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Zahedan, die Hauptstadt der Provinz Sistan und Belutschistan, zählt zu den wenigen iranischen Städten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit. Dort können Sunniten noch relativ frei ihren Glauben praktizieren. Allerdings hat sich der Ort auch zur Drehscheibe radikaler sunnitischer Gruppen entwickelt. Aus Zahedan informiert Philipp Breu.

Von Philipp Breu

Ein kalter Wind zieht durch den Rohbau der Makki-Moschee in Zahedan, Tauben fliegen durch die Gerüste im Inneren der gigantischen Baustelle. Zwei Wächter wärmen sich die Hände an einem kleinen Ölofen. Früh am Morgen ist es noch kühl in der Hauptstadt der Provinz Sistan und Belutschistan im Iran, bevor es dann tagsüber in ganzjährige Hitze umschlägt.

Sieben Jahre ist es her, dass die alte Moschee abgerissen wurde. Nun entsteht eine neue, ein Prachtbau, 50.000 Quadratmeter groß soll er werden. Das Vorbild ist die Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul. Zur Zeit aber ruht die Arbeit – aus Geldmangel. Weiter gebaut wird immer dann, wenn neues Geld da ist. In der Zwischenzeit beten die Gläubigen in der Vorhalle, die nicht mehr ganz nach Baustelle aussieht.

"Es gibt besonders zum Freitagsgebet enormen Platzbedarf und selbst wenn die Moschee eines Tages fertig ist, wird der Platz nicht ausreichen", sagt Molavi Abdolhamid Ismaeelzahi. Der 70-Jährige ist der Vorsteher der Makki-Moschee, und der spirituelle Anführer der sunnitischen Muslime im Iran. Betreiber der Makki-Moschee ist die Jamiah Darul Uloom in Zahedan. Da sie auf Spenden aus dem In- und Ausland angewiesen ist, dauert der Bau sehr viel länger als erwünscht.

Anziehungspunkt für Flüchtlinge

Zahedan ist eine der ganz wenigen Städte im Iran mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit. Das Land mit über 80 Millionen Einwohnern besteht überwiegend aus schiitischen Muslimen, Sunniten machen unabhängigen Schätzungen zufolge fünf bis maximal neun Prozent aus. In der 600.000-Einwohner-Stadt leben vor allem Belutschen und zahlreiche Afghanen, die vom Krieg im Nachbarland geflohen sind.

Zwei Schüler der Jamiah Darul Uloom spazieren neben dem Rohbau der Makki-Moschee in Zahedan; Foto: Philipp Breu
Sunnitische Schüler der Jamiah Darul Uloom: Von Zahedan ist es näher nach Kabul als nach Teheran. Die große Mehrheit der Belutschen sowie der Flüchtlinge sind Sunniten, meist hanafitischer Rechtsschule. Viele von ihnen gehören der Bewegung der Deobandis an, die ihren Ursprung in einer theologischen Hochschule in Indien hat und die auch den Taliban als Inspiration dient.

Von Zahedan ist es näher nach Kabul als nach Teheran. Die große Mehrheit der Belutschen sowie der Flüchtlinge sind Sunniten, meist hanafitischer Rechtsschule. Viele von ihnen gehören der Bewegung der Deobandis an, die ihren Ursprung in einer theologischen Hochschule in Indien hat und die auch den Taliban als Inspiration dient.

Auf dem Campus der Jamiah Darul Uloom in Zahedan, die direkt neben der Makki-Moschee liegt, fallen die über 1.200 Studenten des bis zu 16-jährigen Studienganges sofort durch ihre traditionelle Kleidung und die großen, gestutzten Bärte auf.

Die Studenten, vor allem Iraner, aber auch viele Afghanen und Pakistaner, können sich hier in Ruhe ihrem theologischen Studium widmen, von den iranischen Behörden werden sie nicht behindert. Aber am Bauplan der neuen Moschee gab es durchaus Kritik: Die vorderen zwei der insgesamt sechs Minarette waren zu hoch. Die Bauherren sagen, der iranische Staat möchte nicht, dass die Moschee "das Glanzstück sunnitischer Architektur wird, das es hätte werden können". Die Reaktion der Behörden in Zahedan war pragmatisch: Die Minarette sollen nun nur halb so hoch werden wie geplant.

Relative Freiheiten für Zahedans Sunniten

In einem Laden für religiöse Literatur und Bedarfsartikel neben der Moschee arbeitet Hafiz Khodabachsh. Der alte Mann steht zwischen persisch-sprachiger islamischer Literatur und Miswak-Zweigen, mit denen sich besonders fromme Muslime und viele Schüler der Hochschule nebenan die Zähne putzen. Während er ein Parfümfläschchen nach dem anderen entstaubt, sagt er, dass es den Sunniten in diesem Teil des Landes tatsächlich sehr gut gehe. "Man lässt uns hier frei unsere Religion leben und wir sind hier unter uns. Einzig an hohen schiitischen Feiertagen wie Aschura gibt es ab und zu Streit."

Infografik: Irans Provinz Sistan und Belutschistan mit der Hauptstadt Zahedan; Quelle: DW
Zahedan ist eine der ganz wenigen Städte im Iran mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit. Das Land mit über 80 Millionen Einwohnern besteht überwiegend aus schiitischen Muslimen, Sunniten machen unabhängigen Schätzungen zufolge fünf bis maximal neun Prozent aus. In der 600.000-Einwohner-Stadt leben vor allem Belutschen und zahlreiche Afghanen, die vom Krieg im Nachbarland geflohen sind.

Aber für Khodabachsh besteht kein Zweifel: In Zahedan lässt es sich für Sunniten viel besser leben als etwa in Teheran.Nur ein paar Straßen entfernt, die nächste Großmoschee: Hier strahlen prächtige Kronleuchter von der Decke, der Teppich leuchtet noch in frischem Rot. Die schiitische Freitagsmoschee wurde gerade erst komplett renoviert. Das war notwendig, nach dem sunnitische Terroristen hier im Juli 2010 einen Anschlag verübt hatten.

Ein Mann schrubbt gerade den Hof vor dem Eingang. Hinter ihm in einer Glasvitrine hängen die Porträts von 27 Menschen, die damals den Geburtstag von Imam Hussein feierten, als sich zwei Angreifer nacheinander in die Luft sprengten. "Es geschah alles sehr schnell. Und als wir kapiert hatten, was passiert war, da war es auch schon zu spät", erinnert sich ein älterer Herr, der hier schon seit vielen Jahren beten geht. Die Täter gehörten den "Jondullah" (Soldaten Gottes) an, einer extremistischen Gruppierung, die aus Pakistan heraus operiert. Die Opfer des Anschlags wurden aus Sicht der Iraner zu Märtyrern.

Schon 2007 und 2009 hatten Kämpfer der "Jondullah" Anschläge in Zahedan verübt. Ihre Opfer liegen auf dem Friedhof im Norden der Stadt begraben. Hinter hunderten mit iranischen Flaggen verzierten Gräbern der Märtyrer des Irak-Krieges finden sich ein wenig versteckt, die Opfer der "Jondullah" – getötet von "bewaffneten Verbrecherbanden" steht dort auf den Grabplatten zu lesen.

Sicherheitsmaßnamen gegen Extremisten und Separatisten

Nach 2010 hat die Gruppe keine Anschläge mehr auf iranischem Boden verübt. Bewaffnete Polizisten schützen nicht nur rund um die Uhr jede größere schiitische Moschee der Stadt, sondern auch die städtischen Einrichtungen wie das Rathaus und den Bahnhof. In jedem Zug nach Zahedan reist heute eine Polizeieinheit mit.

Zwei Jungen lesen in der Makki-Moschee im Koran; Foto: Philipp Breu
Im Zwielicht: Einige Iraner behaupten, die Makki-Moschee werde als Netzwerk von sunnitischen Terrorgruppen aus der Region genutzt: von den afghanischen Taliban, über Al-Qaida, die „islamische Bewegung Usbekistans“, die pakistanische „Jondullah“ bis hin zur „Islamischen Jihad-Union“, zu der auch vier Mitglieder der deutschen Sauerland-Gruppe gehörten. Sie wurden in Zahedan empfangen, bevor sie nach Pakistan zum Training weitergereist sind.

Um interkonfessionellen Konflikten vorzubeugen, hatte die Regierung schon vor den Anschlägen ein Gesetz erlassen, das den Bau von sunnitischen Sakralgebäuden in mehrheitlich schiitischen Bezirken einer Stadt verbietet und umgekehrt. Das hatte zur Folge, dass Sunniten in ausschließlich schiitisch geprägten Städten wie Teheran gar keine sunnitischen Gotteshäuser besuchen können – oder sich heimlich Alternativen suchen müssen. Sunnitische Portale im Internet verweisen auf neun sunnitische Moscheen in Teheran – allesamt Hinterhofmoscheen, die nicht ausgeschildert sind. "Deswegen fühlen wir uns dort nicht wohl", hatte Hafiz Khodabachsh gesagt, der Verkäufer für religiösen Bedarf direkt neben der Makki-Moschee.

Frei von konfessionellen Konflikten und Gerüchten ist das Leben auch in Zahedan nicht, selbst wenn die Regierung das Gewaltmonopol innehat. Einige Iraner, die nach Zahedan gezogen sind, behaupten, die Makki-Moschee werde als Netzwerk von sunnitischen Terrorgruppen aus der Region genutzt: von den afghanischen Taliban, über Al-Qaida, die "Islamische Bewegung Usbekistans", die pakistanische "Jondullah" bis hin zur "Islamischen Jihad-Union", zu der auch vier Mitglieder der deutschen Sauerland-Gruppe gehörten. Sie wurden in Zahedan empfangen, bevor sie nach Pakistan zum Training weitergereist sind.

Mit Sicherheit bietet die geografische Lage Zahedans für die sunnitischen Gruppen des Länderdreiecks Iran-Afghanistan-Pakistan einen geeigneten Ort zum Austausch. Molavi Abdolhamid Ismaeelzahi, das spirituelle Oberhaupt der iranischen Sunniten, wird von vielen iranischen Medien als "moderate sunnitische Stimme" bezeichnet. Aber auch er ist darauf angewiesen, dass Sunniten aus benachbarten Ländern in seine Stadt kommen, um Netzwerke zu bilden. Die iranische Regierung hat im Juli 2014 gegen ihn eine Ausreisesperre verhängt.

Philipp Breu

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