. Nach Rajaa Alsaneas "Girls von Riad" ist Sulaiman Addonias Roman eines der wenigen Bücher, die uns vom Leben in der saudischen Gesellschaft der Gegenwart erzählen.

Mit Kinderschritten in die Moderne

Addonia selbst hat wie Naser als Bürgerkriegsflüchtling in den 80er Jahren in Dschidda gelebt. Die Romanrealität speist sich in erster Linie aus seiner eigenen Erfahrung, so der Autor, nur einen Brief habe nie eine Frau vor ihm fallen gelassen, sagt Addonia und lacht. "In der Schule war es ein nie enden wollendes Gerücht, dass es diese Mädchen gibt, die den Jungs Briefe schreiben. Jeder wollte vom Freund eines Freundes wissen, der mal so einen Brief bekommen hatte. Tatsächlich habe ich aber nie einen der Glücklichen kennen gelernt."

Nach seiner Ausreise nach England 1990 ist Addonia nie wieder in Saudi Arabien gewesen. "Ich höre aber von meinem Bruder, der noch dort lebt, dass sich vieles verändert hat. Das Internet und Handys haben das Leben der jungen Leute sehr viel leichter gemacht, denke ich. Das Land macht Kinderschritte, aber ich habe das Gefühl, dass auch dort der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten ist."

Wäre eine Geschichte wie die von Naser und Fiore heute im Zeitalter von Myspace, Facebook, E-Mail und Handy noch möglich? "Es wäre eine andere Geschichte. Von der weiß ich aber nichts. Und der Gedanke, dass es diese Mädchen mit den Briefen wirklich gibt, hat uns Jungs immer Hoffnung gegeben, uns eines Tages doch zu verlieben. Das war mir eine Geschichte wert."

Rasha Khayat

© Qantara.de 2009

Sulaiman Addonia wurde als Sohn einer eritreischen Mutter und eines äthiopischen Vaters in Eritrea geboren. In seiner Kindheit verbrachte er nach dem Om-Hajar-Massaker von 1976 etliche Jahre in einem Flüchtlingscamp im Sudan. Später lebte und studierte er in Dschidda, Saudi-Arabien. Seit 1990 lebt er in London. Die Liebenden von Dschidda ist sein erster Roman. Sulaimann Addonia: Die Liebenden von Dschidda, 330 Seiten, Hoffmann und Campe, 2009